Gleichberechtigung im Gesundheitswesen: Ein ungesunder Herrenclub

Verschwindend wenige Frauen haben leitende Positionen im Gesundheitswesen. Schwarz-Rot lehnt gesetzliche Vorgaben zur Frauenförderung ab.

Ein Frau sticht einem Jungen eine Spritze in den Arm

Ärztinnen gibt es jede Menge, nur fast keine Vertreterinnen in Führungspositionen des Gesundheitswesens Foto: dpa

BERLIN taz | Die Diversity-Managerin einer großen gesetzlichen Krankenkasse lächelt zuversichtlich in die Kamera. „Mehr Frauen in Führungs- und Spezialpositionen“, heißt es in dem Text neben ihrem Foto im Jahresbericht der Kasse, „sind seit vielen Jahren erklärte Schwerpunkte der beruflichen Entwicklung“. So oder so ähnlich werben derzeit viele Krankenkassen um Vertrauen, dass es ihnen ernst ist mit der Gleichstellung. Doch auf das Versprechen folgt meist nicht viel: Der Frauenanteil in den Führungsebenen der Krankenkassen, in den Vorständen der Ärzte- und Zahnärztekammern und den Kassenärztlichen Vereinigungen ist eklatant niedrig.

Er spiegelt nicht annähernd den Frauenanteil unter den gesetzlich Versicherten (48 Prozent), den Krankenkassen-Angestellten (70 Prozent) oder den berufstätigen Ärzten (46 Prozent) wider. Das zeigen aktuelle, bislang unveröffentlichte Zahlen der geschäftsführenden Bundesregierung zum Frauenanteil in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, die der taz vorliegen.

Danach gab es zum Jahreswechsel 2017/2018 bei den Innungskrankenkassen (IKKen), die nach eigenen Angaben fünf Millionen Versicherte betreuen und bundesweit mehr als 600 Geschäftsstellen unterhalten, nicht eine einzige Vorstandsfrau. Bei den Ersatzkassen waren zum gleichen Zeitpunkt 7,7 Prozent der Vorstände weiblich, bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) 11,1 Prozent und bei den Betriebskrankenkassen 20,9 Prozent. Auffallend niedrig ist der Frauenanteil auch im Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen: im Vorstand 33 Prozent, auf der ersten Führungsebene 21,43 Prozent und im Verwaltungsrat 15,4 Prozent. Zum Vergleich: Der Frauenanteil unter den gesetzlich Versicherten liegt laut Regierung bei 48 Prozent.

Ähnlich schief ist das Verhältnis zwischen den berufstätigen Ärzten (46 Prozent Frauen) und ihren Vertretungen in den Landesärztekammern. Bis auf die Ärztekammer Bremen (60 Prozent) erreicht keine der Ärztekammern einen entsprechenden Frauenanteil in ihren Vorständen. Er liegt zwischen 9 Prozent (Landesärztekammer Baden-Württemberg) und 30 Prozent (Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern). Auf der ersten Führungsebene unterhalb des Vorstands sieht es noch schlechter aus: In zehn von 17 Ärztekammern findet sich hier keine einzige Frau.

Eklatant unterrepräsentiert sind Frauen auch in den Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Interessen der knapp 170.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten mit Kassenzulassung vertreten. Während der Frauenanteil unter den Vertragsärzten bei 45 Prozent liegt, verfügt die Mehrheit der Kassenärztlichen Vereinigungen über keine einzige Frau im Vorstand. Noch schlechter sieht es nur bei der Bundeszahnärztekammer aus: „Der derzeit absolute und prozentuale Frauenanteil im Vorstand (…) liegt bei null“, teilt die Regierung mit.

Kein Passus zur Frauenförderung

„Offensichtlich hat sich Schwarz-Rot damit abgefunden, dass die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ein Herrenclub ist“, schimpft die grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, die die Regierung mit einer Kleinen Anfrage überhaupt erst dazu beflügelt hat, die aktuelle Statistik zu erstellen. Dabei, so Kappert-Gonther, hätte die Regierung durchaus Steuerungsmöglichkeiten: Die meisten Organisationen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen erfüllten als Körperschaften des öffentlichen Rechts gesamtstaatliche und gemeinnützige Aufgaben der Daseinsvorsorge, manche unterlägen der Aufsicht der Bundesregierung oder einer obersten Bundesbehörde. „Eine verbindliche Frauenquote ist überfällig, damit mehr Frauen in den Chefetagen der Selbstverwaltung sitzen“, fordert die Grünen-Politikerin.

Doch davor schrecken Union und SPD zurück. Anders als im Koalitionsvertrag von 2013 findet sich im aktuellen Vertragsentwurf für die Fortsetzung ihrer Großen Koalition nicht einmal mehr ein Passus, der zumindest eine erhöhte Repräsentanz von Frauen in der Selbstverwaltung als Ziel benennt. „Gesetzliche Vorgaben zur Herstellung einer angemessenen Repräsentanz in diesen Gremien gibt es bisher nicht“, teilt die Regierung mit. Das gelte auch für die Listenaufstellungen für die Wahlen zu den Vertreterversammlungen und Verwaltungsräten im Gesundheitswesen. Auch hier trage die Regierung keine Verantwortung für den geringen Frauenanteil. Vielmehr, argumentiert Schwarz-Rot, „liegt es daher in der Hand derjenigen, die die Vorschlagslisten einreichen, durch die Listenbesetzung den Frauenanteil in den Gremien der Selbstverwaltung zu erhöhen.“

Unterzeichnet hat die 29 Seiten starke Regierungs-Statistik übrigens die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz (CDU), der Frauenförderung eine besondere Herzensangelegenheit sein sollte: Widmann-Mauz ist seit 2015 Vorsitzende der Frauen Union.

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