Gelbwesten und Kultur in Frankreich: Kein Bedarf an Leithammeln

Der Blick aus dem Ausland auf Frankreich trügt: Warum Edouard Louis keineswegs das Sprachrohr der Gelbwesten ist.

Viele Leute in gelben Westen

Bewegung ohne intellektuellen Sprecher: Gelbwesten in Paris Foto: dpa

PARIS taz | Seit zehn Wochen demonstrieren die Gilets jaunes, ohne dass sich in der Kraftprobe mit der Staatsmacht eine Entscheidung abzeichnet. Die Gesellschaft ist gespalten wie eine Klassengesellschaft, in der die Protestierenden mit ihren gelben Westen die Rolle der neuen Proletarier oder Sansculotten übernommen haben.

Die Versuchung ist groß, diese Revolte in ein bequemes altes Schema zu zwängen. Erklärungen in dieser Art sind jeden Tag in den französischen Zeitungen in der Rubrik Ideen und Meinungen zu lesen, wo abseits der Berichterstattung über die Aktualität Fachleute aller Art zu Wort kommen. Schlagzeilen aber machen sie mit ihren meist allzu erwarteten Analysen nicht. Auch die Fahndung nach einem Vordenker oder Drahtzieher bleibt vergeblich.

Die Figur des engagierten Intellektuellen à la Sartre oder Bourdieu ist Geschichte. In dieser gegenwärtigen Bewegung, die sich vehement gegen eine als arrogant und sozial desinteressiert empfundene Elite wendet, herrscht ganz offensichtlich kein Bedarf an solchen Leithammeln.

Ganz im Gegenteil provoziert jede Führungsgestalt, die bisher aus der Masse hervorgeht, sofortige Reaktionen der Ablehnung. So wie die Information horizontal in den Netzwerken zirkuliert, soll aus der Sicht der meisten Gelbwesten wohl auch die Strukturierung ihres Kampfs gegen die da oben bleiben.

Edouard Louis

„Die Angst ist auf der Seite de Mächtigen, das ist ein enormer Sieg“

Aus dem benachbarten Ausland betrachtet sucht man aber trotzdem zur Erklärung des Phänomens Intellektuelle, die mit diesen Volksprotesten auf Augenhöhe stehen. Als Emile Zola der Neuzeit wird in Deutschland ersatzweise der gegen Homophobie und Rassismus kämpfende Autor Edouard Louis (26) gefeiert.

Er beschreibt in seinem jetzt auch auf Deutsch erhältlichen Buch „Wer hat meinen Vater umgebracht“, was die Gilets jaunes selber aus Angst oder Scham nur selten von ihrer Wut über einen von Verelendung, Bevormundung und Gewalt geprägten sozialen Alltag öffentlich sagen.

Ihn aber gleich zum „Racheengel der Armen“ zu erklären, wie dies der Spiegel macht, ist allein schon deswegen fragwürdig, weil die Gelbwesten ja vorgemacht haben, dass sie mündig genug sind, um sich ohne Robin Hood für ihre Rechte zu schlagen. Nicht ein Literat spricht an ihrer Stelle, es ist die vielfältige Bewegung selber, die den sonst Sprachlosen das Wort erteilt.

Louis bekennt auf Twitter, er habe Mühe, über die Gilets jaunes zu schreiben. Er hat ihren Aufstand erhofft, aber so wenig vorausgesehen wie alle anderen. Solidarisch ist er allemal: „Die Angst ist auf der Seite de Mächtigen, das ist ein enormer Sieg“, freut er sich in einem Interview mit republik.ch. Falls er einen Rat geben kann, dann den, dass sich die Gelbwesten durch den Einwand, in ihren Reihen gebe es rassistische und schwulenfeindliche Äußerungen, nicht zum Schweigen bringen lassen.

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