Heidemarie Ott über Rollen und Muster: "Eine neubürgerliche Spießigkeit"

Die alten Rollenmuster, die die Mütter vorlebten, sind hartnäckig. Das waren sie sogar in der DDR, sagt Heidemarie Ott, Leiterin des Hamburger Literaturzentrums.

Wundert sich darüber, dass Frauen einander so wenig unterstützen und ermutigen: Heidemarie Ott. Bild: Henning Scholz

taz: Frau Ott, plädieren Sie für die Quote in Chefetagen?

Heidemarie Ott: Ja. Die Quote scheint mir ein geeignetes Werkzeug zu sein, um paritätische Verhältnisse auch in Bezug auf gut bezahlte Jobs herzustellen.

Was heißt „scheint“?

Es wäre ja auch denkbar, dass es nicht funktioniert. Die Erfahrungen der Nordeuropäer mit der Quote sind allerdings positiv. Auch Soziologen und Politologen sagen, dass erst ab einem Frauenanteil von 30 Prozent spürbar wird, dass männliche Maßstäbe bei Entscheidungen nicht das einzige Kriterium sind. Noch besser wären natürlich 50 Prozent Frauen. Denn das Spektrum an Eigenschaften, die mit einem Mann verbunden werden, ist in der Regel sehr begrenzt, und das für Frauen ebenfalls. Da muss einfach Vielfalt hinein.

Korrelieren die zugeschriebenen Eigenschaften stets mit dem biologischen Geschlecht?

57, Soziologin, Kulturmanagerin, war PR-Referentin für Greenpeace International in Paris und Freizeitpädagogin des Deutsch-Französischen Jugendwerks.

Sie ist Geschäftsführerin des Literaturzentrums in Hamburg.

Das biologische Geschlecht spielt aus meiner Sicht überhaupt keine Rolle. Ich glaube, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sehr gering sind. Sie werden aber im Kapitalismus künstlich erzeugt, weil das den meisten Profit bringt. Wenn man in der Werbung ständig die Unterschiede betont, identifizieren sich die Leute damit, und man kann Frauen leichter Schönheitscremes verkaufen und Männern dicke Autos.

Sie kamen als 15-Jährige aus der DDR in den Westen. Welches Frauenbild brachten Sie mit?

Man wurde in der DDR nicht zur Frau oder zum Mann erzogen, sondern zur „sozialistischen Persönlichkeit“ – was ja leider nicht geklappt hat. Aber es wurde immer behauptet, dass es in der DDR eine Emanzipation im Keim gegeben habe, und das würde ich bestätigen. Die staatliche war eine eher geschlechtsneutrale Erziehung, die auf die Aktivierung der eigenen Ressourcen zielte und nicht darauf, einem Weiblichkeitsideal zu entsprechen.

Bot die DDR also die totale Gleichberechtigung?

Nein, aber sie war das erklärte Ziel. Tatsächlich haben dort viele Frauen in technischen Berufen gearbeitet. Mädchen hatten dort den Mut, ein langes Bauingenieur-Studium auf sich zu nehmen. Und sie fürchteten nicht, als unattraktive Frau zu gelten, wenn sie eine Maurerkelle in die Hand nahmen.

Trotzdem mussten die ganztags berufstätigen DDR-Frauen auch Haushalt und Kinder stemmen. Die Männer nicht. Wie erklären Sie sich das?

Damit, dass wohl trotz der sozialistischen Erziehung die tradierten Rollenverhältnisse noch wirkten, die die Mütter vorgelebt hatten. Das habe ich auch in meiner Familie beobachtet: Mein Vater diskutierte mit dem Bürgermeister, und seine zweite Frau räumte derweil den Esstisch ab.

Beobachten Sie im Westen einen Rückschritt in puncto Emanzipation?

Ja. Das fängt mit dem Betreuungsgeld an und endet damit, dass viele Frauen wieder in der Mutterfalle verschwinden und – wie Bascha Mika es nennt – die bequemen Rollen wieder annehmen. Denn die Mutterschaft bietet ihnen – unabhängig davon, ob sie einen Beruf errungen oder sonst etwas geleistet haben – in jedem Fall gesellschaftliche Anerkennung. Wie absurd das ist, zeigt die Gegenprobe: Kein Mann wird dadurch zum „Kerl“, dass er eine abgebrochene Ausbildung, einen Hilfsjob, dafür aber ein Kind gezeugt hat. Frauen haben aber immer diese Möglichkeit – besonders jetzt, wo es eine neobürgerliche Spießigkeit samt Rückkehr zur Kleinfamilie gibt.

Warum erliegen gut ausgebildete Frauen in diesen Mustern?

Einerseits, weil viele Frauen um die 40 die Emanzipation zu leicht genommen haben. Nach den kämpferischen 70er-Jahren haben sie gedacht: Es ist alles gesagt, also ist auch alles erreicht. Sie glaubten, einem Mädchen mit Einser-Abi stünden alle Jobs offen. In Wirklichkeit sind die Jungs mit dem Dreier-Abi an ihnen vorbeigezogen, weil sie die besseren Netzwerke hatten und einander gefördert haben. Frauen haben immer noch nicht richtig verstanden, dass man das machen muss. Abgesehen davon entscheiden viele Paare immer noch anhand ökonomischer Kriterien, wer den Beruf zurückstellt. Das ist fast immer die Frau.

Ist das der einzige Grund?

Nein, es gab noch eine zweite Komponente: dass nämlich in den 90er-Jahren, als Frauen in der New Economy tatsächlich ganz gute Jobs hatten, plötzlich verkündet wurde, diesen Karrierefrauen fehlten Kinder, ein fester Partner, kurz: die Liebe. Das hat viele Frauen total verschreckt. Dazu haben übrigens auch pseudo-feministische Serien wie „Sex in the City“ beigetragen. Die wurden massenhaft auch von Akademikerinnen konsumiert, und die haben sich wahrscheinlich täuschen lassen von den schein-emanzipatorischen Bildern.

Der Verein ProQuote fordert mehr Frauen in Chefetagen von Medienhäusern. Empfinden Sie, ob eine Zeitung von Frauen oder Männern gemacht ist?

Das empfinde ich generell nicht. Ich stelle vielmehr fest, dass zum Beispiel in der taz sowohl Männer als auch Frauen gute Artikel zu Gender-Themen schreiben. Es gibt dort männerkritische Artikel von Männern und frauenkritische von Frauen. Das finde ich sehr gut. Trotzdem finde ich die Forderung nach der Quote wichtig: Frauen müssen Zugang auch zu gut bezahlten Jobs bekommen. Außerdem muss sich unsere Gesellschaft endlich vom Ein-Ernährer-Prinzip verabschieden. Es wundert mich immer wieder, dass es so wenige Männer gibt, die sich gegen erdrückende Männerbilder wehren.

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