Grüne vor Europawahlkampf: Schwarz-grüne Misstöne

Die Grünen ärgern sich über CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, die Schengen kritisiert. Was heißt das für Bündnisse in Brüssel oder Berlin?

SkaKeller und Sven Giegold, Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für die Europawahl 2019, präsentieren die Kampagne ihrer Partei zur Europawahl und stehen neben einem Plakat mit der Aufschrift "Klimaschutz kennt keine Grenzen

Die Spitzenkandidaten Ska Keller und Sven Giegold werben für starke Grüne in Brüssel Foto: dpa

BERLIN taz | Der Star der Grünen für die Europawahlkampagne ist klein und flauschig, er fällt durch seinen rostroten Bürzel auf. Der Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hebt im Innenhof der Berliner Parteizentrale vorsichtig eine weiße Tafel weg, dahinter wird das Plakat zum Klimaschutz sichtbar. Darauf sind vier Vögel zu sehen, einer davon ist der Gartenrotschwanz. „Klimaschutz kennt keine Grenzen“, lautet der dazu passende Spruch.

Ökologie ist eines der Schwerpunktthemen, mit dem die Grünen bei der Europawahl am 26. Mai punkten wollen. Dabei haben sie sich einiges vorgenommen, das machten sie bei der Präsentation ihrer Kampagne am Montag deutlich. Die Grünen wollen wachsen, die Umfragen machen Lust auf mehr – oder, wie es die Spitzenkandidatin Ska Keller ausdrückte: „Wir erwarten, dass wir unsere Fraktion vergrößern können im Europäischen Parlament.“

Dafür setzt die Ökopartei auf Personalisierung. Vier Großflächenplakate sind auf Spitzenleute zugeschnitten. Ska Keller, die auch Grünen-Spitzenkandidatin in ganz Europa ist, wird mit dem Slogan „Kommt der Mut, geht der Hass“ beworben. Ihr Co-Spitzenmann Sven Giegold, ein ausgewiesener Finanzmarktexperte im EU-Parlament, soll mit seinen inhaltlichen Stärken punkten. „Europa ist ein Friedensprojekt. Kein Steuersparmodell“, heißt es auf seinem Plakat. Zwei andere Großflächen werben mit den Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Die Grünen könnten mit einem guten Ergebnis entscheidende Player in Brüssel werden. Für eine Große Koalition, also eine Zusammenarbeit der Europäischen Volkspartei (EVP) mit den europäischen Sozialdemokraten (SPE), wird es, anders als in den Jahren zuvor, wohl nicht reichen. Der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber wird ebenso wie sein sozialdemokratischer Kontrahent Frans Timmermans mit den Grünen oder den Liberalen reden müssen, um eine Mehrheit im EU-Parlament zu schmieden – und Kommissionspräsident zu werden.

Trennt sich die EVP von Orban?

Die Grünen halten sich bisher bedeckt, wen sie unterstützen würden. Aber klar ist: Eine wichtige Rolle spielt, ob die EVP weiter Ungarns Staatschef Viktor Orbán in ihren Reihen duldet. Die Konservativen wollen am Mittwoch entscheiden, ob sie Orbáns rechtsnationale Fidesz-Partei aus ihrer Parteifamilie ausschließen. Keller sagte mit Blick auf Weber und Orbán: Wer in seiner Familie eine Partei dulde, die Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit aushebele und antisemitische Kampagnen fahre, der mache sich „völlig unglaubwürdig“.

Überhaupt tun sich gerade zwischen Grünen und Konservativen Gräben auf. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer setzt Akzente, die den Grünen nicht schmecken. So veröffentlichte sie vor gut einer Woche eine Antwort auf die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Darin erteilte sie vielen Ideen eine Absage, die die Grünen sympathisch finden. Sie lehnte einen EU-weiten Mindestlohn ab, einen Eurozonen-Haushalt – ein Lieblingsprojekt des Franzosen – erwähnte sie erst gar nicht.

Der Sound Kramp-Karrenbauers irritierte die Grünen nachhaltig. So betonte sie zum Beispiel die Bedeutung der Zusammenarbeit einzelner Regierungen, statt auf die europäische Demokratie abzuheben. „Die Arbeit der europäischen Institutionen kann keine moralische Überlegenheit gegenüber der Zusammenarbeit der nationalen Regierungen beanspruchen“, schrieb Kramp-Karrenbauer. Giegold bewertete das als „Traditionsbruch“. Deutschland sei immer dafür eingetreten, dass die Regierungszusammenarbeit nach und nach durch europäische Institutionen ersetzt werde. „Jetzt macht Kramp-Karrenbauer eine Rolle rückwärts.“

AKK forderte lückenlosen Grenzschutz

Auch in der Migrationspolitik setzte Kramp-Karrenbauer zuletzt auf schärfere Töne, um zur AfD übergelaufene WählerInnen anzusprechen. Sie forderte in ihrer Reaktion auf Macron einen lückenlosen Grenzschutz. Bereits an den Außengrenzen des Schengen-Raums müsse geprüft werden, „ob ein Asylanspruch, ein Flüchtlingsstatus oder ein anderer Einreisegrund vorliegt.“

Bei einer Konferenz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung legte sie am Freitag nach. Die Frage, ob der Schengen-Raum als „Grundlage unseres gemeinsamen Binnenmarktes“ gegen „nationale Versuchungen“ aufrechterhalten werden könne, könne nur beantwortet werden, wenn Schengen auch beim Schutz der Außengrenzen vollendet werde. „Die einzigen, die Schengen derzeit perfekt nutzen, sind kriminelle Elemente und nicht die Sicherheitsbehörden.“

Schengen ein Paradies für Verbrecher? Dieser Satz verstörte die Grünen besonders, weil sie ihn als Abkehr vom Prinzip der offenen Grenzen in der EU interpretierten, von dem zehntausende Pendler täglich profitieren. Keller nannte Kramp-Karrenbauers Äußerung „unterirdisch“. Gefragt, ob die Position der CDU-Chefin Schwarz-Grün erschwere, verwies Bundesgeschäftsführer Kellner auf den Europäer Helmut Kohl. Es sei schon eine „besondere Pointe“, dass die Grünen „die Errungenschaften von Schengen und Kohl gegen Kramp-Karrenbauer verteidigen.“

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