Graffiti mit Drohnen: Sprayer außer Kontrolle

Der Graffiti-Künstler Katsu experimentiert mit einer sprühenden Drohne. Die Ergebnisse sind unkontrolliert und zufällig.

Drohnenbild „Memory“ (2014, Ausschnitt). Bild: katsu

Gegner bedienen sich gerne derselben Waffen. Während Drohnen von staatlichen und privaten Betreibern zur Überwachung und Kriegsführung eingesetzt werden, experimentiert der New Yorker Graffiti-Artist Katsu mit der Nutzung von Drohnen, um noch die entlegensten Ecken mit Farbe zu erreichen.

Auf der Silicon Valley Contemporary Art Fair stellte der Künstler in der vergangenen Woche die fliegende Verlängerung seines Armes vor. Ein Video von der Veranstaltung zeigt, wie der mit einer Spraydose bestückte Quadrocopter vor der Leinwand auf und ab tanzt. Beschwert durch das zusätzliche Gewicht der Dose sackt er ab, schwankt, kollidiert mit der Leinwand und fängt sich wieder, den Sprühregen aus Farbe dabei immer auf das Weiß gerichtet.

Das Resultat erinnert an eine Mischung aus Pollock’schem Action Painting und Spritztechnik mit Sieb und Zahnbürste. Für den Künstler steht es jedoch für die eine Weiterentwicklung eines Genres – und für den Versuch, Mensch und Maschine gemeinsam Kunst schaffen zu lassen. „Das was ich schaffe, kann nur durch diesen bizarren Tanz zwischen mir, der versucht, die Drohne zu kontrollieren, und der Drohne, die ihr eigenes Ding macht, erreicht werden”, erklärt Katsu im Interview mit dem Center for the Study of the Drone des New Yorker Bard College.

„Ich kann nicht komplett kontrollieren, was die Drohne macht.“ Anfangs versucht er, seine Drohne ein Graffiti malen zu lassen. Der Versuch scheitert, zu sehr kämpft die Drohne mit dem zusätzlichen Gewicht, das sich beim Leeren der Dose zudem verändert. Ein Tag zeichnen, die Signatur des Künstlers, seine Reviermarke? Unmöglich. Zu gering ist die Kontrolle des Steuernden über die Drohne. Glaubt man Katsu, zeichnet gerade das sein Werk aus. Der Kontrollverlust wird zum künstlerischen Charakteristikum.

Revier markieren

Als Sprayer ist Katsu, der seine Aktionen demonstrativ als Vandalismus bezeichnet, auf einer nicht enden wollenden Suche nach neuen Wegen, mit denen er seinen Namen, sein Reviermarke, im öffentlichen Raum verbreiten kann. Aufmerksamkeit erlangte er mit dem Einsatz von umfunktionierten Feuerlöschern, die großformatige Tags auf dem Museum of Contemporary Art in Los Angeles hinterließen, aber auch der Infiltrierung des digitalen Raums.

Sein Tag findet sich im Open-World-Spiel Minecraft ebenso wie auf Picassos „Girl before a Mirror“ im New Yorker Museum of Modern Art oder vor dem Weißen Haus – nachträglich am Computer eingefügt, auf den ersten Blick aber irritierend echt. Der Einsatz einer Drohne entspringt erkennbar dem ungebrochenen Verlangen nach der Eroberung neuer Orte. Höher, weiter, größer: Die Restriktion physikalischer Gesetze lässt der Quadrocopter weitgehend hinter sich.

Gleichzeitig steht der Einsatz einer Maschine, die in ihrem Versuch, in der Luft zu bleiben, nicht nur auf den Steuerimpuls des Senders, sondern auch auf Wind und Wetter reagiere muss, für den kontrollierten Kontrollverlust. So gelingt Katsu eine gebrochene Spiegelung der Graffiti- und Street-Art-Tradition, indem er den Entstehungsprozess in den Fokus rückt – und den Zufall zum Einsatz kommen lässt. Die Maschine entzieht sich der kompletten Kontrolle, die Technik wird vom bloßen Trägermedium zum autonomen Störfaktor, ganz so wie der verdeckt operierende und verfolgte Sprayer sich den urbanen Raum autonom angeeignet hat.

Kontrollverlust durch den Einsatz von Technologie, die Differenz zwischen Werkidee und Realisation sind Konzepte, die sich auch in den Werken der Generativen Kunst, einem digitalen Spross der Fluxus-Bewegung wiederfinden. Digitalkünstler wie Manfred Mohr, Harold Cohen oder Philip Galanter speisen ihre Ideen in Systeme ein, wie Software, Algorithmen oder vorprogrammierte Maschinen und setzen so Prozesse in Gang, auf deren Verlauf sie keinen Einfluss mehr haben. In den frühen 1960ern ließ der Philosoph Desmond Paul Henry seine Zeichenmaschine den Stift führen und so ohne weiteres Zutun großflächige geometrische Muster erschaffen.

Mensch, Maschine und der Zufall

Harold Cohen versucht seit 1973, seinem Computerprogramm Aaron das eigenständige Malen beizubringen – Motiv- und Farbwahl inklusive. Manfred Mohr lässt seinen 6-D-Hyperwürfel von einer Software immer wieder neu zusammensetzen und dabei unvorstellbare Formen entstehen, Fluxus-Pate John Cage schuf Musikstücke, deren Klang völlig unabhängig vom Willen des Komponisten entstand, angestoßen durch die Wahl des Instruments, geformt aber von einem Rascheln oder Räuspern des Publikums, oder aus der Resonanz eines vorbeifahrenden Zuges – und die mitunter aus vollkommener Stille bestanden.

Form, Motiv oder Klang, so die Annahme, seien letztlich dynamisch und jederzeit wandelbar; ihr tatsächlicher Zustand ist dem mathematischen Zufall geschuldet – dem technischen Prozess, der zwischen Idee und Ausführung steht.

Für Katsu stellt der Einsatz der Drohne so letztlich auch das Konzept der Urheberschaft infrage: Wenn der Künstler die Dose, den Stift, den Taktstock nicht selbst in der Hand hat, wer ist dann für das Geschaffene verantwortlich? Für den Graffiti-Künstler liegt die Antwort auf der Hand: Mensch und Maschine sind gleichermaßen an der Entstehung des Werkes beteiligt. Es ist das Ergebnis eines Prozesses, der gleichzeitig kollaborativ und doch unkontrolliert ist.

Die Grenze zwischen Autor und Medium verschwimmt so zunehmend: zumindest im künstlerischen Verständnis. Die Eigentümer der Fassaden, die in Zukunft Ziel von Katsus künstlerischen Drohnenattacken werden könnten, werden die Frage nach der konkreten Verantwortlichkeit sicher sehr eindeutig beantworten und zu entsprechenden Gegenmaßnahmen greifen – und Gegner bedienen sich gerne derselben Waffen.

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