Gefahrengebiet in Hamburg: Petersilie und Sozialismus

Die Polizei hat aus dem großen Gefahrengebiet in Hamburg drei kleinere gemacht. Der Widerstand nimmt immer vielfältigere Formen an.

Gefahrengebiets-Protest in Hamburgs Bannmeile: Polizeikritische Kissenschlacht auf St. Pauli. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Es könnte auch ein ganz normaler Abend im Hamburger Schanzenviertel sein: In der Wohlwillstraße stehen junge Leute vor dem Tabakladen, rauchen, reden. Mit ihren Rucksäcken und der dunklen Kleidung könnten sie Studenten sein, die mal eben ein Bier trinken gehen. Aber an diesem Abend ist die Kneipe um die Ecke nicht ihr Ziel, sie wollen einfach spazieren – und da endet die Normalität: Denn ein einfacher Spaziergang kann dieser Tage in Hamburg Zeichen des Protests sein, eine schwarze Kapuzenjacke ein politisches Statement.

Seit die Polizei am 4. Januar Teile der Stadt zum „Gefahrengebiet“ erklärte, diskutieren Politik und Medien, ob die verdachtsunabhängigen Kontrollen angemessen sind. Auf den Straßen hat sich währenddessen neben ganz normalen Demonstrationen, nicht immer angemeldet, ein spielerischer Widerstand organisiert: Übers Internet verabreden sich Aktivisten zum „Real Life Game“ in der „Danger Zone“. Das Ziel: Die Aufmerksamkeit der Polizeistreifen erregen, Kontrollen provozieren, das Prinzip der Überwachung ad absurdum führen.

Max hat sich von so einem Aufruf inspirieren lassen. „Die Polizei kann nicht tausende Menschen unter Generalverdacht stellen“, sagt der Versicherungskaufmann. „Nur weil ich einen dunklen Pulli trage, bin ich doch kein Gewalttäter. Hier wird eine Stimmung der Angst verbreitet.“ Er spricht mit ruhiger Stimme und sieht so gar nicht gefährlich aus.

Genauso wenig wie Johanna, die ihn begleitet. Auch sie sei bereits kontrolliert worden, erzählt die Studentin mit der bunten Mütze: „Eine Polizeieinheit hat mich und ein paar Freunde am Neuen Pferdemarkt aufgegriffen. Wir standen da nur so rum.“ Wegen ihrer Aufmachung sei sie zu Gewalttaten fähig, habe einer der Polizisten zu ihr gesagt. Auf ihre Frage nach seiner Dienstnummer habe er nur geantwortet: „Das wäre ja so, als würde ich sie nach der Größe ihrer Unterwäsche fragen.“ Johanna lacht auf, aber sie wirkt nicht belustigt.

Grundgesetz in der Tasche

Heute ist sie vorbereitet, will die Provokation auf die Spitze treiben: In ihrer Tasche hat sie allerlei, das irgendwie verdächtig sein könnte: ein Plastik-Tütchen mit Natron-Tabletten, die wie Drogen aussehen sollen, zum Beispiel. Aber auch eine Ausgabe des Grundgesetzes, die sie bei einer Kontrolle den Polizisten direkt unter die Nase halten will.

Viele der „Spaziergänger“ tragen solche Sachen bei sich, beliebt sind in Tüten abgepackte Petersilie sowie sozialistische Literatur. Albern oder kindisch finden Max und Johanna das nicht: Es sei ein Spiel mit den Stereotypen, die immer wieder mit „der linken Szene“ verbunden würden – und die der Polizeiführung nun dazu dienten, ein allzu grobes Täterprofil zu erstellen. „Peinlich“ nennen die beiden vielmehr die derzeitige Inszenierung von Macht.

Gewalt oder Krawall, davon ist an diesem Donnerstagabend nichts zu sehen im Schanzenviertel, auch Polizeiwagen sind kaum noch unterwegs. Am Nachmittag hatte die Polizeiführung das Gefahrengebiet in drei kleinere Zonen zerlegt: „Die haben echt abgerüstet“, sagt Max und klingt dabei so, als wäre von einer martialischen Militärmacht die Rede.

Bei aller Ruhe wird bei dem Rundgang eines doch spürbar: Das Klima im Schanzenviertel und auf St. Pauli hat sich verändert, viele Anwohner sind verunsichert. Zwar gehen die Meinungen darüber, was bei der großen Demonstration am 21. Dezember geschah, noch immer auseinander: Hatte das polizeiliche Vorgehen für die Eskalation gesorgt oder der gewaltbereite Teil der Demonstranten?

Auch wenn die „Spaziergänger“ nicht überall auf Zustimmung stoßen: Die ständigen Kontrollen werden von vielen Menschen hier abgelehnt. „Wenn man schon überlegen muss, was man anziehen soll und ob es in Ordnung ist, zufällig einen Korkenzieher in der Tasche zu tragen, kann ich mich hier nicht mehr wohl fühlen“, erzählt Meike, Erzieherin aus dem Schanzenviertel.

Die Grundlage für das Gefahrengebiet steht inzwischen in Frage: Der zweite Angriff auf die „Davidwache“, das weit über die Stadt hinaus bekannte Polizeirevier an der Reeperbahn, bei der ein Polizist schwer verletzt wurde, hat höchstwahrscheinlich nicht so stattgefunden, wie es die Polizei anfangs verbreitet hatte. Auch bei dem Spaziergang durch die „Danger Zone“ wird an diesem Abend immer wieder über den gezielten Gewaltakt diskutiert, der in weiten Teilen der linken Szene auf Kritik und Unverständnis gestoßen war.

„Gewalt verhindert“

Aus Sicht der Polizei sind die Kontrollen jedoch weiter notwendig: „In den ersten Tagen wurde noch viel Pyrotechnik sichergestellt und wir konnten Gewalttaten verhindern“, sagt etwa Polizeisprecher Andreas Schöpflin. Danach seien weniger „potenzielle Gewalttäter“ aufgegriffen worden – weil in Internetforen aber immer noch Angriffe auf Beamte angekündigt würden, blieben die nun verkleinerten Gefahrenzonen bis auf Weiteres in Kraft.

Für Max und seine Gruppe geht es nun weiter zu einer Fahrrad-Demo. Auf dem Weg begegnen ihnen viele, die so aussehen wie sie: Grüppchen schwarz Gekleideter mit Rucksäcken. Das Erkennungszeichen: eine Klobürste. Das Badezimmerutensil hat eine bemerkenswerte politischer Symbolkraft bekommen in den vergangenen Tagen. Die Aktivisten zitieren damit eine Szene aus einem Fernseh-Nachrichtenmagazin: Ein Polizist hatte einem jungen Mann bei einer Kontrolle eine Klobürste abgenommen. Auch Johanna hat sich noch schnell eine besorgt.

Das Klobürsten-Phänomen steht nun für zivilen Ungehorsam und friedlichen Protest. Es sei aber vor allem eine Reaktion auf die „absurde Gewaltrhetorik in Politik und Medien“, wie Thomas es ausdrückt. Der Grafiker ist direkt aus dem Büro hergekommen, in einer Hand hat er eine Klobürste, in der anderen einen Stadtplan: Darauf sind die neuen Gefahrengebiete eingezeichnet, in denen nun demonstriert werden soll. In vielen Berichten sei nur von gewaltbereiten Autonomen die Rede, sagt er. Dem solle nun widersprochen werden – durch Satire.

Die Demonstration setzt sich in Bewegung: Hunderte Räder ziehen an den Bürofassaden in der Hamburger Neustadt vorbei und bewegen sich mitten durch das Treiben zwischen Diskos und Bordellen auf St. Pauli. Die Aktion ist zuvor nicht angemeldet worden, über die Route einigen sich die Demonstranten spontan, per Zuruf.

„Die geben auch nie Ruhe“

„Vorsicht, Gefahrengebiet!“, ruft einer und lacht, als sich der Zug der Davidwache nähert. Aber dann schlagen die Demonstranten doch einen Bogen, radeln lieber durch Seitenstraßen. Die direkte Konfrontation mit der Polizei suchen sie nicht, es bleibt ein Spiel, Katz und Maus, eine Form trotziger Ungehorsamkeit. Etliche Polizisten sehen dem Treiben mit müden und ausdruckslosen Gesichtern zu, einige können sich aber auch ein Grinsen nicht verkneifen. Anwohner lehnen sich aus dem Fenster und applaudieren, einige Passanten reagieren amüsiert, andere genervt. „Die geben aber auch nie Ruhe“, schimpft ein älterer Mann im Vorbeigehen.

Auch am folgenden Tag will die Protestbewegung zeigen, wie sich der Gewaltfolklore, die in den Medien so gut läuft, andere Bilder entgegensetzen lassen: Ganz in der Nähe der Davidwache hat man für den späten Freitagnachmittag eine Schlacht anberaumt – mit Kissen.

Später an diesem Abend werden auf den Straßen von St. Pauli auch ausgemusterte Weihnachtsbäume brennen. Am Rande einer Demonstration, so heißt es später, sollen Polizisten mehrere Demonstranten verletzt haben, einen davon schwer, der „Ermittlungsausschuss“ sucht nach Zeugen dieser Vorfälle.

Aber erstmal ist die Stimmung noch ausgelassen, viele Kinder sind dabei und schon bald bedecken weiße Federn den Spielbudenplatz. „Der absurde Humor ist doch nur eine Reaktion auf die noch viel absurdere politische Situation in dieser Stadt“, sagt Thomas und wirft eine Handvoll Federn in die Luft.

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