Ghostpop aus Großbritannien: Bassläufe, die Schmerz überwinden

Bat For Lashes verhandelt auf ihrem neuen Album das Ende einer Liebesgeschichte. Ihre Songs dechiffrieren gesellschaftliche Normen.

Eine Frau hält die Fäuste neben ihr Gesicht und verzieht grimmig den Mund

Die Künstlerin in so gar nicht romantischer Stimmung – oder ist es Trennungsschmerz? Foto: Parlophone/Warner

Das geht ja gut los: Die Braut im wallenden Kleid steht allein vor dem Altar. Brautjungfern und Priester werfen sich nervöse Blicke zu und die Hochzeitsgesellschaft auf den Kirchenbänken fängt zu tuscheln an. Wo bleibt denn nur der Bräutigam?

Genau so ein Szenario entwirft Nathasha Khan, die sich als Künstlerin Bat For Lashes nennt, in ihrem Stück „In God’s House I do wait“. Doch der zukünftige Gatte taucht einfach nicht auf. Über die Gründe klärt der anschließende Song „Honeymooning Alone“ auf: Der Liebste kommt auf dem Weg zur Hochzeit bei einem tragischen Unfall ums Leben. Zu hören sind quietschende Reifen und berstendes Metall. Aus diesem Motiv formt Natasha Khan ein ganzes Album. Es heißt „The Bride“ und nimmt den Ritus der Heirat als Aufhänger, um über die großen Fragen von romantischer Liebe, Selbstaufgabe und Pragmatismus zu meditieren.

Als autobiografisch möchte die 36-jährige Britin ihr neues Album ausdrücklich nicht verstanden wissen. Sie hätte allerdings durchaus eine interessante Geschichte zu erzählen, da ihr pakistanischer Vater versuchte, Khan im Alter von 18 zu verheiraten. „Ich habe unmissverständlich Nein gesagt. Dann war Ruhe.“

Die Liebe zum Ich

Vielmehr dechiffriert Khan, die seit ihrem Debütalbum „Fur And Gold“ (2006) zur Crème de la Crème des britischen Pop zählt, die gesellschaftlichen Normen ewiger Bindung. In der Perspektive einer vorzeitigen Witwe beschreibt die mehrfache Mercury-Prize-Gewinnerin einen Wandel: Aus der Liebe zu einer anderen Person wird sukzessive die Liebe zum eigenen Ich. Im Sinne eines inneren Monologs verzichtet Khan dabei musikalisch auf die eingängigen Momente ihrer künstlerischen Vergangenheit. „The Bride“, das ein visuelles Pendant in Khans letztjähriger ­Kurzfilmpremiere „I Do“ findet, lässt einen Instantpop-Hit wie „Daniel“ vermissen. Mithilfe dieses Synthpop-Smashers landete Bat For Lashes 2009 erstmals in den britischen Charts.

Dafür begleiten ihre Hochzeitsgeschichte in 13 Songs nun aber brodelnde Bässe, sorgsam gesetzte Beats und ihr Markenzeichen, das Cembalo. Nicht überraschend kommt Bat For Lashes damit Kate Bush sehr nahe – jenem barocken Pop-Superstar der siebziger und achtziger Jahre, mit dem Natasha Khan immer wieder verglichen wurde. „Meine Protagonistin sehnt sich nach dem bewährten Mann-Frau-Verhältnis, es ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Norm“, erklärt die Musikerin. Nach dem Heiratsantrag im Auftaktsong „I Do“ hängt der Himmel der namenlosen Frau also zunächst voller Geigen. Gemeinsame Zukunftspläne werden geschmiedet und in zuckersüße Kitschträume gegossen: „Alle grauen Wolken werden weggeweht.“

Doch das Unheil lässt nicht lange auf sich warten. Im anschließenden Song „Joe’s Dream“ gewittert es Bassläufe und der Protagonistin erscheinen die bösen Geister der Vorahnung hautnah vor dem Schlafzimmerfenster. Nach dem Autounfall zieht dann das Tempo zumindest etwas an. Düstere Postpunk-Gitarren und der Rhythmus des einsetzenden Schlagzeugs begleiten die desperate junge Frau durch die Nacht. Tränenverhangen kehrt Bat For Lashes deren innerste Traumata nach außen, wenn sie singt: „Ich werde immer das zurückgewiesene Mädchen bleiben.“ Das Suchmotiv der Autofahrt ohne konkretes Ziel wird in „Land’s End“ später erneut aufgenommen. „Das Album beginnt als Tragödie“, erklärte Natasha Khan im Internetmagazin Pitchfork. „Dann realisiert meine Protagonistin irgendwann den immensen Verlust.“

Überwindung des Schmerzes

Die zweite Albumhälfte widmet sich der Trauer und deren Verarbeitung, bis die Überwindung des Schmerzes einsetzt und ein Neuanfang möglich scheint. „The Bride ist eine klassische Blues-Story. Sie handelt von unseren Erwartungen an die Liebe und der Enttäuschung, wenn wir merken, dass eine Beziehung kein fortdauerndes Märchen ist“, erklärt die Künstlerin.

Angesichts der früheren Inkarnationen von Bat For Lashes als Mystikerin und Femme fatale, erstaunt diese eher banale Erkenntnis. Befremdlich ist auch der Rückgriff auf das etwas atavistisch anmutende Konzept von Liebesehe als inhaltliche Klammer. Wir erinnern uns: Hantierte Bat For Lashes beim Debütalbum „Fur And Gold“ noch mit jeder Menge Hexen­glitter und Waldmystik, beschäftigte sich „Two Suns“ mit dem Thema Persönlichkeitsspaltung. Khan setzte damals Kultregisseur David Lynchs surrealistischen Film „Mulholland Drive“ perfekt ins Format Ghostpop um.

„Two Suns“ war zugleich catchy und deep, besaß eine nachvollziehbare Erzählstruktur und geriet doch nie vorhersehbar. Zuletzt reüssierte Bat For Lashes gemeinsam mit der Indieband TOY, als sie 2015 unter dem Pseudonym Sexwitch obskure 60er-Jahre-Songs aus Thailand und dem Iran in psychedelische Rock-Nummern übersetzte.

2016 instrumentiert Khan ihre Songs nun so karg wie möglich. Nebulöse Streicher sowie verschleppte Piano- oder Autoharptupfer rücken an die Stelle von ausuferndem Dreampop. Die Atmosphäre rührt vor allem vom emphatischen Gesang, der bisweilen an PJ Harveys gläserne Stimme zu „White Chalk“-Zeiten erinnert. So transzendiert Bat For Lashes das Paradigma monogamer Bindung. Das mündet zeitgeistkonform in der Erkenntnis, dass ohne die Rückbesinnung auf sich selbst die Liebe heutzutage unmöglicher denn je geworden ist.

Glück unter der Decke

Zu bedauern bleibt indes, dass der innere Wandel, den die Witwe im Monolog durchlebt, nicht deutlicher auf der Klangebene herausgearbeitet wurde. Auf innere Aufruhr, Wut und Verzweiflung referiert Bat For Lashes zwar in ihren Texten sehr konsequent, akustisch verzichtet sie jedoch auf deutliche Kontraste. Die emanzipatorische Läuterung geht im spartanischen Sound unter. Nach dem folglich ziemlich plötzlichen Beschluss „I Will Love Again“ plätschert „The Bride“ mit „In Your Bed“ sogar etwas arg abgeschmackt aus.

Bat For Lashes: „The Bride“ (Parlophone/Warner)

Da hat die Protagonistin auf einmal einen neuen Lover gefunden. Statt auf Partys sucht sie ihr Glück nun unter seiner Bettdecke, derweil Schunkelklänge die neu gewonnene Harmonie untermalen. Tauscht Natasha Khan hier die märchenhafte ewige Liebesgläubigkeit gegen rein körperliche Wonnen? Im Kontext des vorherigen Melodrams, in dem die Protagonistin quasi auf Lynchs „Lost Highway“ auf die Klippen zusteuert, wirkt die Botschaft jedenfalls arg simpel.

In den Songtexten werden die Prozesse der Traumaverarbeitung recht plausibel verhandelt. Ohne Zweifel demonstriert Bat For Lashes Mut, weil sie sich eines als uncool gebrandmarkten Themas musikalisch annimmt. Als Werk wirkt „The Bride“ in sich geschlossen. Dass Khan im Sinne des Witwenpsychogramms auf eingängige Momente verzichtet – Ausnahme ist die tolle Ballade „Close Encounters“–, macht das Album jedoch ein wenig eintönig.

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