Grüne Hochschulen von unten: Über gutes Leben und Grauhörnchen

Studierendeninitiativen sorgen dafür, dass die Lehre grüner und die Hochschule umweltfreundlicher wird. Nun wollen sie ihre Botschaft verbreitern.

Von unten wächst eine Bewegung, die Hochschulen nachhaltiger machen will Bild: Patrick Pleul / dpa

Eine grünere Universität von unten ist möglich. An der Tübinger Eberhard Karls Universität sind die Studierenden des Projekts „Greening the University“ schon weit gekommen, ihrer Alma Mater mehr Aktivitäten zum Thema „nachhaltige Entwicklung“ abzuringen und selbst anzupacken. „Statt nur über unseren Büchern zu sitzen und den Gang der Dinge zu bedauern, wollen wir aktiv das Morgen gestalten, längst überfällige Veränderungen herbeiführen und ein kleines bisschen die Welt verbessern“, ist das Credo der Gruppe, die 2007 mit 20 Aktiven begann.

Größter Erfolg, über den der Initiator der Gruppe Johannes Geibel am Montag in einer Konferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung in Berlin berichtete, ist die Einführung des Studium Oecologicum. Das Seminarprogramm zur Bildung für nachhaltige Entwicklung erreicht mit 25 Veranstaltungen im Semester mehrere Tausend der insgesamt 25.000 Studenten.

„Wir haben die Lehrveranstaltungen selbst konzipiert, inhaltlich wie methodisch“, sagt Geibel. Die Vorlesungen heißen: „Sozialökologische Transformation. Was ist das und was kann ich tun?“ oder: „Über Gerechtigkeit, Gutes Leben und Grauhörnchen“. Ein weiteres Ziel der Greening-Gruppe ist, dass die Universität „ihren ökologischen Fußabdruck auf ein umweltverträgliches Maß reduziert“, etwa sparsamer heizt und auf umweltfreundlichem Papier druckt.

„Bei uns sind die Studierenden noch im Experimentiermodus“, erklärt Paula Voigt, die an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde ihren Master für Öko-Agrarmanagement gemacht hat. „Wir haben uns sehr für ein anderes Lehrformat eingesetzt.“

Eingeführt wurden inzwischen zwei Lehrveranstaltungen in Form von Projektwerkstätten zu den Themen Permakultur und Terra Preta, eine nährstoffreiche Schwarzerde, sowie „anderes Wirtschaften“. 30 der insgesamt 2.000 Eberswalder Immatrikulierten nehmen teil. Auch in die Hochschulpolitik mischen sich die Studierenden ein. Es gibt jetzt einen Runden Tisch für Nachhaltigkeit, zu dem der Hochschulpräsident halbjährlich einlädt.

Holland ist Vorreiter

Anderswo in Europa ist die Greening-Bewegung allerdings weiter. Felix Spira, Geschäftsführer des Social-Business-Start-ups rootAbility, hat während seines Studiums an der holländischen Universität Maastricht im Jahr 2010 das Green Office mitgegründet, ein Büro für studentische Ökoprojekte, das mit 75.000 Euro aus dem Uni-Etat acht Stellen finanzieren konnte. Inzwischen haben sieben der 14 holländischen Universitäten solche Büros. „Das Potenzial für diese Angebote und die Bandbreite der Kreativität ist enorm“, hat Spira festgestellt, der den grünen Transformationsprozess der Wissenschaft auch in einer Doktorarbeit analysiert. Das Spektrum reicht von alternativen Lehrangeboten über das Schreiben von Nachhaltigkeitsberichten für die Wirtschaft bis hin zur Gründung von Ökounternehmen. Drei Green Offices gibt es inzwischen auch an britischen Universitäten.

Das erste in Deutschland ist vor wenigen Monaten an der Berliner Humboldt-Universität gestartet. „Über Pilotaktivitäten müssen wir uns keine großen Gedanken mehr machen, doch was fehlt, sind Standards für die Verbreitung im Hochschulbereich“, meint Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung, der für die Bundesregierung die deutschen Aktivitäten koordiniert.

Im Nachbarland Österreich ist eine solche Struktur bereits etabliert. Die Allianz Nachhaltiger Universitäten in Österreich wurde 2012 mit Unterstützung des Wiener Wissenschaftsministeriums gegründet. „Ein wichtiger politischer Schritt war, dass in die Leistungsvereinbarung der Hochschulen die Erstellung einer Nachhaltigkeitsstrategie verpflichtend aufgenommen wurde“, berichtet Adam Pawloff von der Wiener Universität für Bodenkultur. In eine solche Strategie gehören neben der Nachhaltigkeit in der Lehre und in der Forschung die „Betriebsökologie“ der Universität, etwa Energieverbrauch und Abfall, sowie der Wissenstransfer und die Öffentlichkeitsarbeit zu Nachhaltigkeitsthemen.

Gewaltiger Nachholbedarf

Deutschland hat jenseits der Pionieraktionen indes noch viel aufzuholen. Gerhard de Haan, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität und Vorsitzender des deutschen Nationalkomitees für die UN-Dekade „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“, hat sich die 17.000 Studiengänge an den Hochschulen näher angeschaut. Bei 120 bis 170 stieß er auf einen direkten Bezug zur Nachhaltigkeitsthematik, bei weiteren 170 gab es eine indirekte Berührung über Studienschwerpunkte. „Wenn höchstens zwei Prozent der deutschen Bachelor- und Masterstudiengänge einen Nachhaltigkeitsbezug aufweisen, ist das sehr wenig“, beurteilt de Haan die Situation in der Lehre.

Unter den Fächern dominieren Ingenieurwissenschaften mit ihren umwelttechnischen Angeboten. Die Gesellschafts- und Sozialwissenschaften sind nach de Haans Nachhaltigkeitsanalyse „immer noch randständig“. In den letzten Jahren stellt er zwar eine gewisse Dynamik der Veränderung fest, aber etwa in den Wirtschaftswissenschaften dominiere noch immer ökonomischer Mainstream. De Haan: „Der ganze Lehrbetrieb ist noch viel zu konventionell aufgestellt.“

Wie kommt aus den Nischenerfolgen nun eine Systemveränderung zustande? Ein Vorschlag war, der Nachhaltigkeitsrat solle der Hochschulrektorenkonferenz eine Nachhaltigkeitsweiterbildung für Uni-Präsidenten anbieten. Das fand zwar den Applaus der Konferenzteilnehmer, doch Generalsekretär Bachmann verzog das Gesicht: „Eine solche aufsuchende Beratung ist ein absolutes No-Go“.

Geht aber doch. Johannes Geibel hat aus seinem studentischen Netzwerk N jetzt das Projekt Wandercoaching entwickelt. Mit finanzieller Unterstützung des Bundesforschungsministeriums wurden vor drei Wochen zehn Studierende zu reisenden Beratern in Sachen Hochschulnachhaltigkeit ausgebildet. In den nächsten Monaten besuchen sie Hochschulen in Stuttgart, Erfurt, Mannheim, Nordhausen und Leipzig, um dort wie in Tübingen einen Greening-Prozess anzustoßen.

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