Friedensprozess in Kolumbien: Nicht um jeden Preis

Seit mehr als drei Jahren ringen Kolumbiens Regierung und die Farc-Guerilla um Aussöhnung. Ein Abkommen scheint greifbar. Viele sind skeptisch.

Eine Frau in Camouflage-Kleidung hält eine Waffe in der Hand. Sie ist von einem blauen Netz umhüllt.

An wievielen Orten werden die Waffen abgegeben? Foto: ap

BOGOTÁ/FLORENCIA taz | Wenn Antonio Navarro Wolff über den Frieden spricht, klopft er an sein linkes Bein, es klingt hohl. Er hat den Krieg erlebt, soll das heißen, das Bein ist eine Prothese. Sein Unterschenkel musste 1985 amputiert werden, weil neben ihm eine Handgranate explodierte, als er gerade in einem Café saß. Und seine Stimme klingt verwaschen, weil ein Splitter einen Zungennerv durchtrennte.

„Ich bin total optimistisch, dass es klappt“, sagt Navarro Wolff. Den Optimismus schöpft er aus seiner Vergangenheit. Er war selbst Guerillero.

Als Kommandant der Rebellengruppe M19 legte Navarro Wolff 1990 die Waffen nieder und ging in die Politik. Präsident der verfassunggebenden Versammlung, Gesundheitsminister, Bürgermeister und Gouverneur. Heute, mit 67, sitzt er für die oppositionelle Grüne Allianz im Senat.

Von seinem Büro im Nuevo Congreso im historischen Zentrum von Bogotá sind die Gegenden der Farc weit weg. Dort trauen viele dem Frieden nicht.

Navarro Wolff ist sich sicher: Die Farc wollen ihren Kampf beenden, den weltweit ältesten Kampf linker Rebellen. „Warum unterschreibt eine Guerilla ein Friedensabkommen? Weil sie ihre Ziele nicht mit Gewalt erreichen kann. Die Farc wollen Politik machen.“

Guerilleros werden Politiker

Die marxistischen Guerilleros als Parteipolitiker? Alles ist denkbar, seit die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos ernsthaft mit den Farc verhandelt, weit weg, in Havanna. Auch Santos will den Frieden, er soll ihn als Politiker unsterblich machen. Einen Erfolg gibt es bereits: Die vergangenen Monate waren in Kolumbien die friedlichsten seit mehr als 50 Jahren, seit Juli starben im Konflikt mit den Farc nur 21 Menschen, ein Rückgang um über 90 Prozent.

Die Farc: Die „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee“ (Farc-EP) wurden 1964 gegründet. Sie verdienen viel Geld mit Entführungen und Drogenhandel. Die Guerilla hat noch 6.000 bis 9.000 Kämpfer.

Der Konflikt: Seit mehr als 50 Jahren kämpfen linke Rebellen gegen das Militär. Im Bürgerkrieg mischen auch rechte Paramilitärs mit, die – teils erfolglos – demobilisiert wurden. Präsident Uribe (2002–2010) ging hart gegen die Farc vor, sein Nachfolger Santos war damals Verteidigungsminister. Mehr als 3.000 Unbeteiligte wurden als „Falsos Positivos“ ermordet, um angebliche Erfolge im Kampf gegen die Farc zu belegen. Wohl mehr als 300.000 Menschen starben in dem Konflikt, die meisten waren Zivilisten. 6 Millionen der rund 48 Millionen Einwohner Kolumbiens sind Binnenvertriebene, nur in Syrien gibt es mehr.

Die Friedensverhandlung: Seit 2012 verhandeln Farc und Regierung in Havanna über ein Friedensabkommen. In den vier Punkten Entwicklung, politische Beteiligung, Drogen und Justiz herrscht weitgehende Einigkeit. Streit gibt es über Entwaffnung und Umsetzung des Abkommens.

Es geht um weit mehr als einen formalen Friedensschluss. Das Abkommen soll das Drogenproblem lösen und eine Landreform einleiten. Straßen, Schulen und Gesundheitsstationen sollen gebaut werden in Gegenden, in denen die Menschen den Staat nur vom Hörensagen kennen. Eine Übergangsjustiz ist für die Verbrechen des Bürgerkriegs geplant, sie soll vor allem Wahrheit und Versöhnung bringen und keine harten Strafen.

Eigentlich sollte das Friedensabkommen diese Woche unterzeichnet werden, ein halbes Jahr nach dem historischen Handschlag zwischen Santos und Farc-Chef „Timochenko“. Der Termin wurde nicht gehalten, es ist doch noch zu viel offen. Am Montag redete sogar US-Außenminister John Kerry den Unterhändlern ins Gewissen, sie dürften nicht scheitern. Beide Seiten bekräftigten ihren guten Willen.

Streit gibt es vor allem darüber, wie die Demobilisierung der Farc ablaufen soll. An wie vielen Orten werden sie ihre Waffen abgeben, an 7 oder 67? Unklar ist auch, ob das Volk über das Abkommen entscheiden soll. Navarro Wolff ist dafür, „damit sich die Menschen mit der Sache beschäftigen“. Denn in den großen Städten spürt man kaum etwas vom Bürgerkrieg.

Im Caquetá ist das anders. Die Provinz ist so groß wie Portugal, sie liegt im Süden Kolumbiens im Amazonasgebiet, bewaldete Hügel, eine halbe Million Einwohner, zwei Millionen Rinder, Kerngebiet der Farc.

Fast jeden Tag gab es hier Überfälle der Guerilla. Die Provinzhauptstadt heißt Florencia, 130.000 der 180.000 Einwohner, heißt es, sind direkt betroffen, die meisten flohen vor den Farc hierher. Zwar ist von der Guerilla seit dem einseitig ausgerufenen Waffenstillstand im Juli auch hier nicht viel zu bemerken. Dennoch sagt Raúl Sotelo Díaz: „Wenn du in Bogotá fragst, ist alles wunderbar. Hier ist das anders.“

Sotelo Díaz, 42 Jahre alt, ist Chef der Hilfsorganisation Corpomanigua, ein ruhiger Mann mit dem Gesicht eines Boxers. Er fährt seinen schwarzen Kleinwagen in Richtung Stadtrand, vorbei an einer Militärbasis.

„Ich wurde in den Konflikt hineingeboren“, sagt er. Als er neun war, mussten sie vor den Farc fliehen, 2001 stürmten Kämpfer sein Haus. Nicht alle Farc-Kämpfer würden ihre Waffen abgeben, befürchtet Sotelo Díaz. Noch schlimmer: Paramilitärische Gruppen füllten das Machtvakuum, es sei schon eine Gruppe beobachtet worden. „Bei den Farc gibt es zumindest Regeln, die Paramilitärs töten einfach so.“ Er zählt auf: Motorsäge, Säure ins Gesicht, Kinderleiche per Paket an die Mutter.

Sotelo Díaz ist für den Friedensprozess. „Aber der Staat ist darauf nicht vorbereitet.“ Er komme ja nicht mal mit den Opfern des Konflikts zurecht. Am Rand von Florencia leben die Vertriebenen auf besetzten Grundstücken in 14 Siedlungen, mit der Machete aus dem Gestrüpp geschlagen. Eine davon heißt La Ilusión.

Neiva Blusas Rivas, Opfer der Farc

„Klar habe ich ein Rachegefühl. Aber ich kann keine Rache üben. Wie auch?“

Ein Davor und ein Danach

Neiva Blusas Rivas wohnt am Ende eines Sandsträßchens. Eine quirlige Frau, Locken, Ohrringe. Ihre Falten lassen erahnen, dass sie in ihren 44 Jahren viel erlebt hat. Sie teilt ihr Leben in ein Vorher und ein Danach.

Vorher, da lebte sie auf einer Finca, 40 Hektar, sie pflanzten Kochbananen an, Kaffee, Kakao, Zuckerrohr. Für ihre 20 Rinder mussten sie eine Steuer an die Farc zahlen, 10.000 Pesos jährlich pro Tier, 3 Euro. Vorher, da hatte sie ein glückliches Leben.

Dann kamen die Guerilleros wieder, mit einer neuen Forderung. „Sie wollten mir meine Söhne wegnehmen“, sagt Blusas Rivas. 18 und 19 Jahre waren die damals. Sie flohen.

Seit fünf Jahren wohnt die Familie in La Ilusión. Es gibt Strom und Wasser, aber nur, weil sie sich selbst darum gekümmert haben. Ihr Haus hat keinen Fußboden, Wände aus Brettern, ein Dach aus Wellblech, das Material haben sie von der Hilfsorganisation bekommen. Elf Personen, Eltern, Kinder, Enkel, schlafen in drei Betten und auf einer Matratze. Das abgewetzte Sofa, auf dem Blusas Rivas sitzt, war auch ein Geschenk. Schließlich wurde sie zur Ortsvorsteherin gewählt, da braucht man so etwas.

„Wir hätten gerne Frieden, aber glauben nicht daran“, sagt sie. So scheint es im ganzen Land zu sein: Zwei Drittel der Kolumbianer gaben bei einer Umfrage an, sie seien pessimistisch, was den Friedensprozess angeht.

Zwei ihrer Brüder habe die Farc ermordet, erzählt Blusas Rivas nebenbei. Was würde passieren, wenn sie bald den Tätern begegnen sollte? Sie überlegt, dann sagt sie: „Klar habe ich ein Rachegefühl, aber ich kann keine Rache üben. Wie auch.“ Viele Farc-Opfer verstehen nicht, dass die Kämpfer Hilfe bekommen sollen, einen Job.

Die Skepsis der Opfer führt zu einer seltsamen Allianz mit einer Partei rechtsaußen, dem „Centro Democrático“ des Expräsidenten Álvaro Uribe. Als Einzige im Parlament widersetzt sie sich dem Friedensprozess.

Im „Nuevo Congreso“ in Bogotá sitzt Alfredo Rangel Suárez, 61, Senator des „Centro Democrátio“, in einem Besprechungsraum und stützt sich auf den Ellbogen. „Wir haben nichts gegen ein Friedensabkommen“, sagt er, „aber nicht um jeden Preis.“

„Noch einmal Opfer“

Seine Einwände rattert Rangel schnell herunter: Die Farc-Terroristen seien nicht legitimiert, über die Zukunft des Landes zu verhandeln. Ihre Waffen würden sie nicht abgeben. Die Übergangsjustiz sei nur eine „Justizsimulation“, weil die Farc-Kämpfer nicht nur straffrei blieben, sondern sogar in der Politik mitmischen dürften. „So werden die Opfer noch einmal zu Opfern.“

Haben er und seine politischen Mitstreiter Angst vor der Wahrheit, weil viele rechte Politiker mit Paramilitärs zusammenarbeiteten? „Nein, natürlich nicht“, sagt er, seine Stimme überschlägt sich fast.

Man hätte die Farc weiter militärisch bekämpfen sollen, sagt er. Das war Expräsident Uribes Strategie: erst bomben, dann reden, wenn überhaupt. Auch Befürworter des Abkommens haben Zweifel: Kann man überhaupt von Frieden sprechen, wenn weiter bewaffnete Gruppen aktiv sind? In jüngster Zeit hat die kleinere ELN-Guerilla wieder Schlagzeilen gemacht. Sie soll bereits Gebiete eingenommen haben, die bisher die Farc unter ihrer Kontrolle hatte.

Der Autor recherchierte auf einer Pressereise, die von der Diakonie Katastrophenhilfe organisiert und vom Auswärtigen Amt finanziert wurde. Corpomanigua ist Partner der Diakonie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.