Griechischer Vizepremier zu Syriza: „Wir bleiben eine radikale Linke“

Das Wahlprogramm war richtig, aber unrealistisch, sagt Giannis Dragasakis, Vizepremier unter Tsipras. Er spricht über Koalitionen und Prioritäten.

Giannis Dragasakis und Alexis Tsipras

Vizepremier Giannis Dragasakis und Premier Alexis Tsipras (r.). Foto: dpa

taz: Herr Dragasakis, in Athen traf ich Menschen, die wissen wollten, ob Alexis Tsipras wirklich im Euro bleiben will – was sagen Sie denen?

Giannis Dragasakis: Die Politik von Alexis Tsipras und meiner Regierung ist klar: Wir wollen in Europa bleiben! Daran gibt es keinen Zweifel, auch für mich persönlich nicht. In seiner letzten Rede sprach Tsipras von den Inhalten des Vertrages, nicht davon, ihn in irgendeiner Weise zu kündigen. Wir erklären den Menschen, wie wir diese Vereinbarung mit Europa in bester Weise nutzen wollen. Das ist nicht antieuropäisch, das ist etwas für Europa.

Laut Umfragen liegt Syriza nur hauchdünn vorn. Tsipras wollte Neuwahlen, um seine Regierung zu stärken – derzeit scheint es eher umgekehrt.

Wir sind in die Neuwahlen gegangen, weil 40 unserer Mitglieder gegen die Vereinbarung mit der Eurogruppe waren und gegen unsere Regierung stimmten. Wir können nicht ohne Mehrheit regieren. Und zu den Umfragen: In Griechenland zeigen sie keine vorhersehbaren Werte. Einige Tage vor dem Referendum dachten viele Leute, dass die Ja-Stimmen die Mehrheit bekommen würden. Aber das Ergebnis war das Gegenteil. Ich bin mir sicher, dass Syriza die meisten Stimmen auf sich vereinen wird. Die Frage ist nur: Wird das die Mehrheit?

68, war seit dem 27. Januar Vize-Ministerpräsident unter der Regierung Tsipras'. Er studierte Wirtschaftswissenschaft in Griechenland und in London und engagierte sich als Student gegen die griechische Militärdiktatur. Bis 1991 war er führendes Mitglied der Kommunistischen Partei, 1989 erstmals Abgeordneter. 1989 bis April 1990 war er Vize-Wirtschaftsminister der Regierung Xenophon Zolotas’. 2004 wurde er für Syriza gewählt, 2012 bis 2015 war er Parlamentsvizepräsident.

Wenn die konservative Nea Demokratia stärkste Partei wird, gehen Sie dann in eine Große Koalition?

Wir denken derzeit nicht über eine Regierung mit Nea Demokratia nach, denn sie ist eine der Parteien, die für die Krise in Griechenland verantwortlich ist. Was nicht heißt, dass wir nicht in wichtigen Fragen zusammenarbeiten können. Für den Fall, wir hätten gemeinsame Ziele – zum Beispiel, um die Schulden neu zu verhandeln –, könnten wir bei bestimmten Themen zusammenarbeiten, aber nicht als Regierung wie in Deutschland.

Was ist mit Pasok, den Sozialdemokraten?

Wenn wir alle Probleme bekämpfen wollen, die in der Vergangenheit entstanden sind, ist es sehr schwierig, eine Regierung mit Parteien zu bilden, die das mit verursacht haben, also mit Nea Demokratia und Pasok. Ich sage nicht, dass es innerhalb von Pasok oder Nea Demokratia keine verlässlichen Personen gibt, mit denen wir uns verständigen können. Aber wir sprechen hier über Parteien und politische Symbolik.

Also wollen Sie Koalitionen von Thema zu Thema?

Ja. Wir bitten das griechische Volk, uns die volle Mehrheit zu geben, um eine Regierung mit Ministerpräsident Tsipras zu bilden.

Sie wollen die Frage nach möglichen Koalitionen nicht beantworten?

Das ist etwas, was wir nach den Wahlen diskutieren. Griechenland braucht politische Stabilität. Und diese können wir mit Tsipras als Premierminister anbieten.

Ist Syriza naiv in die Regierung gegangen? Mit einem Schuldenberg einerseits und den vielen Versprechungen des Wahlprogramms, dem „Thessaloniki-Programm“, anderseits?

Das „Thessaloniki-Programm“ wurde im vergangenen Sommer verabschiedet, als die damalige Regierung der ND ankündigte, dass die griechischen Wirtschaftsdaten anziehen. Auf dieser Grundlage entstand das Programm, um die Gehälter zu erhöhen und die humanitäre Krise zu bekämpfen. Aber nach einigen Monaten sah die wirtschaftliche Situation ganz anders aus – sogar schlimmer. Wir haben versäumt, unser Programm zu aktualisieren. Aber die Ziele – ich bestehe darauf – sind immer noch richtig.Ehrlich gesagt, haben wir auch andere Ansätze der europäischen Partner erwartet: dass sie miteinbeziehen, dass die griechische Wirtschaft seit fünf Jahren im Chaos steckt, dass die Sparpolitik eine Menge sozialer Probleme verursacht. Wir hätten viel früher eine Einigung erreichen können. Es war nicht notwendig, sieben Monate gegeneinander zu kämpfen. Aber das ist nun Geschichte.

War das „Thessaloniki-Programm“ also unrealistisch?

Natürlich. In Bezug auf die Syriza-Ziele war es richtig, aber unrealistisch im Hinblick auf die Mittel, um diese Ziele umzusetzen.

Das „Thessaloniki-Programm“ war also ein Programm, um Wahlen zu gewinnen ?

Ja. Das können Sie sagen. Was ist daran falsch? Es war ein Programm, um Wahlen zu gewinnen und um Wege zur Umsetzung des Programms zu finden. Lassen Sie mich die Frage umkehren: Was war falsch mit dem „Thessaloniki-Programm“? Die Ziele, die Inhalte oder die Maßnahmen? Was also ist der Vorwurf? Als wir an die Macht kamen, hatte die Vorgänger-Regierung das ganze Geld schon in andere Projekte gesteckt.

Was ist Ihre Priorität, wenn Sie an der Regierung bleiben?

Zuerst müssen wir im Rahmen unserer Verpflichtungen ein neues Steuersystem für Griechenland schaffen, mit Hilfe der Justiz. Und eine effektivere öffentliche Verwaltung. Wir wollen die humanitäre Krise bekämpfen, hätten dazu gern eine Milliarde Euro eingesetzt, konnten aber nur 200 Millionen Euro ausgeben. In den nächsten drei bis fünf Jahren werden wir versuchen, mehr Ressourcen für dieses Ziel einzusetzen.

Woher kommt das Geld dafür?

Wir werden versuchen, die Steuern zu erhöhen und mehr Geld einzunehmen, als wir für das Programm brauchen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie für eine linke Regierung unter dem Diktat der Eurogruppe?

Es gibt einen Dogmatismus in der Eurogruppe, die die Bedürfnisse der Griechen ignoriert und damit die Suche nach Alternativen. So geht es auch anderen Ländern. Wir machen das, was wir unterschrieben haben. Aber auch die Eurogruppe muss sich nach den Bedürfnissen der Griechen richten. Wenn sie dogmatisch an dem Vertrag kleben und uns nicht ermöglichen, das Vertragsziel auch anders zu erreichen, dann werden wir Schwierigkeiten miteinander haben. Wenn wir sehen, dass eine Maßnahme für die Griechen starke negative Auswirkungen hat, müssen wir mit den Partnern alternative Lösungen suchen. Wichtig ist: Wir halten uns an die Vertragsziele, wollen aber die Möglichkeit, noch einmal über den Weg dorthin zu diskutieren. Wenn wir das haben, bin ich sicher, dass Europa mit den Linken klarkommt.

Ein Beispiel?

Die Eurogruppe wollte, dass wir die Mehrwertsteuer erhöhen. Eigentlich sind wir dagegen, weil die Anhebung der Mehrwertsteuer alle belastet, auch die Armen. Stattdessen wollen wir dafür sorgen, mehr Steuern einzutreiben. In Griechenland gehen jährlich 14 Milliarden Euro durch Schwarzgeld verloren. Deshalb wollten wir von der Eurogruppe technische Hilfe, um diese Steuern einzunehmen. Wir brauchen besseres Know-how. Und wenn wir es schaffen, dieses Geld einzutreiben, sollte die Eurogruppe uns auch die Chance geben, die Mehrwertsteuer wieder zu senken.

Welche Folgen hat es, dass sich der linke Syriza-Flügel abgespalten hat?

Es ist eine negative Entwicklung für unsere Partei. Aber es könnte auch eine Chance sein, Syriza zu stabilisieren, mit klaren Prinzipien, Regeln und Verpflichtungen. Wir bleiben eine radikale Linke, selbstverständlich.

Können Sie sich eine Zusammenarbeit mit Ihren Ex-Parteimitgliedern vorstellen?

Sie haben ein anderes Programm, andere Ziele und wollen den Euro verlassen. Daher kann ich mir eine Zusammenarbeit schwer vorstellen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.