Framing mit dem Begriff „Schicksalswahl“: Wahlen sind nie Schicksal

Ein Unwort ging um bei der Europawahl: „Schicksalswahl“. Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch auf eine gefährliche Weise bequem.

Europa auf einem Globus

Keine höhere Macht entscheidet, was in diesen Ländern passiert, sondern Politiker Foto: unsplash/Tom Grimbert

Worte können in Mode sein – nicht nur in der Jugendsprache und unter den Unwörtern des Jahres, sondern auch in den Nachrichten. Je nach Großwetterlage tauchen Begriffe immer wieder auf – oder eben gar nicht. In unregelmäßigen Abständen nimmt unser Kolumnist die Modewörter der News auseinander

Unwörter sind euphemistisch, verschleiernd, irreführend. Die EU-Wahl bescherte uns ein Unwort namens „Schicksalswahl“. In Umlauf gebracht wurde es zwar von den Politikmachenden selbst, aber sogleich dankbar aufgenommen von der gesamten Medienlandschaft bis zur letzten Lokalseite. Eine kleine Auswahl: „Wende in der Schicksalswahl“ (FAZ), „Die Schicksalswahl: Ist Europa wirklich in Gefahr?“ (Maischberger, ARD), „Eine Schicksalswahl“ (Süddeutsche), „Warum die Europawahl am Sonntag eine Schicksalswahl ist“ (Westdeutsche Zeitung).

Zugegeben, die EU-Wahl war eine wichtige Wahl. Denn in vielen europäischen Ländern wächst der Einfluss rechter Populisten, bei denen die Stärkung des einzelnen Nationalstaats auf der Agenda steht – und nicht die eines gemeinsamen Europas. Doch der irreführende Begriff „Schicksalswahl“ verkennt, dass auch die Wählerinnen von Rechtspopulisten eine demokratische Wahl treffen.

Wahlen sind das genaue Gegenteil von Schicksal. Wahlen sind menschliche Entscheidungen, die am Ende zu einem demokratischen Beschluss führen sollen. Damit es eben nicht Götter oder Kaiser sind, die das Schicksal der Menschen bestimmen, sondern diese Menschen selbst.

Ein bequemer Begriff

Das Wort „Schicksalswahl“ erhebt die Gegner Europas zum einzigen Fixpunkt der Orientierung. Es ruft die Vorstellung eines europäischen Schlachtfeldes hervor. Wer sich aber nur an seinem Gegner orientiert, hat keine eigene Agenda. Vielleicht vermochte die „Schicksalswahl“ sogar wahlfaule Europäer mobilisieren. Langfristig aber zementiert das Wort Europas Spaltung und übergeht seine Stärken. Es lenkt davon ab, dass Europa auch Menschen von sich überzeugen muss, die es ablehnen.

„Schicksal“ ist ein bequemer Begriff. Schafft man es nicht, den Rechtspopulismus aufzuhalten, dann war es eben das Schicksal. Die Wörter „Wahl“ und „Schicksal“ sind ein Gegensatz an sich, ein Oxymoron, wie „bittersüß“. Der inflationäre mediale Wortgebrauch von „Schicksalswahl“ entwirft ein Europa der Befürworter und Gegner. Das ist womöglich auch für die Journalisten dieses Landes, nun ja, unangenehmbequem.

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Kommt von Rügen. Als Wortgucker erzürnt er sich im Netz und auf Podien regelmäßig über Sprache und Framing in der Politik und Medien. Er ist promovierter Sprachwissenschaftler und Sprachkritiker für taz2/medien. Hauptberuflich: Kampagnen-Berater und Demokratie-Kommunikator.

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