Fußball-WM und Emanzipation: Die anderen „Nadeshiko“

Mit seinen Erfolgen bei der WM trägt das Nationalteam viel dazu bei, Rollenbilder in der japanischen Gesellschaft aufzuweichen.

Japanische Spielerinnen

Wieder mal gewonnen und nebenbei auch noch Rollenbilder verändert: japanische Spielerinnen in Kanada Foto: ap

TOKIO taz | Überall in Japan wird in diesen Tagen von den „Nadeshiko“ gesprochen. Es ist der Spitzname der japanischen Fußballerinnen. Und es ist gewiss nicht zufällig ein Synonym für das traditionelle Frauenideal, also eine geduldige, dienende, charmante Dame.

Da diese „Nadeshiko“ nun aber Japans einzige realistische Hoffnung auf einen WM-Titel im Fußball sind, der allmählich Baseball als beliebtesten Sport des Landes ablöst, fiebern auch die japanischen Machos mit. „Wir müssen uns vor niemandem mehr dafür rechtfertigen, dass wir Fußball spielen“, sagt Homare Sawa heute selbstbewusst.

Die Anführerin der Mannschaft, die vor vier Jahren zur Spielerin des Turniers gekürt wurde, ist die Personifizierung des japanischen Frauenfußballs – auch wenn sie bei dieser WM nur noch als Ergänzungsspielerin zum Einsatz kommt. Bald jeder Japaner kennt die 36-Jährige, für die es schon die sechste WM ist. Aber als sie als Siebenjährige anfing, musste sie mit dem großen Bruder kicken, weil es für Mädchen keine Mannschaften gab.

Vier Jahre ist es her, dass die japanischen Nationalspielerinnen Spiel für Spiel ein Danke-Banner durch die deutschen WM-Stadien trugen. Darauf stand: „An unsere Freunde auf der ganzen Welt: Danke für eure Unterstützung.“ Sie konnten es immer wieder rausholen, denn sie gewannen ein Spiel nach dem anderen. Im Finale in Frankfurt kämpften sich die Japanerinnen sogar ins Elfmeterschießen – und schlugen den Favoriten USA am Ende verdient.

Obwohl die japanischen Fußballerinnen auf dem asiatischen Kontinent schon länger führend waren, wunderte sich die Welt doch ziemlich – es handelte sich um eine fußballerische Sensation mit einer humanitären Note.

Kein Außenseiter mehr

Nicht bloß hatte vorher noch nie eine japanische Fußballauswahl eine Weltmeisterschaft gewonnen. Den Überraschungssieg erreichten sie überdies vier Monate nach der verheerendsten Katastrophe Japans in den letzten Jahrzehnten. Am 11. März 2011 war über die Nordostküste nach einem schweren Erdbeben ein Tsunami mit teils über 20 Meter hohen Wellen hereingebrochen. Knapp 20.000 Menschen starben.

Und als wäre das nicht genug gewesen, schmolzen im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi auch noch drei Reaktorkerne, die bis heute kaum unter Kontrolle sind. Im Licht der Katastrophe mussten 300.000 Menschen umgesiedelt werden, und wegen des Strommangels musste die Nationalmannschaft abends ohne Flutlicht trainieren. Die WM-Vorbereitung war schwierig, das Team holte dennoch den WM-Titel. Ihren Unterstützern und Bewunderern galt das Danke-Banner.

Nach einem komfortablen Gang durch Gruppenphase und Ausscheidungsrunde stehen die Japanerinnen erneut im Finale, wie schon 2011 geht es gegen die USA. Außenseiter ist Japan diesmal aber nicht. In bisher jedem Spiel zeichnete sich das Team durch ein kontrolliertes Spiel und viel Geduld aus – sie spielt also im gleichen Stil, wie vor vier Jahren die USA bezwungen wurden.

Mehr Frauen für den Arbeitsmarkt

In der fernöstlichen Heimat ist die Einstellung ohnehin positiv: Länderspiele der Frauen werden regelmäßig live im Fernsehen übertragen, laufen in Bars, man spricht über die Erfolge. Die Titelverteidigung galt schon vor dem Turnier als schwierig, nicht aber als unwahrscheinlich. „Wir treten als Herausforderer mit guten Karten an“, hat Trainer Norio Sasaki gesagt. Mit dem Sieg 2011 hat sich denn auch das Interesse im Land für seine Fußballerinnen enorm verstärkt. In den Schulen boomt der Mädchenfußball, immerhin die Führungsspielerinnen sind Vollprofis, haben Werbeverträge und treten im TV-Shows auf. Dieser Tage weiß der Durchschnittsjapaner, dass WM ist – und Japan gewinnen könnte.

Vor vier Jahren war das noch nicht unbedingt so. Schließlich bestimmt die traditionelle Rollenaufteilung der Geschlechter, wonach der Mann für das Einkommen sorgt und die Frau für den Haushalt, weiterhin die Gesellschaft. Bis heute diskriminiert kaum ein Industrieland in Sachen Wirtschaft und Politik derart stark nach Geschlecht wie Japan.

Wer sich in Sachen Frauenfußball und Fifa nicht hinters Licht führen lassen will, sollte vom 6. Juni bis zum 5. Juli 2015 unbedingt die taz lesen. Wir berichten täglich auf ein bis zwei Seiten nicht nur übers Geschehen auf dem Platz, sondern auch über Hintergründiges, Politisches, Schrilles und Schräges.

Gerade wegen des aktuellen Fifa-Skandals wollen wir genau auf diese WM schauen. Vor Ort macht das taz-Redakteurin Doris Akrap, in Berlin kümmern sich Johannes Kopp (Sportredakteur), Martin Krauss (Pauschalist), Ronny Müller (Volontär), Richard Noebel (Layout), Sebastian Raviol (Praktikant), Andreas Rüttenauer (Chefredakteur) und Markus Völker (Sportredakteur) um die Fußball-WM.

Mittlerweile sind die „Nadeshiko“ auch von politischem Wert. Um das Wirtschaftswachstum im Land zu fördern, will Japans Premierminister Shinzo Abe mehr Frauen voll in den Arbeitsmarkt integrieren. „Die Frauen sind Japans am stärksten ungenutzte Ressource“, hat er mehrmals verkündet. Für den Erfolg seiner Bemühungen, denen vor allem die alten Rollenbilder und Vorurteile der Arbeitgeber gegenüberstehen, braucht Abe überzeugende Rollenmodelle. Die amtierenden Weltmeisterinnen eignen sich bestens dafür.

Vor allem dann, wenn sie noch einmal gewännen. In den Bars von Tokio spottet man deshalb schon: Gelingt die Titelverteidigung wirklich, müssten nicht mehr die „Nadeshiko“ mit einem Danke-Banner durch das Stadion laufen. Shinzo Abe sollte dann mit so einem Spruch durchs Parlament stolzieren: „Danke für eure Unterstützung.“

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