Freie Kulturschaffende kritisieren Kulturpolitik: „Mit Füßen getreten“

In der freien Szene regt sich Unmut: Von der Bettensteuer profitiert sie kaum. Und dann hat die Kulturbehörde auch noch die Förderung zweier Off-Theater gestrichen.

Schnell zu übersehen: das Theater N.N. in Eimsbüttel. Bild: Miguel Ferraz

Der Hellkamp führt einmal quer durch Eimsbüttel, er beginnt bei der Apostelkirche und endet bei den Hochhäusern der Lenzsiedlung. Es gibt zwei Ecken, an denen der Hellkamp Straßen mit Geschäften und Restaurants kreuzt. Alle anderen Abschnitte des Hellkamp sind klassisches Wohngebiet: viele Altbauten, ab und zu Rotklinker, viele parkende Autos, wenig fahrende.

Das Theater N.N. befindet sich mitten in diesem Wohngebiet in einem rot geziegelten Eckhaus, das aussieht wie ein Gemeindesaal: Die Fenster sind so hoch angebracht, dass man von außen nicht reinschauen kann, und der Eingang ist klein und versteckt unter einem Balkon, der sich ans nächste Haus anschmiegt.

Selbst wer das Theater N.N. sucht, tut sich schwer, es auf Anhieb zu finden. Das Theater N.N. hat dieses Problem, seit es vor elf Jahren vom Altonaer Kulturbahnhof nach Eimsbüttel gezogen ist. Das andere, existentielle Problem hat unmittelbar mit der schlechten Sichtbarkeit zu tun. Die Kulturbehörde hat dem Theater N.N. die jährliche Förderung in Höhe von 30.000 Euro gestrichen mit dem Argument, die Auslastung des Theaters liege unter 50 Prozent. Tatsächlich sind die rund 50 Plätze nur zu 47 Prozent ausgelastet.

Das gleiche Schicksal hat das Theater in der Washingtonallee in Horn getroffen: Dort gibt es 40 Plätze und die Auslastung liegt ebenfalls bei 47 Prozent, weshalb die Kulturbehörde die Subvention in Höhe von 24.000 Euro gestrichen hat. Das Geld wird nun unter anderem dem Lichthof-Theater zugeschlagen. Trotzdem treffen sich heute die freien Theaterschaffenden vor dem Theater N.N., um den Eingang symbolisch zu vernageln.

Die 50-Prozent-Grenze stammt aus einer Evaluation der Privattheater aus dem Jahr 2008. In der sei festgelegt worden, dass die Auslastung dauerhaft über 50 Prozent liegen müsse, um eine Förderung zu rechtfertigen, sagt Kulturbehörden-Sprecher Enno Isermann. Konstanze Ullmer von der Theater-Vertretung Hamburg Off will das als Begründung nicht akzeptieren: In der Evaluation sei im Wortlaut die Rede von „in der Regel mindestens 50 Prozent“. Ullmer: „Man muss also nicht den Theatern deswegen die Subvention entziehen, aber man kann, wenn man möchte. Und hier möchte man wohl, und darum geht’s.“

Das Unbehagen, das die freie Szene mit der Hamburger Kulturpolitik hat, geht über die beiden konkreten Fälle hinaus. Ende Januar gründeten rund 200 Kulturschaffende die „Koalition der Freien“, um gemeinsam an ihrer „finanziell und räumlich ungenügenden Lage“ etwas zu ändern. Ausgangspunkt der Initiative war die neu eingeführte Kultur und Tourismustaxe, die der Stadt rund zwölf Millionen Euro pro Jahr einbringen wird: Die Hälfte wird für Tourismusförderung und Großveranstaltungen ausgegeben, die andere Hälfte soll der Kultur der Stadt zugute kommen. Für die freie Szene bleiben im sogenannten Elbkulturfonds 500.000 Euro übrig. Das ist ihr zu wenig.

Wenn nun auch noch zwei kleinen freien Theatern die Förderung gestrichen wird, fühlt sich die Szene missachtet und verladen von Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos), die sich zu Beginn ihrer Amtszeit die Förderung der freien Szene groß auf die Fahnen geschrieben hatte. „Da wurde immer vom kulturellen Humus gesprochen, der die freie Szene sei“, sagt Ullmer. „Dieser Humus wird jetzt mit Füßen getreten.“

In der Kulturbehörde heißt es, die Stärkung der freien Szene sei „ein wichtiges Ziel“. Sprecher Isermann verweist auf die 500.000 Euro aus dem Elbkulturfonds, außerdem habe man aus der Kultur und Tourismustaxe 100.000 Euro zusätzlich für die freie Theater und Tanzszene zur Verfügung gestellt. „Für die Vergabe der Mittel gelten aber weiter die Kriterien für die Privattheaterförderung“, so Isermann.

Angelika Landwehr vom Theater in der Washingtonallee versucht nun, die Kürzung rückgängig zu machen – durch Gespräche, Unterschriften, alles, was geht. Beim Theater N.N. hingegen arbeiten die sechs Mitglieder des Teams ehrenamtlich, dementsprechend schwer ist es, Kräfte zu mobilisieren. Die 30.000 Euro braucht das Theater, um die Miete zu bezahlen. Nur die Gruppen, die auftreten, bekommen eine kleine Gage, vor allem aus den Einnahmen.

Wenn wie am vergangenen Freitag 16 Zuschauer nach Eimsbüttel kommen, um von weichen Tanztee-Sesseln aus eine Adaption des Tschechow-Romans „Das Duell“ durch die Hamburger Theatergruppe Godot zu betrachten, geht es nicht ums Geld. „Das sind Schauspielstudenten und junge Profis, die brauchen Spielpraxis“, sagt Regisseur Wladimir Tarasjanz. „Wenn es das Theater N.N. nicht mehr gibt, wissen wir nicht mehr, wo wir auftreten sollen.“

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