Geflüchtete in der Coronakrise: Flehen um den Notarzt

In einer Geflüchtetenunterkunft mussten Mitbewohner*innen protestieren, damit ein Mann mit Corona-Verdacht ins Krankenhaus gebracht wurde.

Menschen stecken ihre Finger durch einen Maschenzaun,

Geflüchtete, die medizinische Hilfe forderten, haben an einem Zaun gerüttelt Foto: Jens Büttner/dpa

HAMBURG taz | Sechs Stunden hätten sie auf den Notarzt warten müssen, berichten Geflüchtete aus der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung im Mecklenburg-Vorpommerschen Nostorf/Horst. Dort gab es vorigen Mittwoch einen Verdacht auf eine Corona-Erkrankung. Ein 28-jähriger Iraner hatte hohes Fieber und wollte in ein Krankenhaus gebracht werden.

Doch erst nach massivem Protest weiterer Bewohner*innen, weswegen auch die Polizei anrückte, sei es dazu gekommen, heißt es von der Geflüchteteninitiative Pro Bleiberecht. Insgesamt habe es sechs Stunden gedauert, ehe der Mann von einem Krankenwagen abgeholt wurde. „Dadurch wurden sowohl der Erkrankte als auch rund 80 Bewohner*innen gefährdet“, sagt Hanna Berth von der Initiative.

„Wie uns Bewohner*innen erzählten, sollte er mit hohem Fieber weiter in dem Sammelhaus bleiben“, sagt Berth. In dem Sammelhaus sind innerhalb des Geländes der Erstaufname Corona-Verdachtspersonen isoliert untergebracht. Das wollten aber weder der Erkrankte noch die anderen Bewohner*innen akzeptieren: Sie hätten deshalb den Feueralarm ausgelöst und am Bauzaun, der das Haus umgibt, gerüttelt.

Hinzu komme: Ein Mitbewohner habe den Erkrankten später in den Krankenwagen tragen müssen, weil Polizei und Sanitäter ihn nicht haben anfassen wollen. „Zum Schluss wurde den Asylsuchenden vom Betreiber der Einrichtung zur Strafe für den Protest das Internet abgestellt“, sagt Berth.

Der Betreiber schweigt

Betrieben wird der Einrichtung von den Malteser Werken. Dort heißt es auf Nachfrage zu den Vorwürfen, dass man sich grundsätzlich nicht äußere. Man verweist an das Innenministerium in Schwerin. Das Innenministerium hatte bereits einen Tag später eine Mitteilung zu dem Vorfall veröffentlicht, in der es allerdings vorrangig um den Grund für den Polizeieinsatz ging. Es sei zu „Tumulten, verschiedenen Sachbeschädigungen im Haus und an den außen angebrachten Absperrungen“ gekommen. Als der Erkrankte ins Krankenhaus verlegt wurde, habe sich die Lage wieder beruhigt.

Hanna Berth, Initiative Pro Bleiberecht

„Die Kritikpunkte, die wir seit Jahren äußern, verschärfen sich durch die Coronapandemie gerade nur noch.“

Die Kriminalpolizei habe deshalb die Ermittlungen wegen Sachbeschädigung und Nötigung übernommen. „Die beteiligten Asylbewerber beseitigten anschließend den von ihnen verursachten Schaden und entschuldigten sich für ihr Verhalten bei den Betreuern“, sagt Behördensprecherin Dörte Lembke.

Zugleich bestätigt das Innenministerium, dass sich die medizinische Versorgung des Mannes verzögerte. Warum das so war, könne man aber nicht genau rekonstruieren, heißt es auf Nachfrage. Ebenso wenig konnte die Ministeriumssprecherin Angaben zu den weiteren Vorwürfen von Pro Bleiberecht machen.

Wegen Vorfällen in der Erstaufnahme steht das Land nicht zum ersten Mal in der Kritik. Seit Jahren häufen sich die Vorwürfe, von der abgeschiedenen Lage des Geländes bis zu hygienischen Missständen und übergriffigem Verhalten von Mitarbeiter*innen. „Die Kritikpunkte, die wir seit Jahren äußern, verschärfen sich durch die Coronapandemie gerade nur noch“, sagt Berth. Sie kritisiert, dass Bewohner*innen, die zur Corona-Risikogruppe gehörten, auch weiterhin dort untergebracht blieben. „Sie müssten da eigentlich sofort raus“, sagt Beth.

Ex-Gelände der Nationalen Volksarmee

Ähnlich sieht es auch Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat in Mecklenburg-Vorpommern. Zwar seien manche Kritikpunkte über den Umgang mit den Geflüchteten vom Land aufgenommen worden, doch regelmäßig erfahre der Flüchtlingsrat, dass Vorgaben – etwa zur begrenzten Anzahl von Bewohner*innen, die sich ein Zimmer teilen – nicht eingehalten würden. Ob das die Regel ist? „Wir wissen zu wenig, denn seit Beginn der Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung gibt es eine Besuchssperre“, sagt Seemann-Katz.

Doch eine Schließung der beiden Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes – neben Nostorf/Horst gibt es noch eine weitere in Stern-Buchholz bei Schwerin – und die Verteilung auf die Kommunen hält das Innenministerium ebenfalls nicht für nötig. Dabei gab es in der Einrichtung in Stern-Buchholz bereits Ende März einen Ausbruch des Virus, mehr als 40 Geflüchtete und Mitarbeiter*innen hatten sich infiziert. Auch in Nostorf/Horst haben sich nach Angaben der Behörden bislang sieben Personen mit dem Coronavirus infiziert.

Durch die Möglichkeit zur Isolation von Verdachtsfällen in abgezäunten Gebäuden auf dem ehemaligen Militärgelände der Nationalen Volksarmee sieht die Behörde einen ausreichenden Schutz gewährleistet. Da­rüber hinaus würden Infizierte nach bestätigter Erkrankung in eine Ausweicheinrichtung in Parchim verlegt werden, bis sie wieder gesund seien.

Immerhin: Eine Infizierung mit dem Coronavirus habe sich bei dem Iraner nicht bestätigt, er habe das Krankenhaus am Freitag verlassen können und sei wieder in die Einrichtung gebracht worden.

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