Große Koalition zum Doppelpass: SPD vergrätzt Türken

Berliner Türken sind enttäuscht, dass mit dem Koalitionsvertrag nun doch nicht der Doppelpass für alle kommen soll.

Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir (Mitte), demonstriert mit anderen Grünen-Aktivisten im November vor der Berliner CDU-Zentrale für den Doppelpass. Bild: dpa

Nie wieder SPD: So denken viele Berliner Türken nach der Koalitionsvereinbarung zum Doppelpass. Die Enttäuschung, dass es nun doch keine doppelte Staatsbürgerschaft für alle geben wird, sitzt tief. SPD-Chef Sigmar Gabriel habe versprochen, dass es ohne Doppelpass keinen Koalitionsvertrag geben werde, empört sich etwa Bekir Yilmaz, Präsident der türkischen Gemeinde Berlins (TGB) und SPD-Mitglied, am Donnerstag. Er werde den Koalitionsvertrag daher ablehnen bei der Mitgliederbefragung. Der Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), Hilmi Kaya Turan, sagt, so dächten viele: „Alle Sozialdemokraten, die ich kenne, werden ablehnen.“

Der zwischen SPD und CDU/CSU ausgehandelte Koalitionsvertrag legt fest, dass für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern der bisherige Optionszwang entfällt. Sie dürfen zwei Pässe, den deutschen und den des elterlichen Herkunftslandes, behalten und müssen sich nicht mehr mit 23 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Bestehen bleibt aber die Ungleichbehandlung bei älteren Ausländern: Viele dürfen zwei Staatsbürgerschaften haben, etwa EU-Ausländer und Iraner – nicht aber Türken, die größte Einzelgruppe.

Verbesserung für Junge

In Berlin leben laut Landesamt für Statistik rund 104.000 türkische Staatsbürger, dazu kommen 25.000 deutsch-türkische Doppelstaatler unter 23 Jahren. Wie die Senatsinnenverwaltung auf taz-Anfrage mitteilt, haben aufgrund der Optionspflicht seit Jahresbeginn 18 Berliner ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren, bis Jahresende müssten sich insgesamt 277 junge Menschen für eine ihrer beiden Staatsbürgerschaften entscheiden – wenn diese Regelung nicht bis dahin abgeschafft wird.

Dass dies nun geplant ist, begrüßen alle Befragten. Auch die Senatorin für Integration, Dilek Kolat (SPD) sagt, sie hätte sich zwar die doppelte Staatsbürgerschaft „ohne Wenn und Aber gewünscht, aber die Abschaffung der Optionspflicht ist ein Schritt in die richtige Richtung“.

Dennoch fühlen sich viele türkische Berliner wegen der fortgesetzten Ungleichbehandlung diskriminiert. Es sei schwer zu vermitteln, dass die erste Einwanderergeneration keinen Doppelpass bekommen soll, sagt etwa die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill. Auch Turan findet, für die gesellschaftliche Inklusion der Migranten sei die Entscheidung fatal. Schließlich könne das alte Argument der CDU, Menschen mit Doppelpass kämen in Loyalitätskonflikte, nicht mehr ernsthaft angeführt werden – da es schon jetzt viele Doppelstaatler gebe und diese mit der entfallenden Optionspflicht künftig noch mehr würden. „Die Botschaft ist daher ganz klar: Ihr seid hier nicht gewollt.“

Yilmaz ergänzt, viele türkische Migranten würden dadurch in ein „emotionales Problem“ gestürzt. Durch ganze Familien gehe ein Riss, weil die Kinder einen deutschen Pass haben, die Eltern aber nicht. Oder umgekehrt: Eine 63-jährige Kioskbesitzerin am Kottbusser Tor erzählt, sie habe sich einbürgern lassen, ihr hier geborener Sohn jedoch nicht. „Besser wäre es, beide Pässe zu haben“, findet sie.

Solange dies nicht geht, sagen die beiden Vertreter von TGB und TBB übereinstimmend, würden viele Türken der ersten und zweiten Einwanderergeneration davon Abstand nehmen, Deutsche zu werden – weil sie dann ihren türkischen Pass abgeben müssten. „Ich selbst bin so einer“, erklärt TBB-Sprecher Turan.

Tatsächlich sind die Einbürgerungszahlen unter türkischen Berlinern ernüchternd: Seit Inkrafttreten des neuen Staatsbürgerschaftsrecht Anfang 2000 haben nur gut 31.000 einen deutschen Pass beantragt und bekommen. Dabei ist davon auszugehen, dass viele der 100.000 Berliner Türken das Recht auf einen deutschen Pass hätten.

„Die Deutschen wollen uns einfach nicht. Wir schuften hier seit 50 Jahren – aber uns Türken werden sie nie akzeptieren“, sagt Ahmed, der eigentlich anders heißt und in einem Süßwarenladen am Kottbusser Tor arbeitet. Und fährt fort: „Ich habe die SPD gewählt, meine Familie hat die SPD gewählt. Wir haben darüber diskutiert: nie wieder SPD!“

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