Grüner Flüchtlingsstreit: Kopfschütteln über Özdemir

Berliner Parteifreunde kritisieren den Grünen-Chef für seine Äußerungen über die Flüchtlinge in der besetzten Schule. Eine Grüne lädt ihn jetzt dorthin ein.

Sucht eine Lösung: die Berliner Grünen-Abgeordnete Canan Bayram am Eingang der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule. Bild: dpa

BERLIN taz | Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Canan Bayram, wirkt enttäuscht. Ihr Parteichef Cem Özdemir wohnt gleich um die Ecke, vielleicht zehn Fußminuten von der politisch umkämpften Flüchtlingsschule in Berlin-Kreuzberg entfernt – doch er urteile über die Situation in seiner Nachbarschaft, ohne sich ein Bild der Lage gemacht zu haben, bemängelt Bayram: „Er hat doch meine Handynummer.“

Trotzdem habe er sich nicht ein Mal bei ihr gemeldet. Dabei wollten doch eigentlich gerade die Grünen als Partei „nah bei den Menschen“ sein. Auslöser der Irritationen unter Özdemirs Berliner Parteifreunden ist ein taz-Interview, indem sich der Grünen-Chef kritisch zur Forderung nach einem Bleiberecht für die Flüchtlinge in der besetzten Schule in der Ohlauer Straße geäußert hatte.

Die Gefahr, so der Spitzen-Realo sei, „dass das Signal gesetzt wird, wenn du Dächer besetzt und mit Selbstmord drohst, dann erreichst du mehr“. Das aber, warnte der Grünen-Chef, könne „nicht die Botschaft sein“. Denn: „Erpressung, Einsatz von Gewalt sind inakzeptabel.“ Es gebe schließlich ein staatliches Gewaltmonopol, das „nicht durch Kapuzenträger ersetzt werden“ könne.

Kurz zuvor hatte seine Co-Vorsitzende Simone Peter eine gegenteilige Position bezogen. Sie begrüßte in einer Pressemitteilung nicht nur den Kompromiss für die verbliebenen Flüchtlinge in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule, sondern versicherte: „Wir unterstützen die Flüchtlinge in ihrer Forderung nach einem Bleiberecht aus humanitären Gründen.“

Alles ein Missverständnis?

An dieser Position, bekräftigte sie Anfang der Woche, gebe es keine Zweifel. Die Forderung habe sich allerdings nicht nur auf die Flüchtlinge bezogen, die sich in der Schule verschanzt hatten, sondern auf einen viel größeren Personenkreis – also etwa auch jene Einwanderer, die zuvor schon freiwillig ausgezogen seien.

Also doch kein inhaltlicher Streit, sondern alles ein Missverständnis? Die Flüchtlingspolitikerin Bayram findet es nach wie vor „völlig daneben“, dass ausgerechnet Grünen-Chef Özdemir die Vorgänge in der Schule als „Erpressung“ bezeichnete. Bei den Flüchtlingen handele es sich nicht um Gewalttäter oder Kriminelle, sondern verzweifelte, von Abschiebung bedrohte Menschen.

Auch der Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele sagte, die Flüchtlinge hätten ihre Forderungen erst aus Angst vor einer „gewaltsamen Räumung“ gestellt. „Die haben ja nicht einfach mal so gesagt: Wenn ich in zwei Wochen keine Papiere habe, springe hier vom Dach!“, sagte Ströbele zur taz. Die Warnung, nicht eine spezielle Flüchtlingsgruppe zu bevorzugen, hält er für „eine völlig dämliche Argumentation“. Mit dieser Begründung könne man auch alle Bootsflüchtlinge auf Sizilien abweisen, „weil es noch zehn Millionen andere in Afrika gibt, denen es genauso schlecht geht“.

Die Berliner Flüchtlingspolitikerin Canan Bayram hat Özdemir nach eigenen Angaben inzwischen einen Brief geschrieben. Sie sagt: „Ich würde mir wünschen, dass er mal vorbeikommt und sich ein eigenes Bild macht.“

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