Fotografien von Malick Sidibé: Lebendige Portraits

Der Fotograf Malick Sidibé war einer der ersten, dem die afrikanische Landbevölkerung gestattete, sie zu fotografieren. Seine Fotos sind jetzt im spanischen Sevilla zu sehen.

Malick Sidibé, "Les faux fumeurs", entstanden im Juni 1976 Bild: katalog

Der Mann hinter der Kamera kennt die Umstände der Fotografierten. Vielleicht nähert sich der malische Fotograf Malick Sidibé den Menschen deshalb stets mit einem sachlichen, fast liebevollen Blick - auch wenn es ein Blick ist, der immer aus der Distanz kommt. Aber natürlich fotografiert auch Malick Sidibé - um mit seinem amerikanischen Kollegen Gary Winogrand zu sprechen-, weil er herausfinden möchte, wie Leute aussehen, die fotografiert werden.

Etwa die junge Frau, die mit sichtlichem Stolz und gelassenem Lächeln ihre Armbanduhr und einen Ring in Richtung Kamera präsentiert. Mit ihrem Zeigefinger deutet sie auf die Uhr, vielleicht hat sie Sidibé im Moment der Aufnahme nach der Uhrzeit gefragt. Oder sie ist einfach ungeduldig. Jedenfalls das Timing des Fotos ist perfekt. Es ist zwar ein klassisches Porträt in Schwarzweiß, hat aber so gar nichts von den langweiligen Ritualen der Porträtfotografie an sich. Die Frau ist, wie alle von Sidibé porträtierten Personen, in voller Größe abgebildet. Mit ihrer Pose riskiert sie etwas. Denn ihre zur Schau gestellten Konsumgüter, die schicken Klamotten und Schmuckstücke, sind die einzigen Beigaben vor einer ansonsten leeren Fotostudio-Kulisse, die die Fotografierte gar nicht zu bemerken scheint. Der Fußboden ist schwarzweiß gekachelt, die Wände sind kahl und weiß.

Malick Sidibés Foto "Voici ma montre et ma bague" ist 1964 entstanden. Zu jener Zeit ist Mali gerade vier Jahre unabhängig von Frankreich. Seine Einwohner verknüpfen mit der neugewonnenen Unabhängigkeit große Hoffnungen auf individuelle Freiheit und Wohlstand. Malick Sidibé hat in jener Zeit speziell die jungen Leute seines Landes fotografiert, bei Tanzpartys, sogenannten "bals poussières" (Staub-Tänzen). "Junge Menschen fangen für mich die Essenz des Lebens ein, und sie lassen mich meine eigenen Sorgen vergessen", hat Sidibé einmal gesagt. Diese Atmosphäre vermitteln auch seine Studioporträts, die zurzeit unter dem Titel "Photographic Studio, Bagadadji" in einer Auswahl im Centro Andaluz de Arte Contemporáneo in Sevilla ausgestellt sind.

Die Frau mit Armbanduhr und Ring wirkt in ihrer Körpersprache selbstbewusst: Womöglich hat sie es schon zu was gebracht. Auf jeden Fall symbolisiert ihre Jugendlichkeit auch eine Aufbruchstimmung und aus ihrem Lächeln spricht auch die Zuversicht eines noch jungen Landes. Etwas scheint in Bewegung geraten zu sein, das verraten die Zeichen von Pop und Film in dem Foto. Die Klamotten der Frau kennt man auch von westlichen Plattencovern und Filmplakaten. Aber der Fummel wird nicht einfach getragen, die junge Frau weiß, wie gut sie darin aussieht, gleichzeitig drückt sie dabei auch eine gewisse sarkastische Reserve aus, weil sie es niemals dahin schaffen wird, wo die Mode entworfen wird. Aus den Porträtfotos von Malick Sidibés spricht immer auch die Magie des Augenblicks.

"Les faux fumeurs" von 1976 zeigt zwei Männer in deckungsgleichen gestreiften Stoffanzügen. Beide haben lässig Zigaretten im Mundwinkel stecken, aber sie sind noch nicht angezündet. Können sie sich die Glimmstengel leisten? Oder rauchen sie am Ende gar nicht? In ihren abwartenden Körperhaltungen liegt eine Ahnung. Und trotzdem stellt sie Sidibé mit seinem Foto nicht bloß. Denn die beiden stehen in einem so seltsamen Winkel zueinander, dass ihre gestreiften Anzüge mit dem Muster der Tapete im Hintergrund harmonieren und sie selbst gar nicht das Bildzentrum sind. Zudem hat Sidibé einen ungewöhnlichen Winkel mit der Kamera gewählt, die seitwärts nach unten gerichtet ist. Sidibés Fotostudio gibt den Aufnahmen einen bestimmten Rahmen vor. Es sind die Porträtierten, die hier etwas mehr von sich preisgeben müssen, weil sie nicht in ihrem vertrauten Umfeld sind. Wie der Mann, der mit ernstem Blick eine leere Bierflasche in die Kamera hält, "Monsieur Ousman et sa bouteille" (1970).

Das Zentrum für zeitgenössische Kunst, in dem Sidibés Fotografien in Sevilla ausgestellt sind, ist etwas versteckt in der Kapelle eines ehemaligen Klosters untergebracht. Es liegt auf der anderen Flussseite des Guadalquívir, unweit des ehemaligen Expo-Geländes, das inzwischen verwaist aussieht. Die Klostermauern spenden den Ausstellungsbesuchern dringend benötigten Schatten. Nicht mal der Baum, den Kolumbus von seiner Erkundung Amerikas mit zurück nach Spanien gebracht haben soll und der vor der Klosterpforte steht, bietet ausreichend Schutz vor der Sonne. Die Sonnenstrahlen brennen mit unbarmherziger Kraft und vermitteln eine Ahnung davon, wie heiß es in Mali ist. Auch heute noch bewahren übrigens die kühl und minimalistisch dekorierten Räume von Sidibés "Studio Malick" an der 19. Ecke 30. Straße im Viertel Bagadadji in der Hauptstadt Bamako die Kunden vor der Hitze. Weiterhin arbeitet der inzwischen 73-Jährige als Fotograf und führt eine Reparaturwerkstatt für Kameras. Immer noch fotografiert er die Bewohner seines Landes. 2003 hat Malick Sidibé für sein Lebenswerk den Preis der angesehenen schwedischen Hasselblad-Stiftung erhalten. Vergangenes Jahr wurde er auch auf der Biennale in Venedig mit einem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Nicht nur die Fotos, auch seine eigene Biografie spiegelt die Geschichte seines Landes wider. Als er 1935 in der Provinz geboren wird, gehört Mali zur französischen Kolonie "Sudan". Sidibé, der aus einer Viehzüchterfamilie stammt, kann wegen eines Augenleidens nicht den von seiner Familie erwünschten Beruf des Viehhirten ergreifen. Früh wird dagegen sein zeichnerisches Talent erkannt, und 1951 darf er, auf Vermittlung eines Kolonialbeamten, auf die "Schule der sudanesischen Künste" in Bamako. 1955 verpflichtet ihn der französische Fotograf Gérard Guillat, um dessen Fotostudio in Bamako mit Zeichnungen zu dekorieren. Dort lernt Sidibé das Handwerk der Fotografie und arbeitet, nach Guillats Rückkehr nach Frankreich, ab 1957 zunächst als selbstständiger Gesellschaftsfotograf in der Hauptstadt. Er frequentiert Bars oder ist bei Sonntagsausflügen entlang der Flussufer des Niger mit seiner Kamera anwesend. Dort fotografiert er etwa Paare in inniger Umarmung. Es ist vor allem das Leben einfacher Leute, das er im Bild festhält. Sidibés Fotografien gelten heute als wichtiges Zeugnis des malischen Alltags der Sechziger- und Siebzigerjahre.

Bis in die 1940er hat sich vor allem die afrikanische Landbevölkerung gar nicht fotografieren lassen. Es hieß, Fotografen könnten Menschen durch ihre Linse nackt sehen und das führe zum Verlust ihrer Seelen. Malick Sidibé gehört zur ersten Fotografen-Generation, die das Vertrauen der Menschen in die Fotografie gewinnen konnte.

In der Ausstellung in Sevilla ist eine Auswahl seiner Studioporträts zu sehen, die zwischen 1963 und 1976 in Bamako entstanden sind. Die Sechzigerjahre, das zeigen diese Fotos, dauerten in Mali auch im folgenden Jahrzehnt an. Die Hoffnungen der Menschen auf mehr Wohlstand mögen sich nicht erfüllt haben, ihre Würde haben sie dennoch nicht verloren.

Seit Eröffnung des Studios 1962 sind unzählige Menschen zu Sidibé gekommen, um sich fotografieren zu lassen. Oft klingeln die Kunden am Abend, bevor sie das Nachtleben erkunden wollen. Diese gespannte Stimmung nutzt Sidibé zu seinen meisterhaft komponierten Porträts. Trotz der Abgeschiedenheit des Fotostudios wirken die Gesichter der Menschen lebendig und ihre Posen spontan. Von vielen Fotos hat Sidibé aus ökonomischen Gründen nur einen Abzug machen können. Aber dieser eine Abzug reicht aus, um damit Lebenslust auszudrücken, Humor und Sensibilität.

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