Freihandelsabkommen Ceta: Auf der Kippe

Am Freitag soll das Handelsabkommen Ceta vorgestellt werden. Nun meldet Wirtschaftsminister Gabriel Zweifel an und bremst.

Protest gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP vor der SPD-Parteizentrale in Berlin Bild: dpa

BRÜSSEL/BERLIN taz | Die EU-Kommission war sich ihres Sieges sicher. „Nach fünf Jahren intensiver Verhandlungen haben wir den Deal mit Kanada abgeschlossen“, verkündete Handelskommissar Karel De Gucht vor dem Europaparlament. „Dieses Abkommen zeigt, dass wir zu sehr guten Ergebnissen kommen können – sogar mit Industriestaaten, die über ein eigenes, etabliertes Normensystem verfügen.“

Das war vor einer Woche, der Abschluss des Ceta-Abkommens über Freihandel und Investitionsschutz schien unmittelbar bevorzustehen. Beim EU-Kanada-Gipfel an diesem Freitag in Ottawa sollte De Guchts „Good Deal“ besiegelt werden. Doch es kann sein, dass daraus nichts wird: Ein anderes wichtiges Land mit „eigenem, etabliertem Normensystem“ funkt dazwischen – Deutschland.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will nicht nur die umstrittenen Schiedsgerichte für private Investoren (ISDS) verhindern. Er besteht auch darauf, dass der Bundestag das Kanada-Abkommen ratifizieren muss, genau wie die übrigen 27 nationalen Parlamente der EU. Damit bremst der SPD-Boss den Liberalen De Gucht aus. Der wollte Ceta nämlich im Alleingang durchwinken.

Und so könnte es sein, dass es beim EU-Kanada-Gipfel keine feierlichen Reden zum Freihandel geben wird, wie ursprünglich geplant. Das 1.500 Seiten lange Abkommen, das angeblich schon seit einem Jahr fertig ist, könnte wieder in der Giftkammer landen. Handelsexperten, Juristen und Übersetzer sollen nun allerdings versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Schließlich geht es nicht nur um Ceta, sondern um viel mehr.

Das Abkommen gilt nämlich als Blaupause für das noch viel größere und wichtigere TTIP, die Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft mit den USA. Mit Ceta und TTIP, so hofft die EU-Kommission, können die Freihändler von beiden Seiten des Atlantiks neue verbindliche Standards für die ganze Welt setzen.

Nicht die aufstrebenden Handelsmächte China und Indien sollen im 21. Jahrhundert den Ton angeben, sondern Amerikaner, Kanadier und Europäer in einem riesigen gemeinsamen Markt. Ceta ist die Vorspeise, TTIP das Hauptgericht. Deswegen will De Gucht Ceta durchboxen, deswegen gibt es Streit. Denn was mit Kanada vereinbart wird, dürfte auch im Abkommen mit den USA stehen.

Falsche Versprechungen

Doch was steht überhaupt darin? Streng genommen dürfen wir das gar nicht wissen, denn das hinter verschlossenen Türen ausgehandelte Abkommen ist immer noch geheim. De Gucht hat sein Versprechen, es vor dem Gipfel zu veröffentlichen, nicht eingelöst – was ziemlich lächerlich ist, da der Text schon vor Wochen geleakt wurde.

„Auf dem Weg in die Paralleljustiz“ lautete der Titel des „Tagesschau“-Beitrags. Denn Ceta enthält – genau wie TTIP – ein Kapitel zum Investorenschutz, das private Schiedsgerichte zur Beilegung von Streitfällen vorsieht. Dort sollen kanadische oder europäische Konzerne gegen missliebige Gesetze oder Verordnungen auf der anderen Seite des Atlantiks klagen können– unter Umgehung der ordentlichen Gerichte.

De Gucht behauptet zwar, dass Ceta „neue Standards“ für die Streitschlichtung setze und alle Einwände auch aus Deutschland berücksichtigt worden seien. Doch das Bundeswirtschaftsministerium stellte am Montag noch einmal klar, dass private Schiedsgerichte aus deutscher Sicht unnötig sind – schließlich ist Kanada ein Rechtsstaat, auch in der EU gibt es sichere Verfahren.

Paralleljustiz abgelehnt

Man brauche solche Klauseln in entwickelten Rechtssystemen nicht, „wir wollen sie auch bei Ceta nicht“, hieß es harsch aus dem von SPD-Chef Gabriel geführten Wirtschaftsministerium in Berlin. Zuvor hatten mehrere SPD-Granden gegen die „Paralleljustiz“ aufgemuckt.

Der Streit über den Investorenschutz ist wohl der größte Stolperstein. Aber auch die kanadischen Briefkastenfirmen bereiten Kritikern Kopfzerbrechen. Sie könnten nämlich von US-Konzernen genutzt werden, um sich eine Hintertür in den europäischen Markt zu öffnen.

Für Ärger sorgt zudem das öffentliche Beschaffungswesen (Kanada möchte es nicht vollständig für europäische Firmen öffnen) und die Energiepolitik – in Europa gibt es Protest gegen kanadischen Ölsand und Schiefersand (Fracking). „Unsere Handelsbeziehung wird nicht auf Kosten von Umwelt- oder Sozialstandards gehen“, schwört De Gucht. Doch ob das stimmt, lässt sich nicht einmal aus dem Abkommen herauslesen. Das dürfte erst die Praxis erweisen.

Brüssel setzt auf Intransparenz

Ebenso unsicher ist das Versprechen, Ceta und TTIP würden neues Wachstum und neue Jobs bringen. Während die EU-Kommission bei TTIP immerhin noch Zahlen nennt (ein Durchschnittshaushalt darf auf etwas mehr als 500 Euro Zusatzeinkommen hoffen – im Jahr), schweigt sie sich bei Ceta völlig aus.

Brüssel „übt sich mal wieder in Intransparenz“, kritisiert die grüne Europaabgeordnete und Handelsexpertin Ska Keller. „Planen sie Schiedsgerichte oder nicht, wann sind die Verhandlungen abgeschlossen? Ich habe bald den Eindruck, dass der Kommission selbst nicht klar ist, was auf der Tagesordnung beim EU-Kanada-Gipfel steht.“ Am Ende könnte es eine ziemlich traurige Veranstaltung werden.

Bundespräsident Joachim Gauck hat dafür schon vorgesorgt: Er weilt zwar als erstes deutsches Staatsoberhaupt seit 24 Jahren in Kanada, nimmt aber am großen Gipfel mit der EU nicht teil.

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