Gutachten zu Erdoğan in Deutschland: Demokratie erträgt Propaganda

Der türkische Präsident will in Deutschland für sein Präsidialsystem werben. Solange keine Gefahr für die Sicherheit besteht, darf er das.

Menschen mit türkischen Fahnen

Veranstaltung mit dem türkischen Ministerpräsidenten Yilderim in Oberhausen Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan will nach Deutschland kommen, um bei den hier lebenden Türken für die umstrittene Verfassungsreform zu werben. Das wurde von türkischer Seite am Wochenende angedeutet, nachdem der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım in Oberhausen dafür geworben hatte. Die NRW-Landesregierung würde das gern verhindern, sieht aber keine rechtliche Handhabe hierfür. Gibt es wirklich keine?

Wenn in Deutschland eine Veranstaltung zur türkischen Verfassungsreform stattfindet, wäre das juristisch gesehen eine durch Grundrechte geschützte Versammlung. Von diesem Schutz wäre allerdings die Teilnahme eines ausländischen Staatschefs wie Erdoğan nicht erfasst. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Münster im Juni 2016 entschieden, als es um das Verbot ging, Erdoğan per Videoleinwand in Deutschland sprechen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese restriktive Auslegung der Grundrechte wenige Tage später in einer Eilentscheidung akzeptiert.

Damit ist aber ein Auftritt von Erdoğan in Deutschland nicht per se untersagt, er könnte nur leichter verboten werden. Es gälte insofern Polizeirecht statt Versammlungsrecht. Danach könnte ein Auftritt von Erdoğan von den örtlichen Behörden verboten werden, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht. Die Videoübertragung im letzten Sommer wurde mit der Begründung untersagt, dass eine Erdoğan-Rede die Gemüter auf beiden Seiten anstacheln würde und es am Ende zu Straftaten kommen könnte. Ob diese Begründung ausreichend war, wurde letztlich nicht geklärt.

Erdoğans Werbung für ein „Ja“ im Referendum würde jedenfalls noch keine deutschen Gesetze verletzen. Das zeigt sich schon daran, dass in Deutschland sogar Wahllokale für das Referendum eingerichtet werden, die die deutsche Polizei dann schützt.

Politisches Einreiseverbot ist möglich

Jedoch könnte ein Auftritt von Erdoğan verboten werden, wenn es Anzeichen gibt, dass er zur Gewalt gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner aufruft oder diese rechtfertigt. Damit ist nach der samstäglichen Veranstaltung mit dem türkischen Ministerpräsident Benali Yıldırım in Oberhausen aber kaum zu rechnen.

Erdoğans Werbung für ein „Ja“ im Referendum würde keine Gesetze verletzen

Eine andere Frage ist, ob Er­do­ğan überhaupt nach Deutschland einreisen darf. Das ist keine Frage der deutschen Polizei, sondern der Bundesregierung. Sie kann die Einreise eines ausländischen Staatsoberhaupts jederzeit unterbinden, wenn sie das für außenpolitisch geboten hält. Das ist keine Rechtsfrage, sondern eine politische Frage. Das völlig unverhältnismäßige Vorgehen der türkischen Regierung gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner nach dem Putschversuch im letzten Sommer könnte ein Anlass dafür sein.

Im Fall von Erdoğan wäre ein solcher Schritt derzeit aber völlig undenkbar. Die Bundesregierung ist aktuell im Gegenteil besonders an guten Beziehungen zur Türkei interessiert. Die Kanzlerin trifft Erdoğan immer wieder. Dabei geht es vor allem um die Zusammenarbeit bei der Abschottung Europas gegen Flüchtlinge und Migranten und um die Rolle der Türkei in Syrien. Merkel versucht aber auch, bei Erdoğan für rechtsstaatliche Verfahren im Umgang mit tatsächlichen und angeblichen Terroristen und Terrorsympathisanten zu werben.

Ein Auftritt Erdoğans mag die Gefahr einer Polarisierung der türkischstämmigen Bevölkerung Deutschlands mit sich bringen. Ein Einreiseverbot wäre aber keine Werbung für die freiheitliche Demokratie.

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