Grüne nach der Wahl in Bayern: Die melancholischen Sieger

Die Grünen haben bei der Wahl im konservativen Bayern eine kleine Sensation hingelegt. Nun genießt die Partei die Siegesstimmung.

Die Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, geben eine Pressekonferenz vor einem grünen Tuch

Bei der Pressekonferenz der Grünen sieht alles etwas improvisiert aus – ist das ein Bettlaken? Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Die Pressekonferenz läuft schon eine Weile, da sagt Ludwig Hartmann ein paar Sätze, die das Dilemma der Grünen auf den Punkt bringen. Wäre das nicht eine Chance gewesen, fragt er fast wehmütig. Eine anstrengende zwar, aber eine lohnende? „Das Beste aus allen Welten zusammenzubringen, das wäre eine spannende Aufgabe gewesen.“ Hartmann, der Spitzenkandidat der bayerischen Grünen, redet über eine Koalition mit der CSU.

Der Raum in der Münchner Grünen-Geschäftsstelle ist fast zu klein, um die vielen Journalisten zu fassen. Alles wirkt ein bisschen improvisiert. ReporterInnen kauern auf dem Boden, die Medienwand mit dem Parteilogo sieht aus, als sei ein grünes Bettlaken über ein Holzgestell gehängt worden. Vorn erklärt das Spitzenduo Hartmann und Katharina Schulze die Lage.

Was für eine Sensation: Die Grünen haben mit 17,5 Prozent ein Ergebnis eingefahren, das sie „historisch“ nennen. Platz zwei hinter der CSU, die SPD mit 9,7 Prozent weit abgeschlagen. So etwas gab es noch nie im konservativsten aller Bundesländer, in dem Grüne lange als weltfremde Ökos verschrien waren.

Doch in der Euphorie schwingt Bitterkeit mit. Denn die starken Grünen sitzen hilflos auf der Zuschauerbank. CSU-Ministerpräsident Markus Söder präferiert ein Bündnis mit den Freien Wählern – und macht daraus kein Geheimnis.

Mut besiegt Angst

Also wieder Opposition? Hartmann weicht aus. Die Grünen, verspricht er, würden das Beste aus dem Ergebnis machen – „mit dem klaren Wunsch, dass es eine andere Politik in Bayern geben wird“. Die Wahl habe eine Zeitenwende eingeleitet: „Mut besiegt Angst.“ So sieht es auch Grünen-Chef Robert Habeck in Berlin. Seiner Partei sei es gelungen, „ganz breit zu wirken“ und über „enge Milieus“ hinaus Wähler zu gewinnen, sagt er.

In der Tat haben die Grünen in Bayern eine neue Mitte jenseits der klassischen Lager begründet. Sie wuchsen laut Infratest dimap durch 200.000 WählerInnen, die der darbenden SPD den Rücken kehrten. Dieses rot-grüne Wechselwählertum ist aus vielen Wahlen bekannt. Neu war: Auch von der CSU liefen 170.000 Menschen zu den Grünen über – ebenso wie 140.000 vormalige NichtwählerInnen. Die Grünen wirkten wie eine gesellschaftspolitische Klammer, die Milieus verbindet.

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Christian Hierneis, Grüne

„Das Direktmandat war für mich unvorstellbar“

Vor allem in den Städten hat die Ökopartei furios zugelegt. In Bayern gibt es acht Großstädte mit über 100.000 Einwohnern. Die Grünen holten dort teilweise über 20 Prozent. In München deklassierten sie die CSU geradezu. Sie gewannen in der Hauptstadt fünf Direktmandate – und eines in Würzburg.

Im Stimmkreis 108, München-Schwabing, hat Christian Hierneis dem CSUler Ludwig Spaenle das Direktmandat abgenommen. „Als ich mich beworben habe, war das Direktmandat Fantasie“, sagt Hierneis. „Für mich als Grüner in Bayern war das unvorstellbar.“

Engagierter Pragmatismus

Den Erfolg erklärt sich Hier­neis vor allem inhaltlich. „Viele Themen, die den Menschen wichtig sind, haben die anderen Parteien nicht bearbeitet. Mein Team und ich, wir machen Umwelt- und Naturschutz.“ Auch sei heute die Parteibindung nicht mehr so stark. „Die Menschen wählen, was sie für richtig halten.“

Als Mitglied einer NGO habe er mitbekommen, dass die Politik oft nicht mehr auf die Bedürfnisse der Menschen eingehe. „Aber wir sind Volksvertreter. Mein Ziel ist, dass auch die, die mich nicht gewählt haben, am Ende sagen: So schlecht war er gar nicht.“ So klingt engagierter Pragmatismus.

Anton Hofreiter, Bayer und Chef der Bundestagsfraktion, frühstückt am Montag im Café am Beethovenplatz. Frisch gepresster O-Saft und Wurstsemmeln. Auch Hofreiter, der zum linken Parteiflügel gehört, sieht eine Zeitenwende. „Zum ersten Mal seit Jahren hat der progressive Teil der Gesellschaft damit begonnen, den Rechtsdrift zurückzukämpfen.“

Hofreiter erinnert an die Großdemos der vergangenen Monate. Proteste gegen das CSU-Polizeigesetz in München, Ausgehetzt, die Unteilbar-Demo in Berlin. „Diese Stimmung hat sich jetzt in Bayern manifestiert.“

Und Schwarz-Grün?

Hofreiter war es, der vor Monaten das Ziel ausgab, die Grünen müssten die führende Kraft der linken Mitte werden. Es gebe drei Achsen, an denen sich Politik sortiere, sagt er: weltoffen und liberal versus illiberal. Links und rechts in einem sozioökonomischen Sinne. Und ökologisch versus nicht ökologisch. „Die Grünen sind auf allen drei Achsen klar positioniert“, sagt Hofreiter. „Die anderen Parteien sind gespalten.“ Deshalb sei auch die SPD so unter Druck.

Innerhalb der bayerischen Grünen sind die Gefühle ambivalent

Und Schwarz-Grün? „Söder sendet ja deutliche Signale, dass er ein ‚Weiter so‘ will“, sagt Hofreiter. „Ich halte es für falsch, dass er den Auftrag für einen Politikwechsel offenbar nicht annehmen will, kann es aber nicht ändern.“

Innerhalb der bayerischen Grünen sind die Gefühle ambivalent. Manche hoffen nach wie vor auf eine Regierungsbeteiligung – und auf gute Sondierungsgespräche mit der CSU. Aber es gibt auch die Erleichterten, die froh sind, dass dieser Kelch an ihnen vorbeizieht. Grüne-Jugend-Sprecherin Ricarda Lang sagt zum Beispiel, progressive Veränderung sei mit der CSU nicht zu machen. Die Grünen müssten eine klare Oppositionsstrategie fahren und Bündnisse mit progressiven Kräften der Zivilgesellschaft suchen.

So wie es aussieht, bleibt den Grünen in Bayern nichts anderes übrig.

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