Folter in Syrien: „Sie wirkten nicht gestresst“

„Es kann keinen Frieden geben ohne Gerechtigkeit“, sagen Überlebende syrischer Foltergefängnisse. Viele von ihnen leben heute in Deutschland.

Ein Mann, Masen Darwisch

Der syrische Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist Masen Darwisch Foto: dpa

BERLIN dpa | Als Abier Farhud erfuhr, dass ihr Name auf einer Liste des Geheimdienstes stand, schnitt die Syrerin ihre langen Haare raspelkurz. „Ich wollte besonders hässlich aussehen, weil ich wusste, dass Frauen in den Haftanstalten vergewaltigt werden“, sagt die 30-Jährige. Sie will Zeugnis ablegen über ihre Zeit im Adra-Gefängnis und in der Haftanstalt 215 des Militärgeheimdienstes in Damaskus. Farhud ist eine von sieben Syrern, die diese Woche beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige erstattet haben gegen syrische Geheimdienstchefs.

Es geht um Kriegsverbrechen und um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und zwei bekannte syrische Menschenrechtsanwälte, Masen Darwisch und Anwar al-Bunni, unterstützen die Anzeige.

Farhud sagt: „Ich habe mich damals auch mental vorbereitet, ich habe mir gesagt, dass sexuelle Misshandlungen letztlich auch nichts anderes sind als Elektroschocks, es schmerzt und dann ist es irgendwann vorbei.“ Nach ihrer Festnahme im Dezember 2011 musste sie sich vor dem Gefängnisaufseher ausziehen, der sie an der Brust berührte.

Geschlagen wurde sie, anders als viele Mitgefangene, kaum. Dass es nicht bis zum Äußersten kam, führt sie darauf zurück, dass sie dem Offizier, der sie verhörte, gefiel. Er machte ihr schließlich einen Heiratsantrag. Sie lehnte ab. Als ihre Eltern eine hohe Summe Bestechungsgeld zahlten, kam sie frei.

„Ich weiß nicht, ob sie überlebt haben“

Farhud lebt heute mit ihrem Mann, Chalid Rawas (29) in Deutschland. Wie seine Frau, so ist auch er ein ehemaliger Häftling der Abteilung 215. Genauso schlimm wie die Schläge mit Stöcken, Plastikrohren und Gürtelschnallen, die er dort erdulden musste, ist für ihn die Erinnerung an die extrem brutale Folterung von zwei Mithäftlingen, die mit Metallhaken malträtiert wurden. Er sagt: „Ich weiß nicht, ob sie überlebt haben. Angeblich waren es Deserteure, aber ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht.“ Er musste niederknien und die Tortur anschauen.

Das syrische Paar lernte sich in einer Aktivistengruppe kennen, die Binnenvertriebenen 2011 in Damaskus Unterschlupf und medizinische Versorgung besorgte. Nach der Flucht heirateten sie im Libanon. Seit Mai 2015 leben sie in Deutschland. Ihre Tochter Jasmin ist heute eineinhalb Jahre alt. Sie könne sich bisher nicht wirklich einlassen auf das neue Leben, sagt Farhud. „Viele unserer Freunde sind tot oder sie sitzen im Gefängnis, und auch das, was mit mir geschehen ist, kann ich nicht so einfach abschütteln.“

Rawas sagt, er habe gewusst, dass beim Geheimdienst gefoltert werde, „aber diese Grausamkeit hatte ich nicht erwartet“. Besonders schockiert habe ihn die beiläufige Art, in der die Peiniger ihre Opfer quälten – oft bis zum Tod. „Sie lachten, sie ließen sich Tee bringen, sie wirkten überhaupt nicht gestresst.“

Logik eines menschenverachtenden Systems

Auch Farhud kannte das Risiko. In den 80er Jahren, als Präsident Hafis al-Assad, der Vater des heutigen Präsidenten Baschar al-Assad, einen Aufstand der Muslimbrüder niederschlagen ließ, verschwand ein Bruder ihres Vaters. Die Familie hörte nie wieder von ihm. Eine Woche lang wurden der Vater und die anderen Brüder des Verschwundenen damals verhört und gefoltert. Man vermutete, sie könnten der gleichen Untergrundzelle angehört haben wie der Verschwundene. Über ihre Erlebnisse in Haft sprachen sie zuhause nicht. „Mein Vater sagte nur zu mir, „was wir gesehen haben, das könnt ihr euch nicht vorstellen““, erinnert sich die Tochter.

Dass die Anzeige, die dem Generalbundesanwalt jetzt zugeschickt wurde, drei Abteilungen des Militärgeheimdienstes betrifft, bedeute nicht, dass andernorts nicht gefoltert werde, betont Masen Darwisch. Der Rechtsanwalt ist Präsident des Syrischen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit. Er hat die Zustände in syrischen Gefängnissen am eigenen Leib erlebt, saß dreieinhalb Jahre in Haft. Im August 2015 kam er frei und konnte aus Syrien fliehen.

Er betont, es gehe bei dieser Anzeige nicht darum, einzelne Folterknechte zu verfolgen, sondern die abartige Logik eines menschenverachtenden Systems. Er sagt: „Wer in Syrien foltert, der denkt, dass er das Gesetz befolgt.“

Warnung vor Selbstjustiz

Darwisch schätzt, dass etwa 80 Prozent der schweren Menschenrechtsverletzungen in Syrien unter Aufsicht des Regimes verübt werden. Hinzu kämen Verbrechen von regimetreuen Milizen, islamistischen Terrorgruppen und einzelnen Rebellenkommandeuren. Er setze sich dafür ein, auch diese zur Anzeige zu bringen.

Dass sich die deutsche Justiz mit der Folter in Syrien befasst, ist aus seiner Sicht auch für den gesellschaftlichen Frieden hierzulande wichtig. Denn Darwisch fürchtet, dass es extremistischen Gruppen sonst leicht fallen könnte, die Frustrierten unter den syrischen Flüchtlingen für ihre Ideologie zu gewinnen. Außerdem warnt er vor Selbstjustiz, „wenn ein Flüchtling hier in Deutschland jemanden wiedersieht, der ihn in der Heimat gequält hatte, und es passiert nichts“.

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