Gentrifizierung: Kampf um den Pappelpark

Die Freireligiöse Gemeinde braucht Geld, denn sie kämpft ums Überleben. Darum will sie einen Teil ihres Friedhofs bebauen. Es formiert sich Widerstand.

Noch ist alles schön friedlich hier: Im Friedhofspark in der Pappelallee Foto: Christian Thiel

An diesem grauen Montagvormittag ist keine Menschenseele unterwegs auf dem kleinen, verwunschenen Friedhofspark zwischen Pappelallee und Lychener Straße in Prenzlauer Berg. Anke Reuther, Vorstand des Vereins der Freigeistigen Gemeinschaft, der zur Freireligiösen Bewegung gehört, steht vor dem Grabstein Wilhelm Hasenclevers und unterstreicht mit forscher Geste, welches Erbe es hier zu pflegen gilt. Der Journalist und SPD-­Politiker Hasenclever wurde bekannt, weil er mit Wilhelm ­Liebknecht den Vorwärts gründete.

„Hasenclever hat die kleinen Leute aus den Arbeiterbildungsvereinen in die Partei geholt“, erzählt Reuther, die selbst in einem sozialdemokratischen Elternhaus groß geworden ist und zu Wendezeiten bei der Gründung der Sozialdemokratischen Partei der DDR aktiv war. Aber Hasenclever und die anderen prominenten BerlinerInnen, die hier liegen, sind nicht der einzige Grund, warum Anke Reuther der Friedhofspark am Herzen liegt. Weshalb sie ihn unbedingt erhalten will.

Warum sie ihn dafür sogar teilweise bebauen würde, wenn die Gemeindemitglieder das so beschließen sollten.

Und weshalb sie sich so über eine Bürgerinitiative ärgert, die sich nun gegen diese Bebauungspläne starkmacht.

Geschenk vor der Märzrevolution

Diese 6.000 Quadratmeter stillgelegter Friedhof mit den hohen Bäumen, dem kleinen Spielplatz in der Ecke, der offenen Tür zur Pappelallee und der verschlossenen zur Lychener Straße hin gehören der Freireligiösen Bewegung seit 170 Jahren. Kurz vor der Märzrevolution schenkte der Gutsbesitzer Wilhelm Griebenow der Gemeinde das Land. Die Bewegung hatte sich gerade eben erst aus reformorientierten Kreisen der katholischen und evangelischen Kirche gegründet. Der Religionsbegriff der Freireli­giösen heute beinhaltet pantheistische und auch atheistische Positionen. Manche bezeichnen sich als Humanisten.

Doch das 20. Jahrhundert war keine leichte Zeit für die Freireligiöse Bewegung. Zur Nazizeit wurde sie verboten – und auch die DDR setzte sie nicht wieder in ihre Rechte ein. Erst 1998 erhielt die Gemeinde den Friedhof und angrenzende Gebäude zurück, in denen heute unter anderen das Ballhaus Ost mietet. Die Gebäude waren völlig runter, so Reuther, man musste schnell verkaufen. Man hätte es sich damals nicht einmal leisten können, wenn die Mieter neue Durchlauferhitzer verlangt hätten.

Die Freireligiöse Gemeinde in Ostberlin besteht aus gerade mal 30 Personen. Vom Verkauf der Gebäude in der Pappelallee mitsamt Feierhalle aus rotem Backstein, die ebenfalls vom Ballhaus Ost genutzt wird, lebt die Gemeinde, so Reuther, bis heute. Unter anderem mietet man einen Büroraum sieben Häuser weiter, in dem sich auch ein Zentrum zur Erforschung der Freireligiösen Bewegung mitsamt Bibliothek und Archiv befindet. Geld für die Instandsetzung des Friedhofs sei aus dem Verkauf nicht übrig geblieben.

Dass die Gemeinde und ihr Kampf um den Friedhof es immer wieder in die Presse schafften, hat viel mit diesem Überlebenskampf zu tun. Als die Gemeinde 1998 den Park übernahm, war er gerade von EU-Geldern instand gesetzt worden, waren noch beide Türen offen, es gab viel Transitverkehr von Fußgängern, die den Park als Abkürzung nutzten und viel Müll hinterließen.

Es kam zu Streit

Darum schloss die Gemeinde die Tür an der Lychener Straße und überließ nur ein paar Kitas Schlüssel. Es kam zu Streit. Kinder wie Eltern traten immer fordernder auf. Reuther gibt freimütig zu, dass das alles auch viel mit jener berüchtigten neuen Klientel im Kiez zu tun hat, die sich nicht nur laut dem Klischee gern mal nach Gutsherrenart benimmt.

Und nun die Bürgerinitiative. Laut Anke Reuther wurde sie von einem Anwohner aus den eigenen Reihen namens Thomas Reimer ins Leben gerufen, der, wie zu vermuten ist, nur Vereinsmitglied wurde, um diesen Bau zu verhindern. Sie fühlt sich ausspioniert. In einem Gründungsaufruf wirft Reimer der Gemeinde vor, mehr an einem lukrativen Geschäft als an dem Gartendenkmal Friedhofspark interessiert zu sein. Am Montag war er bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen.

Auch die resolute Kämpferin Anke Reuther könnte sich Schöneres vorstellen, als einen Teil des Parks zu bebauen – selbst wenn es „nur“ auf eine Häuserreihe an der Lychener Straße hinauslaufen würde. Aber für sie geht es ums Überleben der Gemeinde. Vor wenigen Jahren machte der Bezirk das Angebot, den Park instand zu setzen, wenn er öffentlich werde. Die Gemeinde, der Enteignung und Marginalisierung noch in den Knochen stecken lehnte ab.

Reuther wusste, dass auf diese Art kein Leise-Park entstehen würde. Der Leise-Park, kaum drei Kilometer weiter südlich in Prenzlauer Berg, wird oft als bestes Beispiel für ein harmonisches Nebeneinander von öffentlicher Nutzung und Gedenkkultur genannt – das Nebeneinander von Spielplatz und Grabsteinen funktioniert wunderbar. Allerdings war der Vertragspartner des Bezirks beim Leise-Park die evangelische Kirche. Und die hat eben andere Mittel als eine Gemeinde mit 30 Mitgliedern.

Geschichten über Geschichten

Viel über ihren Park zu berichten weiß Anke Reuther an diesem grauen Morgen im Park: Über ein Massengrab für 150 Menschen, die bei der Schlacht um Berlin im April und Mai 1945 ums Leben kamen. Über die Gräber von Heinrich Roller, Agnes Wabnitz, Robert Brauner. Über die Stilllegung 1970, die Verwahrlosung um 1990.

Es wäre schön, wenn der Park eines Tages die Geschichten erzählen könnte, die sie zu erzählen weiß. Und sei es zum Preis der Bebauung.

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