Fliegen ohne schlechtes Gewissen: Klimaschutz statt Kerosin

Agenturen bieten seit längerem für Geld den Ausgleich der Emissionen an. Was ist daraus geworden?

Der Himmel über Frankfurt. Bild: dpa

BRASILIEN zeo2 | Helm auf, Visier runter. Nedió Silva Fernandez und seine Kollegen nehmen einen Hammer und schlagen einen Keil in die Rinde des 80 Jahre alten hochgewachsenen Massaranduba. Und noch einen. Weißer Saft quillt heraus. Die Keile geben die Richtung vor, in die der Baum fallen soll. Es ist Muskelarbeit, damit rundherum so wenig Grün wie möglich mit in den Tod gerissen wird. Dann heult die Motorsäge, Fernandez setzt an, fräst einen Schlund in das Holz.

Nur wenige Minuten, schon hält der Baum nicht mehr Stand. 15 Tonnen rötliches Holz: hingeschlagen. Jetzt ist Ruhe. Fernandez, der Holzfäller, rotes TShirt, blaue Hose, schwarze Sicherheitsschuhe, steht da wie ein Sieger. Stolz. Ein Bein auf dem frischen Stumpf, das andere auf dem Stamm. Der Baum ist erlegt. Fernandez wird sagen, er sei sanft, ja „liebevoll“ vorgegangen. Anders als die Konkurrenten, die mit ihren Bulldozern und Kettensägen kommen. Die Prozedur im brasilianischen Regenwald wirkt dennoch brutal. Wie viel Zerstörung ist erlaubt, hier im grünen Paradies?

Totes Holz, 38 Meter lang, hart, gut für Bahnschwellen, Fenster, Hausbau. Doch 65 Prozent des stattlichen Massaranduba- Baumes werdem im Ofen verschwinden, sie werden im nahen Heizkraftwerk in Itacoatiara, 250 Kilometer östlich von Manaus im Amazonasgebiet, verbrannt. Europäer spenden dafür Geld. Jene, die ihr grünes Gewissen beruhigen wollen. Wer fliegt, kann gegen einen kleinen Aufpreis für den Treibhausgasausstoß zahlen. Mit dem Geld sollen an anderer Stelle, meist in ärmeren Ländern, Emissionen wieder eingespart werden. Etwa durch Umweltprojekte wie das Heizkraftwerk in Itacoatiara.

Die Idee ist eigentlich genial, nur: Was bringt sie wirklich? Heute redet kaum noch einer über die Klimakompensation. Dabei war das schon mal anders. 2007 hat der „Stern Review on the economics of climate change“ die Klimadebatte auf ein neues Niveau katapultiert. Sir Nicholas Stern, ein britischer Ökonom, hat mit seinem Team zum ersten Mal Zusammenhänge zwischen der Erderwärmung und der Volkswirtschaft hergestellt. Die Botschaft: Nichtstun ist am Ende teurer. Fortan reden nicht nur Experten davon, dass der Ausstoß von Treibhausgasen Kosten verursacht und die Tonne CO2 ein Preisschild bekommen sollte. 

Eine Art Wiedergutmachung

Weltreisen geraten in Verruf. Doch zuhause bleiben will auch keiner so recht. Die Urlauber nicht. Die Unternehmer nicht. Die Politiker auch nicht. Eine kleine Strafe zu zahlen, eine Art Wiedergutmachung, um sich für das Fliegen nicht schämen zu müssen – das gilt als hip. Klimakompensationsagenturen werden größer. Myclimate aus Zürich ist die Firma, die das Holzheizkraftwerk im brasilianischen Amazonas unterstützt. Der Massaranduba liegt platt und schwer im Grünen. Er muss da jetzt raus. Aber dieses Gewicht: 15 Tonnen. Und diese Wildnis: Bäume stehen in der Quere, Farne sowieso.

Monatelang haben die Holzexperten hier die Pflanzen kartiert. Junge Bäume sollen stehen bleiben, diejenigen, die beste Samen spenden, auch. Der Massaranduba – Inventarnummer 592481, Abteilung ITP 09B, Block 340/9708 – nicht. 35 Jahre werden die Forstexperten den Block danach nicht mehr anrühren. Ein Pfiff, dann ruckelt der Stamm, Stück für Stück bewegt er sich. Die Männer haben ein dickes Stahlseil um ihn gelegt. Eine Winde hinter dem Trecker auf dem Wegesrand in 30 Meter Ferne zieht es. Keine schweren Geräte.

Am Ende schafft eine Maschine mit großem Greifer die Ernte auf die Forststraße zum rostigen Tieflader. Der donnert über die sandige Piste zum Sägewerk. Es gehört zur Schweizer Firma Precious Woods. Katharina Lehmann, die das Unternehmen managt, läuft durch die großen Hallen, an Holzlatten und Vierkanthölzern vorbei, an Kleinteilen für Möbel und an Stäben, an denen mal Tomaten ranken sollen – anders gesagt: an Stückchen des Amazonas-Regenwaldes, dem größten CO2-Speicher der Erde. Was daran gut sein soll?

Lehmann sagt, dass der Fleischhunger den Regenwald fresse, da das Geschäft mit dem Sojafutter bestens laufe und für den Sojaanbau der Wald rund um Itacoatiara weichen müsse. Ihr Resumee: „Wer dem etwas entgegen setzen will, muss den Regenwald klug bewirtschaften.“ Schützt den Dschungel, fällt Bäume – die Leute von Greenpeace sind immer skeptisch, wenn es um die Nutzung des Waldes geht. Sie fürchten, dass über die Maßen Holz geschlagen wird. Precious Woods halten aber auch sie für „eine der besseren.“

Der Himmel über Frankfurt II. Bild: dpa

Im Sägewerk in Itacoatiara arbeiten knapp 500 Leute, sie bekommen 1.200 Reais im Monat, 724 sind der Mindestlohn. An jeder Palette prangt das internationale FSC-Siegel für nachhaltige Holzwirtschaft. Es wäre besser, wenn Treibhausgase erst gar nicht entstehen und Politiker mit dem Rad ins Büro oder mit der Bahn zur Konferenz fahren, sie einfach mal auf dem Boden bleiben würden. Doch der CO2-Ausstoßnimmt zu und der UN-Klimarat, das International Governmental Panel on Climate Change hat gerade erst gewarnt, dass für mehr Menschen Wasser knapp wird, die Ernten magerer ausfallen können.

Die Schäden werden irreparabel sein, wenn der Mensch die Treibhausgase nicht kräftig mindert. Die Klimakompensation sei jedoch so lange „zerredet“ worden, dass kaum noch jemand an ihre Wirksamkeit glaube, sagt Wolfgang Strasdas. Er ist Professor für nachhaltigen Tourismus an der Hochschule Eberswalde und hat im Jahr 2010 an einer Befragung von Verbrauchern zum Ausgleich von Treibhausgasen mitgearbeitet. Es ist die größte bisher.

Ihre Ergebnisse gelten immer noch. Demnach kompensieren nicht mal vier Prozent der Bevölkerung ihre Flugreisen. Das liege, meint Strasdas „zum einen an den Umweltverbänden, die die Klimakompensation als „Ablasshandel“ bezeichnet und damit schlecht gemacht haben. Zum anderen an den großen Tourismusunternehmen und Fluggesellschaften, die Emissionen immer klein rechnen und Qualitätsstandards der Kompensation drücken. “ Das verunsichere Verbraucher.

Ein Beispiel: Die Lufthansa bietet auf ihrer Webseite einen Emissionsrechner an. Für einen Flug von Berlin nach Sao Paulo und zurück werden 1,992 Tonnen CO2 veranschlagt, bei Myclimate sind es 3,941 Tonnen. Das ist auch deshalb ein Rätsel, weil der CO2-Rechner des Luftfahrtkonzerns auch von Myclimate betrieben wird. Bei Atmosfair sind es dagegen 6,86 Tonnen. Die Unterschiede sind extrem, zum Vergleich: Die Pro-Kopf-Jahresemissionen in Indien liegen derzeit bei 1,4 Tonnen. Myclimate betreibt übrigens auch einen Rechner – für Tui Fly. 

Der Kondensstreifen wirkt verstärkend

Nach einem Relaunch der Internetseite dieses Reiseunternehmens ist die Möglichkeit zum CO2-Ausgleich allerdings wieder verschwunden. Bei der Service-Hotline hieß es aber: „Das soll behoben werden.“ Ein Flug, mehrere Rechnungen. Viele Probleme. Denn Flugzeuge stoßen nicht nur Kohlendioxid aus, sondern auch Stickoxide, Ruß, Wasserdampf und andere Stoffe, die den Treibhauseffekt verstärken. Der Wasserdampf bildet zum Beispiel die gut sichtbaren und wie ein Glasdach wirkenden Kondensstreifen.

Wissenschaftler haben den RFI-Faktor, den Radiation Forcing Index, entwickelt, um solche Effekte einzubeziehen. Jede vom Flugzeug ausgestoßene Tonne CO2 wird damit multipliziert. Doch gibt es keine Einigkeit, wie hoch dieser Faktor sein muss. Myclimate lässt ihn bei der Lufthansa ganz wegfallen, legt ihn auf der eigenen Webseite indes bei 1,9 fest. Atmosfair rechnet mit dem Faktor 3, entsprechend einer Empfehlung des Umweltbundesamtes. Dietrich Brockhagen ist der Geschäftsführer von Atmosfair.

Er beklagt, dass manche Emissionsrechner deutlich geringere Klimakosten ausspucken als andere. Er fordert hohe Standards. Brockhagen sagt: „Der Kunde denkt sonst: Ist doch billig! Kann ja nicht so schlimm sein.“ Die Lufthansa hatte auch bei Atmosfair nach einer Zusammenarbeit gefragt. Brockhagen winkte „wegen der unvollständigen CO2-Bilanz“, so sagt er, ab. Genauso erging es Kyocera, Hersteller von Druckern und Kopierern. „Die größte CO2-Belastung macht die Stromversorgung der Drucker während des Gebrauchs aus. Da hilft Kompensation nicht, nur Ökostrom,“ sagt Brockhagen.

Er schlug Kyocera deshalb vor, Drucker nur mit Hinweisen zur CO2-Bilanz und zum Stromwechsel zu verkaufen und den Aufbau von Erneuerbaren Energien hierzulande zu unterstützen. Sie kamen nicht zusammen. Kyocera und Myclimate aber schon. Oder Vaude. Die Firma für Outdoor-Ausrüstung wollte nur einen Teil ihrer Klimabilanz kompensieren, erzählt Brockhagen, nämlich nur die Emissionen aus der Firmenzentrale in Tettnang, aber nicht an anderen Produktionsorten und bei Zulieferern im Ausland. Vaude kooperiert jetzt schon seit vier Jahren mit Myclimate. „Das Gesamtpaket der Dienstleistungen und die Herangehensweise“, so sagt Hilke Patzwall von Vaude sei ihnen „passender“ vorgekommen.

Der Himmel über Frankfurt III. Bild: dpa

Kyocera-Sprecherin Monika Jacobi meint: „Beide Anbieter sind uns von der Deutschen Umwelthilfe empfohlen worden. Beide sind gleichwertig. Da gab es kein Preisargument. Aber bei Myclimate waren wir sehr schnell am Ziel.“ Auch für Myclimate gibt es Grenzen. Franziska Heidenreich ist bei Myclimate verantwortlich für die Klimaschutzprojekte. Sie sagt: „Mit Ölkonzernen würden wir derzeit nicht zusammenarbeiten.“ Die beiden Non-Profit-Organisationen gelten auf dem sehr unübersichtlichen Markt der Klimakompensation als seriös.

Atmosfair ist aber viel kleiner, hat im Jahr 2013 knapp drei Millionen Euro in Klimaschutzprojekte gesteckt, Myclimate im selben Zeitraum hingegen rund 8,5 Millionen. Das Holzheizkraftwerk, gleich neben dem Sägewerk von Precious Woods, liefert Strom für 80.000 Einwohner in Itacoatiara: jedes Jahr 56.000 Megawattstunden. Die Arbeiter, die den Massaranduba und andere Stämme zersägen, werfen den Verschnitt, die Rinde, den Abfall auf große Förderbänder, die neben und unten ihnen durch das Sägewerk laufen. Diese transportieren das Restholz, das sonst auf dem Hof verrottet wäre, in das Biosmassekraftwerk.

Früher wurden für dieselbe Menge Strom im Jahr gut 15 Millionen Liter Diesel verbrannt. Das Projekt hat das Gütesiegel CDM-Gold-Standard, er wird von einer unabhängigen Organisation in Genf vergeben. Die Bevölkerung vor Ort muss zum Beispiel mitreden dürfen, ob sie so ein Projekt überhaupt will. Der eine unterstützt Heizkraftwerke in Brasilien, der andere bringt saubere Öfen nach Lesotho. Lenkt das ganze Ausgleichen nicht nur von der Umstellung auf ein CO2-armes Leben ab?

„Es gibt keinen Vielflieger, der noch mehr fliegt, nur weil er kompensiert“, sagt Myclimate-Mitarbeiterin Heidenreich. Freilich reiche es nicht, nur zu kompensieren, meint Dietrich Brockhagen von Atmosfair. Die Emissionen müssten runter. Darum erstelle seine Organisation seit 2011 zum Beispiel auch ein Klimaranking für die 150 größten Fluggesellschaften. Dies zeige, dass auch die Airlines selbst etwas tun können – und Passagiere die besten bevorzugen könnten. Fluggesellschaften mit modernen Flugzeugen und hoher Auslastung wie Air Berlin lägen da vorn. „Vermeiden, mindern, dann erst ausgleichen“ – diesen Dreisatz halten sich beide Non-Profit-Organsiationen zugute. 

Was ist mit China?

Die Grenzen sind allerdings fließend. So kompensiert Atmosfair zum Beispiel keine Autofahrten (Motto: Nehmen Sie Bus, Bahn, ein Ökostrom-Auto!) und auch keinen Stromverbrauch im Haushalt (Stellen Sie um auf Öko!). Myclimate schon. Aber auch bei Atmosfair kann man einen Flug von München nach Berlin ausgleichen, als gebe es für die Distanz keine Zugverbindung. Immerhin: Der Kunde wird auf die klimaverträgliche Art des Reisens aufmerksam gemacht mit dem Satz „Übrigens: Diese Strecke können Sie viel klimaschonender mit der Bahn fahren“.

Daneben: Der Link zur Internetseite der Bahn. Das Rund-um-Wohlgefühl schafft auch die Klimakompensation nicht. Atmosfair-Chef Brockhagen sagt es aber gerne so: „Alles was ich tue ist Peanuts, wenn ich mich mit China vergleiche. Ihre Entscheidung ist aber eben nicht globalisiert, sondern Sie treffen sie individuell. Bezogen auf China sind das dann 0,0 Prozent, aber bezogen auf das, was Sie auf der Welt ändern können sind es 100 Prozent.“

Hanna Gersmann. Die Reise nach Itacoatiara wurde finanziert und kompensiert von Myclimate.

Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 3/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.