Henry van de Velde in Jena: Der „Alleskünstler“

An der Feier des 150. Geburtages des Malers, Designers, Grafikers, Architekten und Lehrers Henry van de Velde beteiligt sich auch die Kunstsammlung Jena.

Henry van de Velde, Manschettenknopf 1903. Bild: Klassik Stiftung Weimar

Auf der Internationalen Kunstausstellung 1897 in Dresden war der belgische Künstler und Möbelschöpfer Henry van der Velde mit dem Mobiliar eines Zimmers vertreten, das zuvor der deutsche Kunsthändler Siegfried Bing in seiner Pariser Galerie gezeigt hatte.

1902 übersiedelte van de Velde, dem Ruf des Großherzogs Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach folgend, als künstlerischer Berater für Industrie und Handwerk nach Weimar. 1903 gründete sich in Weimar der Deutsche Künstlerbund; in der Nachbarstadt Jena sorgte die „Gesellschaft der Kunstfreunde von Jena und Weimar“ für frischen Wind. Insgesamt einladende Bedingungen für den Belgier, der 1894 die Malerei zugunsten von Grafik, Kunstgewerbe und Architektur aufgegeben hatte.

2013 wird in Thüringen und Sachsen der 150. Geburtstags van de Veldes gefeiert mit Aktivitäten, die an sein vielschichtiges Wirken in Deutschland und darüber hinaus erinnern. „Der ewige Wanderer – Henry van de Velde in Jena“ ist der Titel einer Ausstellung in der Kunstsammlung Jena.

„Eine Linie ist eine Kraft.“ Dieser für den Jugendstil programmatische Satz gibt den Buchumschlägen zu Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ und „Ecce Homo“ (Insel-Verlag 1908) mit ihren abstrakten Vignetten einen unverwechselbaren Charakter. Zu großer Sparsamkeit im Dekor bekennt sich der Designer van de Velde auch in dem 1913/14 für Selle entstandenen Kaffee- und Teeservice, weiß mit goldenem Mäanderrand.

Künstlerfreundschaft mit Kirchner

Mit Gemälden und Druckgrafiken von Ernst Ludwig Kirchner verweist die von Manuela Dix kuratierte Schau auf die enge Beziehung des Belgiers zu dem Brücke-Künstler, der seine Tochter Nele unterrichtete. „Ein Tag mit Kirchner auf der Stafflalp“ und weitere Holzschnitte sind der Beweis für Kirchners Unterrichtserfolg.

Umgekehrt sind Arbeiten Ferdinand Hodlers, darunter das gestisch expressive Ölbild „Jenenser Student“, ein Hinweis auf van de Veldes Engagement für den Schweizer Maler, der 1908/09 für Jenas neue Universitätsaula das Wandbild „Auszug deutscher Studenten in den Freiheitskrieg von 1813“ gemalt hatte.

In der Ausstellung stimmt Max Klingers symbolistischer Radier-Zyklus „Vom Tode“ einen melancholischen Ton an, der überleitet zu van de Veldes „Gedenkhalle für Ernst Abbe“ im Stadtraum von Jena. Jahrelange Streitigkeiten waren der Auftakt für das 1911 vollendete Denkmal zu Ehren des 1905 verstorbenen Physikers, Unternehmers und Sozialreformers, der ab 1866 zusammen mit Carl Zeiss die Jenaer Zeiss-Werke geleitet hatte.

Der von van de Velde geplante und ausgeführte Zentralbau in Form eines Achtecks mit vier Portalen und einer Kuppel besitzt im Innern eine von Max Klinger geschaffene marmorne Herme – das Bildnis des Verstorbenen auf einem hohen Schaft – und an den Wänden vier Bronzereliefs des französischen Bildhauers Constantin Meunier zum Thema Arbeit.

Der Landschaftsmaler

„Leidenschaft, Funktion und Schönheit. Henry van de Veldes Beitrag zur europäischen Moderne“, eine Ausstellung der Klassik Stiftung Weimar im Weimars Neuen Museum ist mit rund 480 Objekten zweifellos der Höhepunkt im Jubiläumsjahr.

Der Belgier war nach seinem Malereistudium an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen kurze Zeit Mitglied der belgischen Gruppe „Les Vingt“, die von 1887 bis 1890 Seurat, Pissarro, Toulouse-Lautrec und van Gogh zu Ausstellungen einlud. Und so macht es Sinn, wenn Thomas Föhl, Kurator der Weimarer Schau, als Ouvertüre den Maler van de Velde mit neoimpressionistischen Landschaften vorstellt.

Großartig die „Wintersonne“ von 1892. Das Pastell „Abstrakte Pflanzenkomposition“ mit klar umrissenen Flächenfarben kündigt 1893 den Designer van de Velde an. Im gleichen Jahr gibt er die Malerei ganz auf und beginnt Möbel und andere Gebrauchsgegenstände zu entwerfen. Dabei leitet ihn der Grundsatz, dass alles was schön ist, auch funktional ist.

Nach seiner Heirat mit der deutschstämmigen Pianistin Maria Sèthe baut van de Velde 1895 in Uccle, einem Vorort von Brüssel, Haus Bloemenwerf, das eigene Wohnhaus mitsamt Innenausstattung. Vorbilder für seine Entwürfe sind John Ruskin und William Morris, die Anführer der englischen Bewegung Arts & Crafts, die den Künstler in einer neuen verantwortungsvollen Rolle sehen.

Von innen nach aussen bauen

Bloemenwerf ist van de Veldes scharfe Absage an den baulichen Eklektizismus des 19. Jahrhunderts. Ziel für ihn als Architekt und Gestalter – das zeigen alle seine Arbeiten in der Ausstellung – ist die „vernunftgemäße Schönheit“. Richtungsgebend war beim Wohnhaus Bloemenwerf, dass jeder Raum in Größe und Lage seine Funktion, sei es als Gemeinschaftsraum oder als privates Einzelzimmer, erfüllen musste. Das heißt, gebaut wurde von innen nach außen.

Der Theorie van de Veldes, wie er sie in Vorträgen und Schriften entwickelt hat, folgt die Ausstellung, indem sie die Exponate vom Möbel bis zur Stehlampe und zum Bilderrahmen aufeinander bezieht. So hängt die „Engelwache“ (1893) ein Wandbehang mit applizierter farbiger Seidenstickerei über einem Möbel-Ensemble der Zeit.

Neben den durch Schlichtheit und lineare Schönheit faszinierenden Tischen, Stühlen und Schreibtischen gibt es auch Spektakuläres: einen Frisiertisch für den Berliner Salon Haby und im Preller Saal des Museums einen für zehn Personen gedeckten Tisch: weißblaues Meißener Porzellan, für jeden Platz ein 13-teiliges Silberbesteck …

Bis 26. Mai, Kunstsammlung Jena und bis 23. Juni Neues Museum Weimar, Katalog 39,90 Euro

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