Gewalt gegen Schiris: Hilferufe aus dem kleinen Fußball

Gewalt im Amateurfußball trifft vielfach Unparteiische. In Hannover erlitt ein Schiri Verletzungen im Gesicht, in Celle will oft keiner mehr pfeifen.

Immer öfter Opfer von Gewalt: Schiedsrichter im Amateurfußball. Bild: dpa

HANNOVER taz | Das bundesweite Aufsehen, für das ein Stadtteilverein aus Hannover sorgt, findet in dieser Woche seine Fortsetzung. C-Juniorenfußballer treten auf einen 18 Jahre alten Schiedsrichter ein – mit dieser schlimmen Geschichte schafft es der Mühlenberger SV nicht nur vor Gericht, sondern sorgt auch für ganz dicke Schlagzeilen.

Das Sportgericht des Fußballkreises Hannover-Stadt muss darüber befinden, wie der Vorfall vom 6. Dezember 2014 zu bewerten ist. Sperre für die Spieler, Strafe für den Verein, Punktabzug oder sogar Disqualifikation? Zum wiederholten Mal wird ergründet, wie viel Gewalt der Amateurfußball vertragen kann und wie er mit ihr umgeht.

Es war ein simples C-Juniorenspiel auf Kreisebene. Ein vereinsfremder, 16 Jahre alter Betreuer und ein Großteil der Mühlenberger Spieler im Alter von 13 bis 14 Jahren hatten die Halbzeitpause dazu genutzt, um ihrem Frust freien Lauf zu lassen. Der Schiedsrichter muss danach wegen Gesichtsverletzungen im Krankenhaus behandelt werden.

Wer sich umhört bei Aktiven, Schiedsrichtern und Funktionären, stößt auf die Einschätzung, dass die Qualität der Gewalt zunimmt. Teenager, die einen Unparteiischen verletzen – unter all den Vorfällen auf Deutschlands Bolzplätzen ragt der mit Mühlenberger Beteiligung heraus.

Die Vereinsführung hat sich dafür entschuldigt und vier der Treter vorerst vom Training ausgeschlossen. Ob das C-Juniorenteam ganz aufgelöst wird oder Spieler den Verein verlassen müssen, wird erst nach der Sportgerichtsverhandlung entschieden.

„Wir haben eine soziale Verantwortung. Und wir möchten den Spielern nicht die Möglichkeit nehmen, sich zu integrieren“, sagt Peter Hurtzig, der 2. Vorsitzende des Mühlenberger SV.

Es ist einfach, mit dem Finger auf einen Stadtteil wie Mühlenberg zu zeigen. Viele Migranten, die ihren Weg nach Hannover gefunden haben, sind zunächst hier heimisch geworden. Das intensive Multikulti unter den rund 7.000 Einwohnern ist mit sozialen Problemen beladen, die das Image des Stadtteils prägen.

Den Tritten während eines C-Juniorenspiels, das Ermittlungen wegen Körperverletzung nach sich zieht, ist ein lauter Hilferuf des Mühlenberger SV gefolgt. Seine Vereinsführung setzt einem Mangel an Betreuung für Kinder aus sozial schwachen Familien seit Jahren ehrenamtliches Engagement entgegen.

Die Entscheider vom Stadtsportbund, der Stadtverwaltung und des Fußballkreises sind um Hilfe gebeten worden. Sie reagieren betroffen und irgendwie ratlos.

Was ungern laut gesagt wird, findet durch Untersuchungen und Studien eine traurige Bestätigung. Wenn es im Kreis der rund 6,5 Millionen Aktiven, die unter der Obhut des Deutschen Fußball-Bundes kicken, handfesten Streit gibt, zählen Spieler mit Migrationshintergrund überproportional oft zu den Tätern.

Die Kriminologin Thaya Vester hat in Tübingen rund 700 Sportgerichtsurteile ausgewertet. Sie kommt zu dem Schluss, dass Emotionen den Fußball so reizvoll machen, ihm aber auch oft zum Verhängnis werden. Die Vielzahl von Prügeleien, Spielabbrüchen und Zwischenfällen zeigt: Hier wird eine Sportart mit gesellschaftlichen Problemen überladen. Und an der Nahtstelle der Konflikte geraten immer häufiger die Schiedsrichter in Gefahr.

Im Kreis Celle ging der Unmut der Unparteiischen wegen ständiger Anfeindungen so weit, dass sie zwei Wochenenden lang die Begegnungen zwischen 4. Kreisklasse und Kreisliga boykottiert haben. Sie wollten vor allem Teams wie dem TuS Celle FC II und dem SV Dicle Celle, bei dem mehrheitlich türkische Spieler am Ball sind und die schon oft in handfeste Vorfälle verwickelt waren, Grenzen aufzeigen.

„Der Boykott war ungewöhnlich, aber für uns alternativlos. Und die Vereine haben verstanden, dass ein Umdenken stattfinden muss“, findet Schiedsrichter-Obmann Michael Frede. Über mehrere Jahre bildete der Kreis Celle in der Fairness-Tabelle des Niedersächsischen Fußball-Verbandes das Schlusslicht.

Frede ist stolz darauf, dass der Boykott etwas bewirkt hat. Die Zahl der Entgleisungen und Spielabbrüche im Kreis Celle ist gesunken. Aber nur ein Teil der Probleme konnte gelöst werden. Die Partien mit Beteiligung des SV Dicle Celle und des TuS Celle FC II finden weiter ohne offizielle Schiedsrichter stand. Die haben nämlich weiterhin keine Lust, sich auf dem Platz in Gefahr zu begeben.

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