Gesundheit künftig kommerzieller: Bock wird Gärtner

Die Unabhängige Patientenberatung steht vor dem Aus. Ein privates für Krankenkassen tätiges Callcenter soll bei medizinischen Konflikten Hilfe leisten

Unabhängige Patientenberatung ist wichtig - jetzt droht in Hamburg die Kommerzialisierung. Foto: (dpa)

Die unabhängige Patienten-Beratung in Hamburg steht vor dem Aus. Grund: Die profitorientierte Firma Sanvartis, die Callcenter für Krankenkassen betreibt, hat den Zuschlag für die im Sozialgesetzbuch verankerte Unabhängige Patientenberatung vom Gesamtverband gesetzlicher Krankenkassen (GKV) bekommen. Damit ist die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) ausgebootet worden. „Das ist extrem bitter und ein Rückschritt um 20 Jahre“, sagt Kerstin Hagemann vom Träger Patienten-Initiative eV. Die Trägerschaft war turnusmäßig neu ausgeschrieben worden.

Das Vorhaben hat scharfe Proteste ausgelöst. Der Hamburger Verein Demokratischer Pharmazeuten befürchtet eine „unwiederbringliche Zerstörung“ gewachsener Beratungsstrukturen. „Die gesetzlichen Krankenkassen versuchen, sich die Beratungsstellen unter den Nagel zu reißen“, schimpft Hamburgs Ärztekammer-Präsident Frank-Ulrich Montgomery. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) müsse verhindern, dass die unabhängige Patientenberatung in einem Callcenter verkomme. Anders als im Callcenter berät die Unabhängige Patientenberatung (UPD) telefonisch und vor Ort.

Die UPD war 2006 als bundesweites Modellprojekt als gemeinnützige GmbH aufgebaut worden, deren Gesellschafter der Sozialverband VdK Deutschland und der Bundesverband Verbraucherzentralen sind. Inzwischen gibt es 21 regionale Beratungsstellen, die kostenfrei in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen Hilfe leisten.

Die Hamburger UPD steht in der Trägerschaft der Patienten-Initiative, einer der ältesten Selbsthilfe-Initiative Deutschlands. Sie ist aus dem Skandal um den Orthopäden Rupprecht Bernbeck hervorgegangen: Dieser hatte am städtischen AK Barmbek hunderte Patienten falsch behandelt, auch Kerstin Hagemann, der er 1980 ein Hüftgelenk so einsetzte, dass sie seither an den Rollstuhl gefesselt ist. 1984 schlossen sich rund 200 ehemalige Patienten zusammen und verklagten Bernbeck. Der sogenannte „Bernbeck-Skandal“ ist in die Rechtsgeschichte eingegangen und führte zu einer Sensibilisierung für Patientenrechte. Die Stadt zahlte damals 35 Millionen DM Entschädigung an die Patienten.

Hagemann wiederum gründete die Patienten-Initative. Die ist der Patientenberatung treu geblieben. So beim Strahlenskandal am Uniklinikum Eppendorf in den 1990er-Jahren und ab 2006 für das Patientenmanagement an den Asklepios-Kliniken. „Wir erfahren bei monatlich rund 300 Beratungen mit 570 Anliegen eine hohe Zufriedenheit und Akzeptanz“, so Hagemanns Bilanz.

Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) möchte sich derzeit nicht positionieren. Das Verfahren sei wegen UPD-Widerspruchs ja noch nicht abgeschlossen, sagt Prüfer-Storcks Sprecher Rico Schmidt. „Für uns ist wichtig, dass die Patientenberatung unabhängig bleibt und gut erreichbar ist.“

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