Forscher und Aktivist Hajo Funke: Der Zweifler

Die NSU-Mordserie war für den Politikwissenschaftler einschneidend. Sie machte ihn zum größten Kritiker des Verfassungsschutzes. Ein Portrait.

Hajo Funke mit Katze

Bücher, Klavier und Katze: im Arbeitszimmer von Hajo Funke Foto: Stefan Boness

BERLIN/ STUTTGART taz | Die Verabredung ist schon fix, für diesen Herbst. In die Berliner Außenstelle des Verfassungsschutzes ist Hajo Funke geladen, Treptow, im Osten der Stadt. Zum Präsidenten persönlich, Hans-Georg Maaßen. Auf Fachtagungen hatte Funke mit dem obersten Verfassungsschützer an Stehtischen Small Talk gehalten. Jetzt wollen sich beide, der Wissenschaftler und der Geheimdienstchef, näher kennenlernen. Es dürfte kein Small Talk mehr werden.

Denn Anfang August setzte sich Funke an seinen Laptop, schrieb einen neuen Beitrag für seinen Blog. Eine Rücktrittsforderung, gerichtet an Hans-Georg Maaßen. „Ohne Maß und Mitte“, titelte Funke. Da wurden gerade die Ermittlungen wegen Landesverrat gegen zwei Netzpolitik-Journalisten publik, ausgelöst vom Verfassungsschutz. Nach den NSU-Vertuschungen „die zweite Ungeheuerlichkeit“, hielt Funke empört fest. Maaßen „sollte so schnell wie möglich zurücktreten, um dieses Schattenreich auf ein rechtsstaatliches Amtsverständnis zurückzuschneiden“.

Hajo Funke ist eine Koryphäe. 25 Jahre forschte der 70-Jährige zum Rechtsextremismus in Deutschland, bis auf einen Aufenthalt in Berkeley stets an der Freien Universität Berlin. Kaum einer tut es so emsig: 19 Bücher schrieb Funke. Untersuchte Rassismus bei Ostdeutschen nach der Wende, forschte über die Republikaner, sezierte das deutsche NS-Gedenken. Auch nach seiner Emeritierung 2010 ließ Funke nicht locker. Erst recht nicht, als 2011 der NSU aufflog.

Eine rechte Mordserie mit neun toten Migranten und einer Polizistin – damit hatte selbst Funke nicht gerechnet. „Jahrelanges Morden, so verdeckt, das hätte ich nicht erwartet“, sagt er noch heute. Mit der NSU-Aufklärung ist Funke wieder gefragt. In drei Untersuchungsausschüssen sprach er als Sachverständiger. Kaum eine TV-Dokumentation zu dem Thema, die Funke nicht heranzieht.

Nun hat er auch selbst nachgelegt. Gerade veröffentlichte Funke ein Buch, 406 Seiten stark: „Staatsaffäre NSU“. Es ist eine Abrechnung über „einen Machtkampf gegen die Wahrheit“. Und es ist ein Bruch.

Plötzliche Politisierung

Es ist nicht so, dass Funke das Staatshandeln nicht von jeher kritisch hinterfragte. Als Student nimmt er am 2. Juni 1967 in Berlin an der Demonstration gegen den Schah-Besuch teil. Dort wird Benno Ohnesorg, auch er Student, erschossen. Es ist Funkes Politisierung, „über Nacht“, wie er sagt. An der Universität tut sich Funke später mit ProfessorInnen im linken Dienstagskreis zusammen, unterstützt Studierenden-Proteste.

Aber Funke stellte sich nie außerhalb des Systems. Das Bundeskriminalamt lud ihn zu Tagungen, die Richterakademie als Redner. Als er über Neonazis in Oranienburg forschte und sich in einem lokalen Anti-rechts-Bündnis engagierte, tauschte er sich auch mit Verfassungsschützern aus. Alles kein Problem. Dann kam der NSU.

Die rechte Terrorserie sei eine „Sicherheitskatastrophe“, begleitet von einer „langen Kette“ an „Vertuschungen und Sabotage“, schreibt Funke in seinem Buch. „Systematisch“ seien die untergetauchten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt „vor ihrer Entdeckung geschützt worden“. Man müsse fragen, ob die Behörden an der „Terrorstrategie“ gar „beteiligt waren“. Schuldig, allen voran: der Verfassungsschutz. Dieser führe ein „Schweigekartell“ an, sei „unkontrollierbar“, ein „Staat im Staat“.

Schwerste Geschütze. Hat Funke das Vertrauen in den Staat verloren? Der 70-Jährige sitzt in seinem Wohnzimmer im bürgerlichen Westberlin, es herrscht akademisches Chaos. Bücher türmen sich überall, in der Ecke ein aufgeklapptes Klavier, zwischen allem streicht die Katze herum. Die Frage nach dem Staatsvertrauen lässt Funke innehalten, er macht den Blick streng. „Sagen wir so“, antwortet er, „mein Misstrauen ist unendlich gewachsen“.

Nüchterne Fassade

Monatelang hat sich Funke durch die NSU-Ermittlungen gegraben. Mit jedem Detail verlor er mehr den Glauben. V-Leute des Verfassungsschutzes in rechten Spitzenpositionen, die Gewalt anheizten und sich im NSU-Umfeld bewegten – und der Geheimdienst wusste nichts davon? Das Amt gab Hinweise nicht weiter, aus „Quellenschutz“. Schredderte Akten über Spitzel, als der NSU bekannt wurde.

„Ich habe so was nicht erwartet“, gesteht Funke. „Es hat mich in eine Art Dauerschock versetzt.“ Funke spricht an diesem Augustnachmittag seine Empörung ruhig aus, sie ist eingehegt hinter der Fassade des nüchternen Wissenschaftlers. Er kramt Notizen heraus, zeichnet Skizzen, will alles genau belegen. Es gibt auch andere Momente. Dann sitzt Funke hinten in den NSU-Untersuchungsausschüssen, kommentiert halblaut Zeugenaussagen, ärgert sich über Fragen der Abgeordneten, schüttelt schimpfend den Kopf.

Funke lassen die Ungereimtheiten nicht los. Er reist durch die Republik. Zum NSU-Prozess in München, in die Untersuchungsausschüsse der Länder. Als in Stuttgart Florian Heilig, ein junger ehemaliger Neonazi in seinem Auto verbrennt, kurz bevor ihn Beamte nochmals zu seinen Hinweisen zum NSU befragen wollen, besucht Funke dessen Familie. Er wird zu deren Vertrauten, nimmt Handy, Laptop, Camcorder und externe Festplatte des Verstorbenen an sich, um sie von einem Spezialisten auswerten zu lassen. Den Sicherheitsbehörden ist ja nicht mehr zu trauen.

Er lässt nicht locker

Nicht zum ersten Mal wird Funke jetzt selbst zum Aufklärer, zum Aktivisten. Als Mitte der 1990er Jahre der Bosnienkrieg tobt, reist Funke nach Sarajevo. Als 2003 die Irak-Invasion der USA bevorsteht, fliegt er nach Bagdad. Funke war nie Forscher im stillen Institutskämmerchen. Er will sich selbst ein Bild machen, Konflikte begreifen, so nah ran wie möglich. Und das nicht nur als Forscher – wie jene betonen, die ihn kennen: Funke sei Demokrat durch und durch, den nicht loslasse, wenn sich Gewalt in Gesellschaften bricht und vereinbarte Regeln fallen. Sei es durch Neonazis. Sei es durch Institutionen.

In Stuttgart aber wird Funkes Rollenwechsel zum Problem. Seit Wochen pochen die Mitglieder des Untersuchungsausschusses auf die versprochene Herausgabe der Datenträger, sprechen von „Verschleppung“. Funke saß deshalb im Juli wieder dort – diesmal nicht als Experte, sondern als Zeuge. Er, der dem Ausschuss schon mal mangelnden Aufklärungswillen vorwarf, mauerte selbst. Er könne nichts machen, sagte Funke, begleitet von einem Anwalt. Die Auswertung der Datenträger dauere teilweise noch an, teils seien diese wieder bei der Familie. Er berief sich auf seinen Quellenschutz als Publizist.

Es wirkte, als verheddere sich der Professor in seinen vielen Rollen: als Beobachter, als Aktivist, als Vertrauter der Familie Heilig und als nüchtern analysierender Sozialwissenschaftler. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler, temperamentvoller Schwabe und SPD-Mann, drohte, Funke bewege sich auf dünnem Eis. Für die Aussageverweigerung habe er „kein Verständnis“. Im Ausschuss erwägt man nun eine Beschlagnahme der Datenträger, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

„Ich bin Empiriker“

In seinem Berliner Wohnzimmer schüttelt Funke den Trubel ab. Er habe sich aus der Sache herausgezogen, sagt er. Auch um sich selbst zu schützen. Nun stellt Funke wieder Fragen.

Der Ausschuss in Stuttgart ist inzwischen überzeugt, dass Florian Heilig sich selbst tötete: vielleicht aus Liebeskummer, vielleicht aus psychischer Labilität. Für Funke ist das: Unsinn. Heilig wurde „in den Tod getrieben“, weil er bedrängt wurde von Neonazis und Polizei. Für Aufklärung könnte er in dieser Frage selbst sorgen, wenn er mithelfen würde, die Datenträger vorzulegen.

Der Ausschuss geht auch davon aus, dass der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn Böhnhardt und Mundlos zugeschrieben werden kann, bei denen sich die Tatwaffen fanden. Funke hält auch das für Unsinn. Hätten doch Zeugen geschildert, dass mindestens fünf Personen an der Tat beteiligt waren und kein Phantombild passe auf Mundlos und Böhnhardt.

Dass Experten die Bilder als fragwürdig einstufen, dass sich Zeugenaussagen widersprechen – stimmt alles nicht, sagt Funke. In seinem Buch wirft er noch ganz andere Fragen auf. Kann es sein, dass die beiden NSU-Terroristen beim Bombenanschlag 2004 in Köln „staatlich observiert“ wurden? Dass Mundlos und Böhnhardt sich nicht selbst erschossen, sondern ermordet wurden? Dass die Polizistin Kiesewetter sterben musste, weil sie „zuviel wusste“, über rechte Verstrickungen in der Polizei?

Funke lässt hinter vielem ein Fragezeichen. Ganz festlegen will er sich nicht. Aber er schafft so Stoff für die, die im NSU-Komplex inzwischen alles für eine große Verschwörung halten. Andererseits bohrt Funke auch in jenen Fragen, die bis heute tatsächlich rätselhaft sind. Und behauptet nicht selbst der frühere CDU-Obmann des NSU-Ausschusses im Bundestag, Clemens Binninger, dass Kiesewetter kein Zufallsopfer war und mehr als zwei Täter vor Ort gewesen sein müssen? Wieder ein Fragezeichen.

„Ich bin Empiriker“, sagt Funke. „Ich nehme Indizien ernst.“ Und so lange etwas nicht sicher ausgeräumt sei, müsse er Fragen stellen dürfen.

Ein Rest an Staatsräson

In seinem Buch gibt Funke auch Antworten. Als Reaktion auf das NSU-Versagen brauche es einen gesellschaftlichen Aufbruch. Die Forderung, den Verfassungsschutz abzuschaffen, nimmt er nicht in den Mund. So viel Staatsräson ist dann doch noch. Aber: Es bedürfe einer Reform an „Haupt und Gliedern“, V-Leute gehörten abgeschafft und die Abteilung Rechtsextremismus aufgelöst. Sonst, so Funke, existiere die „Gefahr der Wiederholung“.

Was Verfassungsschutzpräsident Maaßen wohl dazu sagt? Funke ahnt es: „Er wird all das nicht machen. Maaßen will keine Aufklärung, keine Reform und keine Kontrolle seines Dienstes.“

An dem Treffen mit ihm hält er dennoch fest. Er wolle mit Maaßen diskutieren, sagt Funke, „etwas Druck machen“. Am Ende geht es für ihn doch immer darum: Er will etwas verändern.

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