Gewalt gegen linke Politiker: Die sächsischen Vertriebenen

Sie wurden von Neonazis gejagt. Man hat ihnen das Auto angezündet. Bis linke sächsische Politiker nicht mehr konnten. Sie sind weggezogen.

Eine Illustration zeigt Exitzeichen mit verfremdeten Hakenkreuzen und das sächsische Landeswappen

Weg aus Sachsen Foto: Oliver Sperl

Es gibt ein paar Leute in Freital, die gerne auf Jagd gehen. Sie hängen an der Tankstelle ab oder in Kneipen und beobachten die Straße. Sobald jemand auftaucht, der links aussieht oder wie ein Ausländer, werden sie aufmerksam.

Die Leute, die gerne jagen, haben eine Chatgruppe für solche Momente. Sie schicken dann eine Nachricht los. Manchmal sind Gleichgesinnte in der Nähe. Sie treffen sich, verfolgen die Menschen, schreien sie an, manchmal schlagen sie zu. Es trifft dunkelhäutige Menschen, Stadträte oder linke Jugendliche. Hinterher schicken die Jäger Erfolgsmeldungen in den Chat. So erzählte es ein anonymer Zeuge nach taz-Informationen der Dresdener Polizei.

Wer sich regelmäßig mit Lokalpolitikern aus Ostdeutschland trifft, empfindet irgendwann Erstaunen. Warum geben Menschen nicht auf, obwohl sie täglich bedroht und beschimpft werden? Wie können sie jahrelang Tür an Tür mit Menschen wohnen, die ihnen den Tod wünschen?

Vier Politiker aus Sachsen, die jahrelang von der rechten Szene drangsaliert wurden, haben nach taz-Informationen in den vergangenen Monaten ihr Amt niedergelegt und ihre Heimatorte verlassen.

Eine Recherche bei den Opferberatungsstellen Deutschlands hat ergeben: Solche Fälle sind immer noch relativ selten. Allerdings gehen Berater davon aus, dass sie oft nicht davon erfahren, weil sich die Menschen dafür schämen.

Zwei der Lokalpolitiker aus Sachsen, die fortgezogen sind, wurden in den vergangenen Jahren von der taz begleitet. Sie waren auch bereit, sich an ihren neuen Wohnorten besuchen zu lassen. Die anderen beiden haben auf Anfragen nicht reagiert.

Fall I: Michael Richter

Michael Richter ist in seinem neuen Auto zum Treffen gekommen. Er ist ein bisschen stolz, als er es zeigt, denn bis zum Schluss haben seine Verfolger in Freital nicht herausgefunden, wo er den Wagen damals geparkt hat. Womöglich hat ihm das das Leben gerettet.

Es ist ein warmer Frühlingstag, die Luft ist weich, es riecht nach Wasser vom nahen See. Richter sitzt in einem Café und trinkt schwarzen Tee. Im hintersten Eck, neben der Toilette, damit nicht jeder gleich hört, was er da erzählt.

Wo das Treffen genau stattfindet, soll geheim bleiben, darum bittet Richter. Auch wenn jetzt viele hundert Kilometer zwischen ihm und den Freitaler Terroristen liegen – die rechte Szene ist gut vernetzt. Er will nicht, dass sie gleich wieder wissen, wo er wohnt. „Südliches Bayern“, sagt er. Es ist schön hier, eine Urlaubsregion. Richter ist jetzt arbeitslos, deshalb geht er oft wandern. Viele Menschen, mit denen er losziehen könnte, kennt er jedoch nicht. Manchmal besuchen ihn Freunde aus Freital.

Lief Richter in diesen Tagen durch Freital, hängten sich manchmal Menschen aus vorbeifahrenden Autos und pöbelten ihn an

Die Jagd auf Michael Richter begann im März 2015. Damals fanden die ersten Antiasyldemonstrationen in Freital statt, einer Kreisstadt südwestlich von Dresden. Richter war dort Stadtrat für die Linkspartei und organisierte den Gegenprotest. Kurze Zeit später erhielt er Morddrohungen. „Diese feige Ratte, steinigt ihn“, schrieb ein Freitaler aus der rechten Szene bei Facebook.

Kurz nach Pfingsten hatte jemand Michael Richters Wahlplakate in der Stadt abgerissen und vor dem Büro der Linkspartei abgelegt.

Lief Richter in diesen Tagen durch Freital, hängten sich manchmal Menschen aus vorbeifahrenden Autos und pöbelten ihn an. Er kenne diese Menschen nicht, gab er später bei der Polizei an.

Michael Richter war damals viel unterwegs. Er fuhr auch zu Demonstrationen. Ein VW Golf, grün, mit dem Kennzeichen FTL-OB 112. Ein Witz, sagt Michael Richter. Schließlich war er als Stadtrat die Feuerwehr für den Oberbürgermeister – er half aus, wenn es brannte.

Die Menschen aus Freital, die gerne auf Jagd gingen, begannen Richter zu verfolgen. Sie liefen ihm hinterher, fotografierten ihn und sein Auto. Das war im Mai und im Juni 2015.

Im Juli 2015 trafen sie sich in Freital vor dem Rewe-Supermarkt, um einen Anschlag auf Richters Auto zu planen. Man könne die Seitenscheibe mit einem Baseballschläger zertrümmern und dann einen tschechischen Böller und einen Rauchtopf hineinwerfen, sagte einer. „Freital soll brennen“, schrieben sie später im Chat. Sie verabredeten sich zweimal, brachen die Aktion aber wieder ab, weil der Fluchtweg unklar war.

Am 26. Juli 2015 kam Michael Richter von einer Reise zurück. Er stellte sein Auto gegen 17 Uhr auf dem Parkplatz vor seinem Haus ab. Er zog sich in seine Wohnung zurück und legte sich einige Stunden später schlafen.

Um Viertel vor eins erwachte er, weil er draußen einen Knall hörte. Er ging zum Badezimmerfenster und sah, wie aus seinem Auto eine schwarze Wolke aufstieg. Er lief die Treppe hinunter und rief die Polizei. Der Nachbar von Michael Richter fotografierte das zerstörte Auto aus seinem Fenster und schickte die Fotos per Facebook an diejenigen, die den Anschlag begangen hatten. Sie hätten ihn darum gebeten, sagte er später der Polizei. „Geile Sache, nun ist die Sau Fußgänger“, antwortete einer.

Der Fall landete auf dem Stapel Akten einer überforderten Staatsanwältin in Dresden, die keine Verbindung zu den anderen Anschlägen in Freital erkennen konnte. Die Täter blieben frei.

Zwei Wochen später wurde der Briefkasten von Michael Richter mit Bauschaum zugeklebt. „Richter, wir kriegen dich …“, stand auf einem Aufkleber, den jemand danebengeklebt hatte.

Michael Richter änderte seine Gewohnheiten. Er hatte ein neues Auto, mit dem er zur Arbeit fuhr. Aber er ging jeden Tag zu einer anderen Zeit aus dem Haus und nahm immer eine andere Route. Am Wochenende verließ er Freital, so oft es ging. Sein Zuhause war kein Zuhause mehr.

Auch ins Parteibüro der Linkspartei ging er kaum noch. Denn auch dort wurde regelmäßig eingebrochen; immer wieder wurde die Scheibe eingeschlagen oder gesprengt. Nach einem solchen Angriff hing dort eine „To-do-Liste“ mit Politikern aus Freital. Richters Name stand ganz oben, dahinter hatte jemand mit schwarzem Edding drei Häckchen gemalt.

Aus der Stadt, aus der Verwaltung erhielt er kaum Rückhalt. Der Oberbürgermeister leugnete, dass Freital ein Problem mit der rechten Szene habe. Ein Kollege im Stadtrat war bei der NPD und mit den Tätern befreundet. Es gab noch eine Handvoll Menschen, die Richter unterstützten, aber sie zogen sich immer mehr zurück. Denn auch sie wurden bedroht, sobald sie sich öffentlich äußerten. Richter meldete keine Demonstrationen mehr an.

Die Strategie der Rechtsradikalen war fast aufgegangen. Richter und seine Unterstützer schwiegen jetzt oft, sie verschwanden aus der Öffentlichkeit. Trafen sie sich doch mal zu Veranstaltungen, dann brauchten sie Sicherheitspersonal. Vor den Türen versammelte sich oft eine Gruppe von Pöblern und erwartete die Leute, die sich auf den Heimweg machten, mit Gebrüll.

Im November 2015 wurden Mitglieder der Gruppe Freital festgenommen. Im April 2016 folgte eine weitere Razzia durch die Spezialeinheit GSG 9. Der Anschlag auf Richters Auto war Teil einer ganzen Serie, bis hin zu versuchtem Mord an Flüchtlingen.

Es wurde ruhiger in der Großen Kreisstadt Freital. Aber viele, die an den Taten beteiligt waren oder die der Gruppe geholfen hatten, leben immer noch dort. Bis heute. Auch zwei derjenigen, die Richters Auto in die Luft gesprengt haben.

Michael Richter bekam im März 2017 die Akte zu seinem Fall. Darin las er, dass die Gruppe weitere Anschläge auf ihn geplant hatte. In einem Chat sprachen die Mitglieder darüber, dass Richter beim nächsten Anschlag im Auto sitzen solle. Sie planten, ihn zu töten oder zumindest schwer zu verletzen. „Richter weg und das Problem 1 ist weg“, schrieb einer.

Beim Treffen dort sagt er, dass er geblieben wäre, wenn die Verwaltung in Freital anders reagiert hätte. Aber der Oberbürgermeister der CDU habe sich nie klar gegen die rechte Szene ausgesprochen

Sie verfolgten Michael Richter wieder. Machten Fotos von ihm. Einmal bei einer Würdigung von Ehrenamtlichen, meistens aber auf der Straße. Sie erfuhren, dass sein neues Auto in einer Tiefgarage stand, aber sie wussten nicht, in welcher. Nach taz-Informationen diskutierten Mitglieder der Gruppe darüber am Telefon und im Chat.

Richter ist Sozialpädagoge. Er kommt aus Nordrhein-Westfalen und ist für die Arbeit nach Sachsen gezogen. Acht Jahre lang hat er in Freital gewohnt. Anfangs hat es ihm dort gefallen, sagt er. Ende 2017 beschließt er, die Stadt zu verlassen. Er findet eine neue Stelle in einer Klinik und zieht nach Bayern.

Beim Treffen dort sagt er, dass er geblieben wäre, wenn die Verwaltung in Freital anders reagiert hätte. Aber der Oberbürgermeister der CDU habe sich nie klar gegen die rechte Szene ausgesprochen. Richter wirkt erschöpft, als er darüber spricht. Die vergangenen Jahre haben an ihm gezehrt. Er freut sich jetzt darauf, ein wenig Ruhe zu haben.

Er will erst einmal in Bayern bleiben, obwohl es mit seiner neuen Stelle nicht geklappt hat. Nach einigen Monaten haben sie sich einvernehmlich getrennt. Richter sieht sich jetzt „als Privatier, das klingt besser als arbeitslos“. Aber er will auch wieder politisch aktiv werden und für die Linkspartei in Bayern arbeiten.

Im März 2018 wurden die Mitglieder der Gruppe Freital zu langen Haftstrafen verurteilt. Kurz nach dem Urteil wurden weitere Razzien durchgeführt. Nicht nur in Freital, sondern auch in Niedersachsen und Bayern leben weitere Unterstützer.

Eine Wohnung, die bei den Razzien durchsucht wurde, liegt im südlichen Bayern. Nicht weit weg von Richters neuem Wohnort.

Fall II: Mario Müller

Mario Müller hat lange überlegt, ob er noch einmal öffentlich über seine Erlebnisse reden möchte. Immerhin ist er ja auch deshalb umgezogen, um endlich ein friedlicheres Leben führen zu können. Tritt er wieder in Erscheinung, könnte es sein, dass es mit dem Frieden schnell vorbei ist. Deshalb spricht er hier unter Pseudonym. Da er aus einer kleinen Gemeinde kommt und dort einer der wenigen war, die sich öffentlich gegen die rechte Szene ausgesprochen haben, wird auch der Name dieser Gemeinde nicht genannt.

Zum Treffen in einer Dresdner Eisdiele kommt er mit federnden Schritten. Er bestellt sich ein großes Softeis und spricht dann erst mal eine Weile darüber, wie gut es schmeckt. Kein Vergleich zum letzten Interview: Da hatte er sich gerade in seiner Hütte im Wald verschanzt und davon erzählt, dass er Sicherungsmaßnahmen gegen Eindringlinge ergriffen hat.

Mario Müller ist heute SPD-Politiker, aber er war lange bei der Linkspartei. Seit Jahrzehnten hat er sich im antifaschistischen Umfeld in Sachsen engagiert, er hat die Szene beobachtet und Demonstrationen organisiert. Fast genauso lange haben ihn Rechtsradikale auf ihrer Liste und versuchen ihn einzuschüchtern.

Mario Müller wurde in Dresden geboren, 2001 zog er zusammen mit seinem Bruder in eine kleine Gemeinde, die etwa eine halbe Stunde entfernt liegt, weil dort seine Großeltern lebten. Ab 2008 wohnte er in einem kleinen Holzhaus im Wald.

Dieses Holzhaus brannte 2012 ab, mit fast allem, was er besaß. Es war Brandstiftung, sagte die Polizei. Müller war in dieser Zeit Anmelder von Antifa-Demos in der Region. Die Täter wurden nie gefunden.

Im Jahr 2014 wurde er im Dunkeln auf dem Weg zu seinem Auto zusammengeschlagen, wieder nachdem er eine Reihe von Demonstrationen angemeldet hatte. Auch hier wurden die Täter nie gefasst.

„Wir haben rechtsfreie Räume“, sagt Müller. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was in der Provinz abgeht. Es dauert manchmal sechzig Minuten, bis die Polizei da ist. Die Rechten verschaffen sich dann gegenseitig Alibis.“

Immer, wenn ein Pöbler anrief, pfiff Müller so lange in den Hörer, bis der Anrufer auflegte

Müller fuhr jetzt manchmal im Kreisverkehr mehrere Runden, um zu sehen, ob er verfolgt wird. Er meldete keine Demos mehr an. „Das soll mal jemand anderes machen.“

Im Jahr 2016 machte eine rechte Rockergruppe in seiner Gemeinde überregional Schlagzeilen. Müller war Gemeinderat und einer der wenigen Politiker aus dem Ort, die die Vorgänge öffentlich verurteilten. Er sprach mit Zeitungen, im Radio, er trat im Fernsehen auf. Die Stimmung im Ort nahm er als immer bedrohlicher wahr. „Am Tag der Abrechnung wirst du brennen, du roter Hund“, schrieb einer auf Facebook.

Inzwischen lag eine Trillerpfeife neben Müllers Telefon. Immer, wenn ein Pöbler anrief, pfiff Müller so lange in den Hörer, bis der Anrufer auflegte. „Man darf den Humor auch nicht verlieren“, sagte er damals.

Müller hielt sich kaum noch im Ort auf, er kam nur noch zum Schlafen nach Hause. Zum Einkaufen fuhr er in umliegende Gemeinden. Jedes Mal, bevor er in sein Auto stieg, prüfte er die Radmuttern an den Reifen. Sie waren immer wieder locker.

„Das macht einen irgendwo auch paranoid“, sagt er. „Es ist eine sehr belastende Situation, weil man keinerlei Möglichkeiten hat. Als Staatsanwalt oder hochrangiger Politiker wird man vom Landeskriminalamt geschützt. Als Gemeindevertreter überhaupt nicht.“ Müller machte seine Arbeit ehrenamtlich, 15 Euro bekam er an Aufwandsentschädigung pro Sitzung. Er fragte sich immer öfter, warum er sich das noch antat.

Anfang 2017 stürmten die rechten Rocker den Gemeinderat. „Ihr macht das eh nicht mehr lange“, riefen sie. „Wir wissen, wo ihr seid.“ Gemeint war auch Müller.

Als Mitte 2017 ein Mann sein Grundstück betrat und Fotos machte, beschloss Müller zu gehen. Er fürchtete, dass noch mal jemand Feuer legen könnte. Er verkaufte das Haus und zog in die Großstadt. Nach Dresden, dorthin, wo er aufgewachsen ist.

Letztlich waren seine Jahre in dieser Gemeinde verlorene Jahre, sagt er. Jetzt lebt er wieder im Viertel seiner Kindheit. Sein Großvater wohnt bei ihm im Haus, sein Bruder zwei Häuser weiter. „Wir können aufeinander achtgeben. Und ich kenne hier die Schleichwege und kann auch mal schnell verschwinden.“

Auch er will weiter politisch aktiv sein, vielleicht demnächst für den Landtag kandidieren. Ab und zu ist er noch in der Gemeinde und klebt Plakate. Aber er fühlt sich jedes Mal unwohl und ist froh, wenn er wieder abreisen kann.

„Die schweigende Mehrheit war das Hauptproblem“, sagt er. „Es wäre ganz anders gewesen, wenn jemand zu mir gekommen wäre und gesagt hätte: Schade, dass Sie gehen. Aber ich hatte das Gefühl, dass mich dort alle nur so schnell wie möglich loswerden wollten.“

Die Bürgermeisterin, die sich an seiner Seite gegen die rechtsradikale Szene ausgesprochen hatte, ist dort nun allein.

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