Gefahrengebiete verfassungswidrig?: Polizeirecht auf dem Prüfstand

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht verhandelt über die Befugnisse der Polizei, in großen Gebieten die Grundrechte einzuschränken.

Widerspruch gegen den Ausnahmezustand: Protest von Gefahrengebiets-Anwohnern 2014 Bild: dpa

HAMBURG taz | Es geht um nicht weniger als das Grundgesetz: Wenn am morgigen Donnerstag das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) über verdachtsunabhängige Personenkontrollen in Gefahrengebieten verhandelt, stehen grundsätzliche Fragen im Vordergrund: „Es geht um die konkrete Verfassungsmäßigkeit von Gefahrengebieten“, sagt OVG-Sprecher Andreas Lambiris der taz.

Erörtert würden, so Lambiris weiter, alle „zugrunde liegenden Verfassungsfragen, die ja Voraussetzung für den zu verhandelnden Einzelfall aus dem Jahr 2011 waren“. Damals war ein polizeiliches Gefahrengebiet im Schanzenviertel eingerichtet worden. Bei der Beurteilung muss das Gericht aber auch jüngere Entwicklungen berücksichtigen: Auf Grundlage des Polizeigesetzes waren Anfang vorigen Jahres 80.000 HamburgerInnen über eine Woche lang unter Generalverdacht gestellt worden. Teil von Altona und St. Pauli befanden sich im polizeilichen Ausnahmezustand – angeblich, um nach einem bis heute in Frage stehenden Angriff auf die Davidwache kurz vor Silvester weitere solcher Attacken auf Polizeireviere zu verhindern.

Die Maßnahmen lösten heftige Proteste und Demonstrationen aus, die Polizei aber erreichte kaum eines ihrer Ziele: Statt der erhofften Waffen etwa beschlagnahmte nur Klobürsten und war zeitweise weltweitem Gespött ausgesetzt.

Sollte das OVG Gefahrengebiete nicht schon im Grundsatz für verfassungswidrig einstufen, könnte es ihm um einen konkreten Vorfall gehen: Am Vorabend des 1. Mai 2011 war der Aktivistin Claudia Falke im zum Gefahrengebiet erklärten Schanzenviertel ein Aufenthaltsverbot erteilt worden, obwohl sie dort wohnt . Zuvor hatte eine Polizistin Falkes Rucksack überprüft – ohne etwas zu finden. Nachdem die Aktivistin murrte, kam sie kurzerhand für eine Nacht in Gewahrsam.

Gefahrengebiete als Maßnahme zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten sind 2005 vom CDU-Senat im Polizeigesetz verankert worden.

Anders als in anderen Bundesländern beziehen sie sich nicht auf "Orte", etwa Kriminalitätsschwerpunkte, sondern auf "Gebiete" des öffentlichen Raums.

Die Ermächtigungsklausel steht besonders in der Kritik: Der Begriff "Lageerkenntnisse" der Polizei sei zu wenig konkret, um einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu rechtfertigen.

2012 verurteilte das Verwaltungsgericht das Aufenthaltsverbot und die Ingewahrsamnahme als rechtswidrig, erhob aber keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen das Gefahrengebiet selbst: In den Vorjahren sei es im Viertel am 1. Mai zu Krawallen gekommen war. Einzig Art und Umfang der polizeilichen Maßnahme nannte das Gericht sehr bedenklich.

In der Rechtsliteratur werden Gefahrengebiete seit 2014 kritisch gesehen. In einem Aufsatz schreibt Christian Ernst von der Bucerius Law School: „Der Bereich anlassunabhängiger Kontrollen wirft mehr grundrechtswesentliche Fragen auf, als mancher Landesgesetzgeber bislang Antworten erbracht hat.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.