Fragwürdige „Umweltstiftungen“: Der grüne Zweck heiligt die Mittel

Immer mehr „Umweltstiftungen“ werden gegründet, um die Natur zu retten – und der Staat unterstützt sie. Aber manche sind nur getarnte Lobbyclubs.

Ein Schattenhaushalt entwickelte sich, der mehr Mittel für Umweltschutz aufbringt, als das Umweltbundesamt im Etat stehen hat. Bild: dpa

BERLIN taz | Das Papier ist ein Ratgeber für die Energiewende: Windparks oder Solarfarmen sollten „nicht nur rechtlich legal und wirtschaftlich abbildbar sein, sondern auch von der Bevölkerungsmehrheit als legitim akzeptiert werden.“ Das schreibt die „100 prozent erneuerbar stiftung“ in einer Studie mit dem Titel „Akzeptanz planen, Beteiligung gestalten, Legitimität gewinnen“.

Mit der Legitimität könnte es für die Stiftung allerdings selbst Probleme geben. Denn sie bewegt sich in einer Grauzone zwischen gutem Zweck und unlauteren Mitteln. Die gemeinnützige „100 prozent erneuerbar stiftung“, gegründet und überwiegend finanziert vom deutschen Erneuerbaren-Konzern juwi, muss laut Gesetz durch ihre Arbeit „die Allgemeinheit selbstlos fördern“.

Wie selbstlos es ist, die Energiewende detailliert vorzubereiten, wenn der Stifterkonzern damit einen Milliarden-Umsatz macht, ist eine Frage, die das zuständige Finanzamt in Bingen beantworten könnte, es aber nicht darf: „Steuergeheimnis“.

Der Fall „100 prozent erneuerbar stiftung“ zeigt eine Versuchung auch für andere Ökostiftungen: Lobbyismus für den grünen Zweck ihrer Gründer. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit hat sich in Deutschland ein grüner Schattenhaushalt entwickelt, der mit privatem und halbstaatlichem Geld inzwischen mehr Mittel für Umweltschutz und Naturpflege aufbringt, als zum Beispiel das Umweltbundesamt im Etat stehen hat – schätzungsweise mehr als 100 Millionen Euro im Jahr. Damit werden Ökolandbau und Energiewende unterstützt – aber oft eben auch die Umsätze der Stiftungsgründer.

Bei „100 prozent erneuerbar“ ist die juwi-Connection ganz offen. Die Stiftung wurde 2010 gegründet, um eine gleichnamige Kampagne der Firma fortzuführen. 80 Prozent der Spenden stammten 2011 von dem Unternehmen, das Windparks und Solaranlagen plant und baut, 1.800 Menschen beschäftigt und mit einer Milliarde Euro Umsatz ein Platzhirsch der deutschen Ökoindustrie ist. Im Vorstand und im Beirat der Stiftung sitzen die beiden Juwi-Chefs Fred Jung und Matthias Willenbacher.

Durch die Stiftung, sagt Sprecherin Barbara Hennicke, werde die Arbeit garantiert, auch wenn es der Firma möglicherweise einmal nicht so gut gehe. Der Unterschied zu einer Lobbyorganisation? Man investiere in Forschung, die man auch anderen zur Verfügung stelle. „Wir kommen aus der Praxis, das hat uns geprägt“, sagt Hennicke. „Aber wir sind nicht der verlängerte Arm von juwi.“

„Die Grenze zur Instrumentalisierung“

Der Einruck drängt sich aber auf. „Das ist ein Grenzbereich“, sagt Birgit Weitemeyer, Direktorin des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen an der Bucerius Law School in Hamburg. „Laut Gesetz dürfen die gemeinnützigen Stiftungen keinesfalls die wirtschaftlichen Zwecke ihrer Gründer unterstützen.“

Sie dürfen zwar „Themenanwälte“ sein und Forschung auf bestimmten Gebieten fördern, aber wenn dann ihre Stiftungsgründer auf diesen Feldern ernten, „hat das ein Geschmäckle“, sagt Weitemeyer. Gemeinnützige Stiftungen werden vom Staat massiv bevorzugt: Spenden sind von der Steuer abzugsfähig, die Werbewirkung ist enorm. Expertin Weitemeyer findet bei juwis Engagement „die Frage berechtigt, ob hier die Grenze zur Instrumentalisierung einer Stiftung überschritten ist“.

Die gleiche Frage stellt sich bei der gemeinnützigen Stiftung der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Offshore-Windenergie bereits seit 2005. Bund, Länder und Industrie bündelten damals die Kräfte der jungen Branche. Im Kuratorium sitzen daher auch über 100 Banken, Baufirmen, Ministerien und die großen Energiekonzerne – von Areva bis Eon und RWE bis Bilfinger und Commerzbank.

Mit der Energiewende von 2011 haben die Windmühlen auf offener See starken Rückenwind, hier sollen 10.000 Megawatt Stromleistung und milliardenschwere Aufträgen entstehen. Warum muss das eine gemeinnützige Stiftung koordinieren? Für Jörg Kuhbier, Vorstand der Offshore-Stiftung und ehemaliger SPD-Umweltsenator von Hamburg, hatte das bei der Gründung „keine steuerlichen, sondern pragmatische Gründe“.

Ein Verein sei zu umständlich gewesen, und man wollte ein „dauerhaftes Konstrukt“– wohl auch, um sich gegen den drohenden Regierungswechsel abzusichern. Gemeinnützig sei an der Stiftung, dass „wir keine Lobby auf Teufel komm raus sind, sondern dass wir die volkswirtschaftlichen Vorteile im Auge haben“. Aber natürlich verfolgten die Unternehmen im Kuratorium ihre wirtschaftlichen Ziele, „da soll man nicht drum herumreden.“

Liberale Umweltschutzdefinition

Die lukrative Verbindung von Geschäft und Gewissen ist ganz einfach. Laut Abgabenordnung kann eine Stiftung „gemeinnützig“ sein, wenn sie zum Beispiel Umweltschutz fördert. Das Finanzamt prüft nur, ob dieser Zweck durch Satzung und Arbeit der Stiftung erreicht wird – und darf nicht einmal mitteilen, ob eine Stiftung tatsächlich dem Gemeinwohl dient.

Die Definition von Umweltschutz ist liberal: Wenn sich der Energiekonzern RWE entschiede, eine gemeinnützige Stiftung zur Erforschung des umstrittenen „Fracking“-Verfahrens zu gründen – niemand hätte etwas dagegen. „Auch Stiftungen können aber Lobbys sein“, sagt dagegen Timo Lange von Lobbycontrol. Es müsse klar sein, wer dahinterstehe und wer eine Stiftung finanziere.

Dass sich die Ökofreaks von einst heute in eine schlagkräftige Industrie verwandelt haben, spiegelt sich in den Bestimmungen nicht wider. Ein Vermächtnis zur Rettung eines Moores wird genauso behandelt wie die politische Landschaftspflege durch Ökokonzerne.

So regt sich auch kaum jemand über die gemeinnützige Stiftung Initiative Mehrweg auf: Seit 1992 arbeiten hier Unternehmen der Mehrweg-Industrie „durch die Unterstützung von Wissenschafts- und Forschungsprojekten für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sowie für die Abfallvermeidung“.

„Unabhängigkeit und Kontinuität“

Im Kuratorium sitzt neben Vertretern von Getränkekonzernen und Brauereien der Exchef des Umweltbundesamtes, Andreas Troge, der seinerzeit für Mehrweg kämpfte, Geschäftsführer ist Clemens Stroetmann, ehemals CDU-Staatssekretär im Umweltministerium, als dort die Verpackungsverordnung durchgesetzt wurde.

Für ihn garantiert die Stiftung Unabhängigkeit und Kontinuität und ist natürlich keine Lobbyorganisation, „weil wir aufklären und unsere Untersuchungen öffentlich machen“ – auch wenn deren Ergebnisse mal nicht ins Konzept passten. „Es ist nicht die Aufgabe der Stiftung, einzelne Unternehmensziele zu fördern“, sagt Stroetmann.

Allerdings sei es wünschenswert, wenn „die Ergebnisse der Stiftungsarbeit auf die strategische Ausrichtung von Unternehmen“ für mehr Ökologie Einfluss nähmen. Ob allerdings die Rechnung „Mehrweg gleich Umweltschutz“ noch stimmt, ist fraglich. Inzwischen zweifelt selbst das Umweltbundesamt am pauschalen Ökovorteil der Mehrwegflasche. Aber die Stiftung Initiative Mehrweg ist per Satzung verpflichtet, bis in alle Ewigkeit dafür zu kämpfen.

Desertec: 400 Milliarden Euro teuer

Auch die gemeinnützige Desertec-Stiftung arbeitet nah an den Interessen ihrer Partner. Sie will die Idee verwirklichen, mit Solarstrom aus Nordafrika die dortigen Länder und Europa nachhaltig und ökologisch mit Strom zu versorgen. Das nötige Großgeld von 400 Milliarden Euro will die Creme der deutschen Wirtschaft auftreiben: RWE, Deutsche Bank, Münchner Rück. Sie sind in der DII-Initiative organisiert, doch daneben gibt es noch die Desertec Foundation, wo Idee und Planung des Projekts ihren Ursprung haben.

„Wir sind gemeinnützig, weil wir uns für eine nachhaltige und faire Zukunft für alle Menschen einsetzen, wo sichere Energie und Klimaschutz zentral sind“, sagt die Sprecherin der Stiftung. Die Foundation arbeitet mit der DII sehr eng zusammen: Sie wirbt für die Idee, treibt die Gespräche mit Politikern in Europa und Afrika voran und öffnet den Unternehmen die Türen. Und für die Unternehmen ist klar: Wenn Desertec einmal realisiert werden sollte, entsteht ein gigantischer Markt.

Zumindest im Bundesumweltministerium ist die Vermengung von Gemein- und Eigennutz durch Umweltstiftungen nicht mehr erste Wahl. Die neu gegründete Fachagentur Wind an Land ist anders als die Offshore-Stiftung ein Verein – allerdings auch gemeinnützig.

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