Graphic-Novel über Berlin in den 20-ern: Der Fall Jysch

Arne Jysch ist mit seinen Graphic Novels auf der Erfolgsspur: Der in Brinkum aufgewachsene Künstler ist diese Woche für zwei Lesungen in der alten Heimat.

Zeichnung kommunistischer Mai-Demonstranten.

Blut-Mai: Jysch staffelt seine seine Vision der 1920-er Jahre in historische Dokumente Foto: Carlsen-Verlag

BREMEN taz | Arne Jysch musste bisher keine Enttäuschung verkraften. Dennoch begleitet ihn Nervosität bei jedem Projekt, und das gilt erst recht für seine Fassung von „Der nasse Fisch“: Jysch macht Comics, und seine 200 Seiten schlanke Adaption des mehr als doppelt so dicken gleichnamigen historischen Kriminalromans muss sich neben der Vorlage behaupten. Das sei „was Besonderes“, findet er. „Das zeigt, dass ein Umbruch in der deutschen Kultur im Gange ist. Der Comic wird anders wahrgenommen und ich bin glücklich, Teil davon zu sein.“

Der schicke Name Graphic Novel soll der Gattung zwar einen seriösen Anstrich geben, trotzdem schaffen es die Bildgeschichten hierzulande selten in den Buchhandel. Dabei bekommt Jysch geradezu euphorisches Feedback: „Es ist kaum zu glauben, wie sehr sich die Leute freuen, dass es ihren Lieblingskrimi nun auch als Comic gibt.“ Kein Zweifel, „Der nasse Fisch“ ist ein Volltreffer. Zur Leipziger Buchmesse musste kurzfristig Nachschub aus diversen Shops geordert werden und selbst nach der Extralieferung gingen einige leer aus.

Seit dem Erscheinungstermin am 28. März gab es bereits 2.000 Vorbestellungen. Für den kurzen Zeitraum eine sehr gute Nachfrage, heißt es aus dem Carlsen-Verlag. Das Publikum will wissen, wie Jysch das Bild der pulsierenden Metropole Berlin zeichnet. Er tut es so, dass der Leser Spaß am Entdecken hat. Dennoch bleibt genügend Nahrung für die Fantasie. Fliegende Projektile und spritzendes Blut lassen die Spannung stetig steigen.

Mit „Der nasse Fisch“ wagt sich Jysch an den ersten der sechs Erfolgskrimis, die Volker Kutscher schreibt und die seit 2007 am Markt sind. Der Zeichner trifft den Geschmack der Masse, weil er die passenden Zutaten vermengt: Krimistoff, aufstrebendes Genre, pulsierende Epoche. Berlin in der Zeit der Weimarer Republik ist kulturell und politisch ein Kessel Buntes zwischen Luxus und Leid, Krieg und Frieden: Jysch verleiht Kutschers Sittengemälde der Großstadt Konturen.

Berlin im Rausch

1929 taumelt Berlin im Rausch mit schrillen Klubs, schreienden Reklametafeln und kratzenden Grammofonnadeln. Der Kriminalkommissar Gereon Rath wird von Köln zur Sittenpolizei nach Berlin versetzt und gerät sofort in einen rätselhaften Mordfall. Der ehrgeizige Polizist wittert den Aufstieg zur Mordkommission. Er ermittelt auf eigene Faust, an den Kollegen vorbei.

Es ist die Kombination aus Polizeiarbeit und Stadtansicht im Roman, die den Zeichner reizen. Beides dokumentiert er mit scharfem Blick. Beobachtungsgabe hatte Jysch immer schon. Und Metropolen üben einen Sog auf ihn aus. Nur dass er in jungen Jahren nicht die Straßen Berlins erkundet, wo er heute lebt. „Bremen war für mich als Teenager die Stadt“, sagt er.

Schließlich ist Jysch in Brinkum geboren, Stuhr-Brinkum. „Ich habe meinen Führerschein auf den Bremer Straßen gemacht“, erzählt er, „war im ‚Modernes‘ tanzen und später im Steintor unterwegs, als das anfing, cool zu werden.“ Seine ersten Versuche mit bewegten Bildern wagt der Krimi-Narr, der seit den 90er-Jahren auch Geld als Storyboardzeichner, Animator und Drehbuchautor verdient, ebenfalls an der Weser: „Mein erster Kurzfilm ,Schnäppchen' wurde im Cinema am Ostertor gezeigt. Wir standen damals nächtelang am Schneidetisch im Kino 46 in Walle.“

Der Hang zur Perfektion begleitet ihn seit der Jugend. Vom neuen Werk könnte man annehmen, es wäre strategisch auf Erfolg getrimmt, weil Jysch einen Bestsellerstoff ins Bild setzt. Doch der vermeintlich ausgetüftelte Graphic-Novel-Coup basiert schlicht auf der Begeisterung zweier Männer für das Comic-Genre, Krimis und auf einer gewachsenen Freundschaft.

Als Kutscher noch keine Zeile von „Der nasse Fisch“ geschrieben hat, skizziert Jysch bereits die Umrisse einer Revue-Tänzerin und lässt Detektive in der Weimarer Republik ermitteln. Eines Tages hört er die Krimi­rezension im Radio. Sie klingt vertraut und spannend: „Den muss ich treffen“, sagt sich Jysch 2009. Es ist das Jahr, in dem er mitten in der Produktion von „Wave and Smile“ steckt.

Die Graphic Novel über den deutschen Afghanistan-Einsatz ist so weit weg von den in Trenchcoats und Al-Capone-Hüten ermittelnden Kommissaren, dass der Themenkontrast Schwindel bereitet: Von verstaubten Panzern, die sich durch karge Berglandschaften beißen, in das vom Swing flirrende Berlin der Goldenen Zwanziger. Jysch hat mit dem Zeitsprung kein Problem: „Ich mag es, in fremde Welten abzutauchen. Die Afghanistan-Recherche habe ich ebenfalls als historisch angesehen. Ich war ja nie dort.“

Der Kopfkater setzt dann während der Recherche ein. Ein Jahr lang sammelt er manisch jeden Schnipsel über die 20er-Jahre. Fotos und Filmsequenzen wachsen zu einem nicht zu bändigenden visuellen Monster. Der Künstler muss das Meisterstück zurechtfeilen und -stutzen, um die Handlung auf 200 Seiten zu pressen.

Der zeitliche Druck setzt ihm zu: Der Carlsen-Verlag gibt ihm zwei Jahre – ein knapp bemessener Zeitraum für einen Detailverliebten. Sein Qualitätsmerkmal: die Präzision, sie ist das Ticket für eine Zeitreise. Jysch führt mit fotografischer Genauigkeit durch die Hinterhöfe, in klassizistische Bahnhofshallen und auf das Polizeipräsidium „Rote Burg“.

Bauwut, Vergnügungssucht und politische Spannungen der Zeit lassen sich erahnen. In den Stuben darf das Auge verspieltes Interieur erkunden. Das macht Spaß. Für den Zeichner war es Hochleistungssport. „Ich musste mich irgendwann begrenzen, weniger Details einbringen. Bei nur zwei Jahren Produktionszeit ist ökonomisches Arbeiten notwendig.“

Farbe dauert einfach zu lange

Die Frage nach der Kolorierung erledigt sich von selbst: Farbe raubt kostbare Minuten. Jyschs pragmatische Entscheidung schmälert die Qualität nicht. Die schwarz-weiße Schattierung unterstreicht das Historische. „Volker hatte sich Farbe gewünscht. Die meisten Dokumente aus der Zeit sind aber schwarz-weiß“, erzählt Jysch, dem das Urteil des Romanvaters wichtig ist. Der bleibt entspannt, überlässt dem Künstler das Zeichnen des Storyboards. „Wir sprachen über die Figuren, er ließ mir jedoch freie Hand bei der Umsetzung.“

Und so setzt Jysch zunächst zögerlich, dann mutiger den Rotstift an. Das farbenprächtige Porträt, das Kutscher in Textform in den Köpfen der Leser entstehen lässt, füllt Jysch in schwarz-weiße Bilder. Er schafft den Balanceakt, eine spannende Dramaturgie mit üppigem Setting zu bieten und obendrein Raum für Fantasie zu lassen.

In Hamburg berichten Kutscher und Jysch gemeinsam über den Roman und den Comic, die sich wie zwei Puzzleteile ineinanderfügen. Nach Bremen kommt der Künstler allein: „Alte Freunde fragten mich, ob ich nicht in Bremen lesen könnte, das ließ sich glücklicherweise organisieren.“ So wird die Lesetour zum historischen Comic für Jysch ein heimeliger Trip in die Vergangenheit.

Arne Jysch: „Der nasse Fisch“, nach dem Roman von Volker Kutscher, 216 S., 17,99 Euro

Hamburg, 7. 4., Carlsen, Völckersstr. 14–20, 20 Uhr; Bremen, 8. 4., Friesenstr. 110, 20 Uhr

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