Gewerkschafter über Amazon: „Boykott ist die Ultima Ratio“

Ver.di-Sekretär Heiner Reimann begleitet Leiharbeiter in Bad Hersfeld. Er hält nichts davon, Amazon-Konten zu löschen und fordert gleichen Lohn für alle.

Noch nicht schlecht genug: Amazon findet nach wie vor genug Arbeitskräfte. Bild: dpa

taz: Herr Reimann, ist Amazon so böse, wie es jetzt wirkt?

Heiner Reimann: Amazon unterscheidet deutlich zwischen Beschäftigten bei Amazon und anderen. Innerhalb der ersten Gruppe wird zwischen befristeten und unbefristeten Verträgen unterschieden. Und diese Unbefristeten haben keinen schlechten Job. Nur sind die leider absolut in der Minderzahl – etwas über 20 Prozent deutschlandweit in der Hochsaison. Von daher geht es dem Gros der Beschäftigten bei Amazon eben nicht gut.

Wie steht’s um die befristeten Leiharbeiter?

Nicht gut. Nüchtern betrachtet unterschreiben diese Leute einen befristeten Vertrag. Sie wissen, dann und dann endet der. Aber das, was zwischendurch passiert – die Unterbringung, die Bewachung, dabei die andauernde Hoffnung auf Weiterbeschäftigung –, das macht die Leute so emotional. Sieht man davon ab, dass Leiharbeiter oft noch schlechter bezahlt werden, als in der Doku genannt. Manche kommen sogar für 5 Euro die Stunde. Ich kenne Fälle, da leben Leiharbeiter zu elft in leeren Dreizimmerwohnungen und zahlen dafür noch 200 Euro Miete.

In der ARD-Doku ist die Rede von „modernem Sklavenhandel“. Trifft das zu?

Sklavenhandel hin oder her: Was wir hier sehen, sind die schlechtesten Konditionen, die ich jemals erlebt habe. Was mit ihnen gemacht wird, nämlich sie hierher zu holen und ihnen erst dann zu sagen, dass sie nicht bei Amazon, sondern bei einer Leiharbeitsfirma angestellt sind, das hat Täuschungscharakter.

38, ist Ver.di-Gewerkschaftssekretär im Fachbereich Handel in Frankfurt/Main. Das Blog zum Konflikt: www.amazon-verdi.de

Bei Amazon sind es die Weihnachts-Leiharbeiter. Auch Spargel und Wein werden von Saisonkräften geerntet. Sind wir Nutznießer der Euro-Krise?

Amazon trennt sich von seinem umstrittenen Sicherheitsdienst. „Amazon hat veranlasst, dass die Zusammenarbeit mit dem kritisierten Sicherheitsdienst mit sofortiger Wirkung beendet wird“, sagte eine Sprecherin am Montag in München und bestätigte damit einen Bericht von sueddeutsche.de. Amazon habe „eine Null-Toleranz-Grenze für Diskriminierung und Einschüchterung – und wir erwarten das gleiche von allen Unternehmen, mit denen wir arbeiten.“ (dpa)

Ja. Die Frage ist aber auch, warum sie kommen. Offenbar herrschen bei uns noch Konditionen, die attraktiv genug sind, dass Menschen ihre Heimat verlassen. Aber wir arbeiten intensiv daran, die Bedingungen für alle Leiharbeiter zu verbessern.

Die Arbeitsministerin droht jetzt mit Konsequenzen. Welche sollten das sein?

Die Bedingungen für Leiharbeiter sollten nachgebessert und die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, etwa gleiche Bezahlung für alle, umgesetzt werden. Ein einfaches Verbot von Leiharbeitsfirmen bringt gar nichts.

Sollte man sein Amazon-Konto löschen?

Boykott ist die Ultima Ratio. Ich möchte, dass Arbeitsplätze bestehen bleiben. Aber es muss über die Bedingungen für alle Beschäftigten geredet werden: für die unbefristet Angestellten, die befristeten und die Leiharbeiter.

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