Flutkatastrophe in Sierra Leone: Hunderte Tote nach Erdrutsch

Mit bloßen Händen graben die Überlebenden im Schlamm nach den Opfern der verheerenden Regenfälle über der Hauptstadt Freetown.

Erdrutsch-Schäden im Bergort Regent in Sierra Leone

Die Überlebenden begutachten die Schäden in Regent nahe Freetown Foto: reuters

BERLIN taz | Tausende Menschen werden noch vermisst, die genaue Zahl kennt keiner. Die heftigsten Regenfälle seit Menschengedenken haben in Sierra Leone nicht nur die Hauptstadt Freetown zu großen Teilen unter Wasser gesetzt, sondern auch einen tödlichen Erdrutsch ausgelöst: am Montag gegen 5 Uhr früh fiel der Hügel Sugar Loaf buchstäblich auf die Elendssiedlung Regent am Rande der Stadt, 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Bis Dienstagmittag wurden allein dort 270 Tote geborgen. In anderen Teilen Freetowns ist ebenfalls eine dreistellige Zahl von Flutopfern zu verzeichnen.

Die Suche nach Opfern ging am Dienstag weiter. Dutzende von toten Kindern werden im Schlamm von Regent noch vermutet, warnt die Hilfsorganisation Save the Children. Teils mit bloßen Händen wühlen sich die Freiwilligen des Roten Kreuzes durch die rote Erde, berichten Augenzeugen. „Unsere Notdienste erwiesen sich wieder einmal als völlig unzulänglich“, schrieb der BBC-Journalist Uma­ru Fofana in der Nacht zum Dienstag auf Facebook, nachdem er den gesamten Montag am Unglücksort verbracht hatte. „Ich sah, wie Leute mehrere Stunden nach dem Unglück Leichen ausgruben. Ohne Werkzeug. Ohne Tragen. Ohne schweres Gerät.“

Nach ersten Schätzungen haben 3.000 Menschen ihre Häuser verloren, aber es werden vermutlich viel mehr. Freetown ist eine dicht besiedelte hügelige Küstenstadt mit einer Million Einwohner, von denen die meisten unter elendigen Bedingungen leben, ohne feste Behausungen oder sanitäre Anlagen. Die diesjährige Regenzeit ist dreimal so ergiebig wie normal, mit über 1.000 Liter pro Quadratmeter seit Anfang Juli.

Nach drei Tagen schwerem Dauerregen verwandelten sich in der Nacht zum Montag immer mehr Straßen in reißende Flüsse und immer mehr Siedlungen, vor allem an Erdhängen, wurden unterspült. „Der Erdrutsch schoss am frühen Morgen von den Hügeln am Rande von Freetown hinunter und verschonte nichts auf seinem Weg“, sagte Sasha Ekanayake, Sierra-Leone-Direktor von Save the Children.

Viele entgingen dem Tod nur, weil der Regen sie weckte

„In manchen Orten sind anscheinend ganze Siedlungen weggeschwemmt worden, und was übrig ist, ist von Schlamm bedeckt“, berichtete Abdul Nasir von der Internationalen Rotkreuz-Föderation (IFRC). „Es ist sehr schwer, zu schildern, wie die Realität aussieht“, erklärte Ishmeal Charles vom Hilfswerk Caritas gegenüber dem britischen BBC-Rundfunk, der wichtigsten Nachrichtenquelle der Sierra Leoner. „Es ist fürchterlicher und trauriger und schrecklicher, als irgendjemand beschreiben kann.“ Viele Überlebende entgingen dem Tod nur, weil der Regen so heftig war, dass er sie in der Nacht weckte und sie sich dann im Dunkeln irgendwie in Sicherheit brachten.

Sierra Leones Präsident Ernest Bai Koroma rief die Bevölkerung in einer Fernsehansprache dazu auf, sich von den überschwemmten Gebieten fernzuhalten. „Diese große Tragödie hat uns wieder einmal herausgefordert, zusammenzukommen, zusammenzustehen und uns gegenseitig zu helfen“, sagte er. Sierra Leone hat gerade erst begonnen, sich von der verheerenden Ebola-Epidemie zu erholen, die 2014/15 rund 4.000 Tote forderte.

Sierra Leone hat gerade erst ­begonnen, sich von Ebola zu erholen

Die Ebola-Epidemie machte deutlich, wie wichtig es wäre, in einem der ärmsten Länder der Welt mit einer langen blutigen Bürgerkriegsgeschichte endlich ein funktionierendes Gesundheitswesen aufzubauen und eine Basisversorgung beispielsweise mit sauberem Wasser zu gewährleisten. Geschehen ist nicht viel.

Erst vergangene Woche weihte Japans Generalkonsul in Sierra Leone die erste Trinkwasseraufbereitungsanlage für Opfer der letzten verheerenden Fluten in Freetown im September 2015 ein – im Ort Koya, wo Bewohner des damals zerstörten Stadtviertels Mile Six Unterschlupf gefunden hatten. Damals starben zehn Menschen. Die Wasseraufbereitungsanlage hat fast zwei Jahre auf sich warten lassen.

„Das Leichenmanagement ist ein Problem“

Diesmal ist die Katastrophe um ein Vielfaches größer, und eine unmittelbare Sorge wird sein, dass sich in den Flutwassern Seuchen und Durchfallerkrankungen wie Cholera ausbreiten. Vorher aber ist das Wichtigste, die Überlebenden zu versorgen – und die Toten zu finden und zu bergen. „Das Leichenmanagement“, heißt es in der ersten Stellungnahme der humanitären EU-Abteilung ECHO, „ist ein Problem.“

Mitarbeit: Teteh Kamara, Freetown

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