HOCHTIEF-DEBAKEL : Die letzte Frist

In diesen Tagen wird Hamburgs Senat entscheiden, ob Hochtief die Elbphilharmonie fertig bauen darf. Sollte die Stadt dem Baukonzern kündigen, ergäben sich allerdings viele Fragen.

Symbol für Frust und Hoffnung: Hamburgs Elbphilharmonie. Bild: dpa

Wie könnte die Stadt Hochtief am saubersten loswerden?

Wahrscheinliche Optionen sind der Vergleich und die Kündigung. Der Vergleich ist Bauleuten zufolge billiger, weil man so ein langwieriges Gerichtsverfahren vermeidet. Konkret könnte er bedeuten, dass die Stadt und Hochtief zugeben, dass die Einigung gescheitert ist und dass die Stadt Hochtief einen Teilbetrag der ausstehenden Forderungen zahlt. Kann man sich nicht über dessen Höhe einigen, bleibt nur die Kündigung.

Hier gibt es zwei Varianten: die Kündigung aus wichtigem Grund – etwa wegen Leistungsverweigerung – und die freie Kündigung. Die Kündigung wegen Leistungsverweigerung muss aber zeitnah ausgesprochen werden. Sie hätte also bereits nach Ablauf des ersten Ultimatums der Stadt im Mai 2012 erfolgen müssen, als Hochtief das Dach nicht absenkte.

Doch die Stadt tat nichts, und auch ein zweites Ultimatum verstrich folgenlos. Um jetzt trotzdem wegen Leistungsverweigerung zu kündigen, müsste die Stadt wohl einen aktuelleren Kündigungsgrund nennen.

Kann Hochtief gegen eine Kündigung klagen?

Gegen die Kündigung selbst nicht. Bei einem Rechtsstreit, der Fachleuten zufolge fünf bis zehn Jahre dauern kann, ginge es eher um die Auslegung der Kündigung. Bei einer freien Kündigung führe Hochtief finanziell besser: Der Konzern hätte dann Anspruch auf einen großen Teil des Werklohns für die schon geleistete Arbeit. Das wäre bei einer „Kündigung aus wichtigem Grund“ anders. Hier wäre die Stadt finanziell im Vorteil.

Kann sich Hochtief weigern, die Baustelle zu verlassen?

Nein. Sollte Hochtief es versuchen, könnte man dies sofort durch einen einstweiligen Rechtsschutz stoppen. Nach einer Kündigung dreht sich der Streit allenfalls um die verbleibende Baustellen-Einrichtung.

Kann Hochtief Pläne zurückhalten?

Möglicherweise. Dann würde man sie neu erstellen.

Könnten die Architekten wegen des erneuten Verzugs, der durch die Kündigung entstünde, auf Entschädigung klagen?

Sie könnten eventuell für die Bauzeitverlängerung, die sie nicht verschuldet haben, ein Honorar beanspruchen. Das müssten sie allerdings nachweisen. Der Betrag müsste dann Hochtief in Rechnung gestellt werden.

Wie ließe sich das Gebäude ohne Hochtief fertigstellen?

Entweder sucht man einen neuen Generalunternehmer, oder man vergibt jeden Auftrag – jedes Gewerk – einzeln. Einen neuen Generalunternehmer einzusetzen, ist in diesem Fall kompliziert, weil es viele Schnittstellen gibt und man einzeln klären müsste, welche Mängel zum Beispiel aus der Vergangenheit stammen. Grundsätzlich ziehen Bauherren allerdings meist einen Generalunternehmer vor, weil sie dann nur einen Ansprechpartner haben.

Machbar ist die Einzelvergabe aber auch bei großen Projekten wie der Elbphilharmonie. Dann braucht man einen bauleitenden Architekten und einen Projektsteuerer. Diesen Part könnte in Hamburg die städtische Realisierungsgesellschaft Rege spielen. Mit ihrer 25-köpfigen Elbphilharmonie-Abteilung ist sie Fachleuten zufolge quantitativ gut bestückt, um die Einzelvergabe zu bearbeiten.

Finanziell halten sich die Variante „Generalunternehmer“ und „Einzelvergabe“ die Waage: Ein Generalunternehmer ist zwar wegen seines Risiko-Aufschlags teurer. Die günstigeren Einzelunternehmen muss man aber kosten- und personalintensiv überwachen.

Die Elbphilharmonie hat Hochtief Verluste von 15 Millionen Euro beschert. Handelt der Konzern nicht gegen die eigenen Interessen, indem er einen Bauverzug produziert, der zur Kündigung führen kann?

Schwer zu sagen. Es könnte auch sein, dass Hochtief die Kündigung provoziert, um anschließend in einem Gerichtsverfahren klären zu lassen, ob es eine freie Kündigung war. Vielleicht hofft der Konzern, dass er so ein besseres Ergebnis erzielt, als wenn er die Elbphilharmonie fertiggestellt hätte. Das heißt, der Rechtsstreit brächte keinen größeren Verlust, als das Gebäude fertigzustellen.

Könnte es sein, dass der zögerlich bauende Hochtief-Konzern nicht immer mit einer Stimme spricht?

Man kann es nicht ausschließen. Denn oft spielt bei großen Konzernen auch die interne Situation desjenigen, der für das Projekt verantwortlich ist, eine Rolle. Wenn er ein Projekt in ein Gerichtsverfahren bringt, bei dem er die Chance hat, etwas zu gewinnen, steht er bei seinem Vorstand besser da, als wenn er Verluste schreibt.

Zudem hat Hochtief – 2011 vom spanischen Konkurrenten Actividades de Construcción y Servicios übernommen – interne Schwierigkeiten: Dem Vorstandsvorsitzenden wurde gekündigt, der Aufsichtsratsvorsitzende entlassen, auch der Vorstand von Hochtief Solutions ging. Abgesehen davon kann es aber auch sein, dass Hochtief die Komplexität des Projekts Elbphilharmonie insgesamt unterschätzt hat und auch deshalb Verluste einfährt.

Würde eine Kündigung für Hochtief einen massiven Imageschaden bedeuten?

Kaum, denn es wäre nicht das erste Mal. 2010 etwa hat der private Bauherr Siedentopf GmbH, der den Weser Tower baute, Hochtief wegen technischer Querelen und Nachtragsforderungen gekündigt. Abgesehen davon kann es einem so großen Konzern gerade mit Blick auf öffentliche Bauprojekte egal sein, was die Leute denken. Denn der öffentliche Auftraggeber kann sich aufgrund des Vergaberechts seine Auftragnehmer nicht aussuchen. Wenn Hochtief also bei der nächsten großen Baumaßnahme wieder als Bieter aufträte, könnte sich der Bauherr nicht dagegen wehren. Das könnte er nur dann, wenn sich Hochtief rechtlich angreifbar machte.

Eine Kündigung im Fall Elbphilharmonie hieße also nur: Der Baukonzern, an sich für so komplizierte Aufträge bestens qualifiziert, hätte gezeigt, dass er diesen Auftrag nicht ohne Kündigung abwickeln kann.

Was würde die Kündigung für Hamburgs Image bedeuten?

Die längst fällige Korrektur. Seit Jahren wettern Medien und Volksmund über das Ungeschick, mit dem Hamburgs Senat den Nachforderungen und Baustopps von Hochtief begegnet. Längst gilt die Stadt, die zwei Ultimaten zum Weiterbau des Dachs folgenlos verstreichen ließ, als „zahnloser Tiger“.

Diese geduckte Haltung ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Stadtväter und -mütter stets betonten, wie außergewöhnlich die Elbphilharmonie-Architektur sei – und dass von ohnehin nur zwei Bietern, Strabag und Hochtief, recht bald nur einer übrig blieb. So konnte sich sowohl im Bewusstsein der Stadtväter als auch der Hochtief-Manager die Idee festsetzen, dass es ohne Hochtief nicht gehe.

Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass die Stadt Hochtief 2008, als der Ursprungs-Vertrag durch einen „Nachtrag“ korrigiert werden sollte, katzbuckelnd 30 Millionen „Einigungssumme“ zahlte, weil man einen Baustopp fürchtete.

Ungeachtet dessen hat Hochtief millionenschwere Nachforderungen gestellt und erhebliche Bauverzögerungen verursacht. Seit Oktober 2011 steht die Baustelle faktisch still, weil Hochtief die Stabilität des Dachs bezweifelte. Erst in den letzten Wochen hat Hochtief das Dach, wie gefordert, abgesenkt, um sogleich wieder zu stoppen.

Kündigte die Stadt dem Konzern, könnte sie imagemäßig nur gewinnen, weil sie endlich wieder als handlungsfähig dastünde und die Identifikation der Bevölkerung mit dem Objekt stärken würde. Immer vorausgesetzt, die Stadt baut die Elbphilharmonie dann in Eigenregie zügig und effektiv fertig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.