Finnische Literatur: Sommer im kleinen Polar

Eine Zeit der Rituale: Olli Jalonens Roman „Von Männern und Menschen“ erzählt vom Erwachsenwerden in der finnischen Provinz 1972.

ein Boot am See in finnischer Landschaft

Sommer am finnischen See. Olli Jalonen ist einer der bekanntesten finnischen Gegenwartsschriftsteller. Foto: privat

In Finnland ist der Winter noch länger, kälter und dunkler. Doch dann folgen die Monate, in denen die Sonne kaum untergeht. In solch einem finnischen Sommer 1972 verändert sich für für den 17-jährigen Erzähler in Olli Jalonens Roman „Von Männern und Menschen“ alles, für immer. Denn nach einem wiederholten Herzinfarkt wird dem Vater der Arbeitsplatz gekündigt. Dadurch werden die Rollen in der dreiköpfigen Familie neu verteilt.

Bis zum Beginn des kommenden Schuljahrs muss sich der jugendliche Erzähler nun entscheiden. Soll er die weiterführende Schule fortsetzen oder sich eine Arbeit zu suchen, um die Mutter, die bei Leuten putzen geht zu unterstützen. Während der beginnenden Sommerferien kann der Junge zunächst einmal in der Installationsfirma von „Vetter Lampinen“ aushelfen. Wie die anderen Saisonkräfte auch, zieht er dafür aufs Betriebsgelände in einen der ausrangierten Wohnwagen vom Typ Polar.

In dieser eigenen Welt lernt er männliche Rituale, große Reden und unbeholfenes Schweigen kennen. Aus der Perspektive des Heranwachsenden blickt er auf die in den 1970er Jahre von Klassenunterschieden und Weltkriegserfahrung geprägte finnische Gesellschaft.

Olli Jalonen Foto: Pekka Nieminen

Damals 1972 verlängerte der seit 1956 amtierende Präsident Kekkonen durch ein Sondergesetz seine Amtszeit, nachdem er mit Breschnew ausgehandelt hatte Finnlands Abkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu tolerieren. Geprägt von den historischen Erfahrungen des Winterkrieges und der sowjetischen Annektion Kareliens 1940 bemühte sich das Land in Zeiten des Kalten Krieges um eine fragile Balance zwischen Ost und West.

„Ich bin schlecht im Reden mit anderen, außer mit solchen, die ich richtig gut kenne, vor allem, wenn viele andere zuhören.“ Umso aufmerksamer beobachtet der junge Erzähler die Menschen in seiner neuen Umgebung – die älteren Kollegen genauso wie den jungen Rekku, der mit ihm die Unterkunft im kleinen Polar teilt, sympathisch, belesen und geistig behindert. Oder Rekkus interessante Mutter und ihre Schwester Silja, die auf einem Bauernhof umgeben von Rohheit und harter Arbeit nach Empfindsamkeit und Selbstbestimmung suchen.

„Richtig gut“ kennt der schweigsame siebzehnjährige Jukka und dessen Zwillingsschwester Karina, unbekümmert lebende Kinder des Lokalredakteurs. Mit Jukka stöbert er nach fernen Radiosignalen vom Rest der Welt, produziert Alkohol an und kurvt auf Yukkas Motorrad durch die Nacht. Trotzdem ist auch ihre Freundschaft gefangen in unausgesprochenen Zuweisungen. Doch allmählich erkennt der Junge aus einfachen Verhältnissen die Widersprüche seiner Umwelt und ahnt, dass die ihm vertrauten engen Rollen- und Verhaltensmuster für ihn nicht verbindlich bleiben müssen.

Olli Jalonen: „Von Männern und Menschen“. A. d. Finnischen von Stefan Moster. Mare Verlag, Hamburg 2016, 544 S., 24 Euro

Begleitet von eindrücklichen Bildern eines intensiv gelebten Sommers entwickelt der 1954 in Helsinki geborenen Autor in „Von Männern und Menschen“ überzeugend das Coming-of-Age seines Erzählers vor dem facettenreichen Hintergrund finnischen Zeitgeschichte. 2017 feiert die junge Republik ihre hundertjährige Unabhängigkeit.

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