Forscher über Wahlen und Algorithmen: „Eine geschickte Werbestrategie“

PR-Firmen wie Cambridge Analytica behaupten: Unsere Daten entscheiden Wahlen. Ist da was dran, oder alles Mythos? Simon Kruschinski von der Uni Mainz erklärt.

Mit einem Smartphone wird ein Foto von einem Trump-Plakat gemacht

Trump auf dem Handy = Trump im Oval Office? So einfach ist es nicht Foto: dpa

taz: Herr Kruschinski, Micro-Targeting ist individuelle Wahlwerbung, ausgespielt von hochpräzisen Algorithmen. Kann so etwas Wahlen entscheiden?

Simon Kruschinski: Bei knappen Wahlen könnte es wahlentscheidend sein, aber es gibt bisher keinerlei empirische Belege dafür, dass Micro-Targeting in sozialen Medien entscheidend für einen Wahlsieg waren.

Wenn also Cambridge Analytica behauptet, sie könne einen Wahlsieg herbeiführen, dann ist das Blödsinn?

Das ist, wenn man das so ausdrücken möchte, Blödsinn. Und eine geschickte Werbestrategie. Unsere Forschungsergebnisse zeigen deutlich: Es ist extrem schwierig, Menschen mit Werbeanzeigen auf Facebook von einer gegenteiligen Sicht zu überzeugen.

Was ist mit Personen, die bereits in eine Richtung tendieren?

Man kann Menschen mobilisieren, die einem bereits zugeneigt sind. Die kriegt man tatsächlich dazu, ihren Glauben zu festigen und am Ende auch wirklich ihr Kreuzchen zu setzen. Das ist eine der zwei relevanten Zielgruppen für Micro-Targeting, die andere sind die Unentschlossenen – und diese Population wird immer größer.

Aber: Nicht jeder Mensch spricht in gleichem Maße auf Werbung an. Da es sich bei Micro-Targeting um ein relativ neues Phänomen handelt, stehen wir in der Wissenschaft noch am Anfang, dieses Phänomen zu entschlüsseln.

Nun gehen wir vom US-Wahlsystem aus, wo wenige Unentschlossene in ein paar Swing-States die Wahl wenden können. Ist es es da nicht plausibel, dass die PR-Firma mit dem richtigen Datensatz eben die entscheidenden 100.000 erreicht?

forscht zu datenbasierten Wahlkampagnen auf Social Media. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Uni Mainz

Ich halte das nicht für plausibel. Aus Gesprächen mit republikanischen Wahlkampfmanagern wissen wir: Die Mechanismen von Cambridge Analytica sind kaum zum Einsatz gekommen. Man musste feststellen, dass das eben nur eine von vielen Datenanalysen ist, und keineswegs so mächtig wie gedacht. Dazu kommt, dass eine Facebook-Anzeige eine von abermillionen Informationpunkten ist, die auf Nutzer einprasseln. Die Chance, dass Leute genau auf diese eine Anzeige anspringen, ist minimal.

Man kann per Micro-Targeting mobilisieren, sagten Sie. Kann man auch demobilisieren?

Klar, das ist ja auch eine altbekannte Strategie des Negative Campaignings. Datengestützte Wahlwerbung auf Facebook ist da nur ein neues Mittel. Es wurde versucht, solche Demokraten vom Wahlgang abzubringen, die davon ausgingen, dass Clinton ohnehin gewinnt.

Für Sie sind das also alles altbekannte, lautere Mittel, nur effizienter.

Ob man das für fair hält, liegt im Auge des Betrachters. Aber an sich sind es Formate, die in allen Kampagnen verwendet werden, und auch von allen Parteien im politischen Spektrum. Wir haben es eben mit einem neuen Kanal zu tun. Dadurch stellen sich natürlich ethische Fragen. Denn die Öffentlichkeit kann nicht nachverfolgen, welcher Wähler wie angesprochen wird. Die politischen Akteure sollten hier für Transparenz sorgen, sollten offenlegen, wie sie Micro-Targeting konkret einsetzen.

Müsste man nicht Facebook gesetzlich zu dieser Transparenz verpflichten?

Ich halte das für falsch. Die Initiative muss von Facebook kommen. Der Konzern muss uns, der Wissenschaft und Öffentlichkeit, seine Datensätze zur Verfügung stellen, damit eine unabhängige Auswertung von politischer Meinungsbildung möglich wird.

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