Frischfleisch von der Weide: Flauschig, aber tot

Die Zahl der von Wölfen getöteten Schafe steigt. In Niedersachsen wird schon wieder laut über den Abschuss nachgedacht.

Schafe im Heidekreis bei Walsrode

Noch am Leben: Schafe im Heidekreis bei Walsrode Foto: Michael Bahlo

„DNA-Nachweis: Wolf hat Schafe getötet“ – die Überschrift liest sich wie ein norddeutscher Deichkrimi. Es gibt einen leicht identifizierbaren Bösewicht, eingewandert noch dazu! Der polnische Wolf, mittlerweile in Niedersachsen heimisch, hat sich unkontrolliert fortgepflanzt und ist nun auf Beutejagd. Sein Opfer wird ausgerechnet das Schaf. Das ultimative Opfer aller Zeiten. Flauschig, friedlich und – so zumindest das Vorurteil – auch ein bisschen dumm. Schützenswert in jedem Fall, denn es schützt seinerseits, gleichmäßig kauend, Deiche und Natur.

Wolfsmanager machen sich auf den Weg zum Tatort, nehmen DNA-Proben von den Leichnamen, die noch blutig im Gras liegen. Allein in diesem Jahr haben Nutztierhalter dem niedersächsischen Wolfsbüro 98 Fälle gemeldet, in denen Tiere verletzt wurden. So simpel schwarz-weiß wie im Krimi ist es allerdings selten.

Den Wolf haben die Mitarbeiter in 39 Fällen zweifelsfrei als Täter identifiziert. In 34 Fällen steht die amtliche Feststellung noch aus. Das sind insgesamt 73 Fälle. In 25 Fällen gab es also einen anderen Schaffleischliebhaber, der sich über den Zaun geschwungen hat. Einen Hund zum Beispiel.

Wenn alle Abstriche in kleinen Kunststoffröhrchen verstaut sind, nehmen die Wolfs-Ermittler den Tatort in Augenschein. Denn die Frage ist, wie die Wölfe eigentlich in das Gehege hineingekommen sind. Um einen Wolf abzuhalten, braucht es laut einem Flyer des Wolfsbüros einen 1,40 Meter hohen, festen Zaun, der über sogenannte Litzen Strom führt – auch knapp über dem Boden, damit sich die Wölfe nicht darunter durchgraben können. Für mobile Zäune gibt es wieder andere Vorgaben.

Mindestschutz nicht vorhanden

In mindestens 31 der bereits untersuchten Fälle war „der wolfsabweisende Mindestschutz nicht vorhanden“, antwortet das Umweltministerium auf eine Anfrage der taz. Ganz davon abgesehen, dass es immer wieder Meldungen gibt, dass Wölfe weit höhere Zäune übersprungen haben sollen, fragt man sich doch, warum viele Landwirte nicht zumindest in diesen minimalen Schutz ihrer Tiere investieren – und das obwohl das Land Niedersachsen 80 Prozent der Materialkosten für die Zäune zahlt.

Die Nutztierhalter sind es, die in der Debatte um den Wolf, am lautesten seinen Abschuss fordern. Bei der Umweltministerkonferenz in der vergangenen Woche in Bremen warb ein Bündnis von Weidetierhaltern dafür, dass der Wolf ins Bundesjagdgesetz aufgenommen wird. Für das bessere „Management“, heißt es. Von „Erschießen“ spricht man beim Wolf nicht gern. Lieber von „Entnahme“.

„Keinen Heiligenschein für den Wolf“, forderten die Tierhalter auf ihren Plakaten. Und: „Der Wolf frisst kein Gras.“ Der benutzt die Halme doch höchstens als Serviette, um sich blutige Wollreste von den Lefzen zu wischen!

Umweltminister denkt laut nach

Im niedersächsichen Umweltministerium sitzt ein Minister, der den Tierhaltern zuhört. Olaf Lies (SPD) überlegt schon laut, was passiert, wenn der Wolf einen sogenannten günstigen Erhaltungszustand bescheinigt bekommt. „Dann müssen wir Maßnahmen ergreifen, um ein weiteres Anwachsen der Population zu vermeiden“, sagte er dem NDR.

„Wir wollen prüfen, ob zum Beispiel der französische Umgang mit dem Wolf eine sinnvolle Möglichkeit für uns in Deutschland ist“, sagt eine Sprecherin des Umweltministeriums. Frankreich hat 40 Wölfe zum kontrollierten Abschuss freigegeben.

Noch stelle sich die Frage nicht konkret, heißt es aus dem Ministerium. Die Anzahl der Wölfe in Deutschland steigt zwar, insgesamt sollen es rund 60 Rudel sein. Trotzdem gelten Wölfe noch als gefährdet und sind streng geschützt.

Dem Menschen zu nahe

Abschießen kann man sie allerdings heute schon. Lies’ Amtsvorgänger Stefan Wenzel (Grüne) hat es vorgemacht. Problemwolf „Kurti“ kam Menschen zu nahe und wurde deshalb getötet. Aber auch Wölfe, die „erheblichen“ wirtschaftlichen Schaden anrichten, leben gefährlich.

Ob es überhaupt Not tut, die Voraussetzungen für einen Abschuss weiter zu lockern, ist fraglich. Laut dem Umweltministerium gibt es derzeit „keine Wölfe, die sich so verhalten, dass eine gezielte Vergrämung notwendig ist“. Von Tötung ist da noch gar nicht die Rede, sondern von Gummigeschossen, die die Wölfe in die Flucht schlagen sollen.

Kälbchengroße Hütehunde

Unbestreitbar ist allerdings, dass der Wolf die Landwirte vor große Herausforderungen stellt. In der Praxis bedeuten die Zäune viel Arbeit. Das Gras darf nicht an den stromführenden Litzen wachsen. Der kräftige Wind im Norden strapaziert das Material. Herdenschutzhunde müssen nicht nur gekauft, sondern auch für die Aufgabe ausgebildet werden. Kälbchengroße Hütehunde fressen Nutztierhaltern, die ohnehin keine Großverdiener sind, die Haare vom Kopf. Ganz zu schweigen davon, dass es für Schäfer, die mit ihren Tieren noch durch die Landschaft und über Deiche ziehen, äußerst schwierig ist, ihre Herde zu schützen.

Für alle das braucht es mehr Unterstützung. Tierhalter fordern seit Monaten, dass sie einfacher an Entschädigungen kommen, wenn der Wolf Tiere gerissen hat. Und sie brauchen Geld für den Unterhalt von Hütehunden und Zäunen. Das hat Lies bereits angekündigt. Die finanzielle Förderung für Nutztierhalter soll deutlich aufgestockt werden.

Die Mitarbeiter vom Wolfsbüro werden trotzdem an blutige Tatorte gerufen werden, wenn ein Wolf gewütet hat. Ganz vermeiden lassen sich Risse nicht. So ist das, wenn die Natur zurückkommt.

Den ganzen Schwerpunkt der taz nord zum Wolf und den Schafen lesen Sie in der taz am wochenende im Kiosk oder hier.

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