Gegen zu volle Klassen: Weddinger Eltern machen Schule

Die Klassen sind zu voll, finden Elternvertretungen von acht Weddinger Schulen. Deshalb erklären sie jetzt dem Senat, wo neue Schulen entstehen könnten.

Frau Senatorin, wir hätten da mal eine Idee … Foto: dpa

Es gibt eine schlaue Regelung in der Berliner Grundschulverordnung, sie lautet zusammengefasst folgendermaßen: Die Klassengröße richtet sich nach dem sozialen Umfeld, in dem sich die Schule befindet. Will heißen: Je herausfordernder die Lernbedingungen – zum Beispiel weil viele Kinder keine Deutsch-Muttersprachler sind –, desto kleiner sollten die Klasse sein. Die Gleichung dahinter, kleinere Klassen gleich größerer Lernerfolg, liegt auf der Hand.

Konkret heißt das: Sind an einer Schule mehr als 40 Prozent der Kinder nicht Deutsch-Muttersprachler oder beziehen deren Familien Hilfe vom Jobcenter, soll nicht mehr mit 26 Kindern pro Klasse, sondern nur noch mit 21 bis 25 Kindern geplant werden.

Weil aber verfügbarer Schulraum angesichts steigender Schülerzahlen immer knapper wird, reizen die bezirklichen Schulämter und die Senatsverwaltung für Bildung diesen Spielraum inzwischen voll aus. Plante etwa der Bezirk Mitte 2014 noch mit einer Frequenz von 24 SchülerInnen pro Klasse, ist man nun bei der Obergrenze von 25 Grundschulkindern angekommen – obwohl im Wedding der Anteil von Kindern „nichtdeutscher Herkunftssprache“ in den Schulen zwischen 70 und 98 Prozent liegt.

Das wollen Weddinger Elternvertreter nun nicht länger hinnehmen: Pädagogischer „Blödsinn“ sei es, was Bezirk und Senat da planten, schäumt Jan Krebs, Elternvertreter an der Erika-Mann-Grundschule. „Wir wissen alle, wie schlecht der Wedding und Mitte insgesamt bei den Sekundarschulabschlüssen dastehen – da ist es doch grober Unfug, schon die Grundschulklassen so vollzustopfen, wie es gerade noch erlaubt ist.“

Gemeinsam mit Elternvertretungen aus acht Grundschulen hat Krebs nun eine eigene Schulraumplanung für den Wedding erstellt, die mit lediglich 21 Kindern pro Klasse rechnet – und Bezirksschulrätin Sabine Smentek (SPD) auch gleich ein paar „Diskussionsvorschläge“ beigelegt, wo im Wedding man die dann zusätzlich benötigten Grundschulen hinbauen könnte.

800 Plätze zu wenig

Denn nach der elterlichen Rechnung verfügten die Grundschulen im Wedding über rund 1.300 Schulplätze weniger, als die 25-Kinder-pro-Klasse-Planung des Schulamts annimmt – macht ein Defizit von rund 800 Schulplätzen. „Vorausgesetzt natürlich, man nimmt das eigene Schulgesetz ernst und will die Lernbedingungen nicht weiter verschlechtern“, sagt Krebs.

Denn nur weil unter anderem auch die Klassen weiter aufgestockt werden, können Bezirk und Senatsbildungsverwaltung weiterhin von einer „aktuell noch relativ ausgeglichenen Versorgungssituation“ sprechen. Was in der bezirklichen Planung dann zum Beispiel als „Verdichtung der Raumsituation“ an der Erika-Mann-Grundschule nahe dem Schillerpark auftaucht, stellt sich im Schulalltag so da: „Im vergangenen Jahr ist der Computerraum weggefallen, in diesem Jahr auch noch der Chillroom“, sagt Krebs. Auch die Probenmöglichkeiten für das Schultheater seien eingeschränkt worden – obwohl die Grundschule mit einem theaterpädagogischen Profil wirbt. Fach- und Ruheräume fallen also weg, zugleich werden die Klassenräume voller.

Nun wird natürlich auch neu gebaut. Im Wedding sollen an der Brüder-Grimm-Grundschule in der Tegeler Straße und an der Wedding-Grundschule in der Antonstraße sogenannte Modulare Ergänzungsbauten entstehen – die einzigen beiden Bauvorhaben, deren Umsetzung bereits feststeht.

Andere Baumaßnahmen, wie etwa ein Anbau für die Gottfried-Röhl-Grundschule am Schillerpark, die auf den benachbarten Parkplatz expandieren könnte, hat man lediglich „identifiziert“. Werden die „zu prüfenden Erweiterungsmöglichkeiten“ tatsächlich in die Investitionsplanung aufgenommen, sei eine „Bedarfsdeckung in der Planungsregion „Parkviertel ab 2018“ möglich, heißt es im Planungspapier des Bezirks. Vorausgesetzt, man „verdichtet“ nebenher die „Raumsituation“ ebenfalls weiter.

Mit Google Maps und Stadtplan

Elternvertreter Krebs und die anderen Eltern haben sich deshalb mit Google Maps und einem Stadtplan hingesetzt und Schulstadträtin Smentek eine Liste von Orten geschickt, wo ihrer Ansicht nach im Wedding Platz für Schulneubau wäre: zum Beispiel auf dem Gelände an der Ruheplatzstraße unweit vom Leopoldplatz, wo derzeit die Gartenaktivisten vom „Himmelbeet“ ihre Fläche haben. Zum Beispiel gegenüber der Beuth-Hochschule an der Tegeler Straße, wo derzeit ein Parkhaus steht, und auf dem ehemaligen Friedhof an der Seestraße.

Das mag ein wenig naiv klingen, war es aber offenbar nicht: Einen Teil der vorgeschlagenen Flächen habe man „natürlich schon selbst identifiziert“, sagt die Stadträtin. Allerdings gelte für die Bebauung von Friedhöfen eine langjährige „Pietätsfrist“, die „Himmelbeet“-Fläche sei für eine Sportanlage im Gespräch. Dennoch, sagt die Schulstadträtin: Man habe die Vorschläge der Eltern in eine „Projektgruppe Schulnetzplanung andiskutiert“ und müsse nun sehen, „inwieweit es gelingt, Friedhofs- bzw. Grün- und Erholungsflächen in einem Innenstadtbezirk zu bebauen“.

Das hat Smentek übrigens vor der Abgeordnetenhauswahl im September gesagt. Die SPD-Politikerin ist wieder ins Bezirksparlament gewählt worden. Die Eltern werden sie an ihren Worten messen: „Es fragt sich ja, ob man die Gegebenheiten an das Schulgesetz anpassen will – oder umgekehrt“, sagt Elternvertreter Krebs.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.