Filmklassiker „Die Reifeprüfung“: Na dann mal prost, Mrs. Robinson

Zu seinem 50. Geburtstag bekommt Mike Nichols’ Klassiker „Die Reifeprüfung“ ein neues digitales Gewand. Ein freudiges Wiedersehen.

Anne Bancroft und Dustin Hoffmann liegen im Bett

Mrs. Robinson, die Mutter aller Cougars, und Benjamin Foto: ap

Hello darkness my old friend / I’ve come to talk with you again.“ Paul ­Simon singt tief, Art Garfunkel sehr hoch, dazu eine spärliche Mollgitarre. Und ­Dustin Hoffman, 29 Jahre alt, weißes Hemd mit Krawatte, graues Jackett. Hoffman steht im rechten Bilddrittel auf einem (unsichtbaren) Rollsteg, seitlich zur parallel fahrenden Kamera, schaut und fährt ins Nichts. „Within the sound of ­silence“.

Diese Stille wird er etwas später, nach der oft zitierten langen Eingangssequenz zu Mike Nichols’ Film „Die Reifeprüfung“, verzweifelt suchen und einfach nicht zugestanden bekommen: Nichols erdachte den von Hoffman gespielten Collegeabsolventen Benjamin Braddock als einen, der die Welt der Erwachsenen satthat, als Fake erkennt, sie ablehnt und boykottiert.

Wenn auch anfangs noch mit – für das Jahr 1967 – recht zurückhaltenden Methoden: Braddock, der den Collegeabschluss zurück in die kalifornische Heimat trägt, ist im ersten Drittel des Films mit der Flucht beschäftigt. Vor den übergriffigen Eltern und ihren gekünstelten Freunden, vor ihren Partys und ihren Ansprüchen an ihn. Und schließlich flüchtet er aus dem Haus der Robinsons, alter Freunde seiner Eltern, vor den Brüsten von Mrs. Robinson.

Die Mutter aller Cougars, die jedes Outfit mit einem oder mehreren Animalprint-Stücken abrundet („Cougar“ bedeutet „Puma“), hatte ihn aufgefordert, sie heimzufahren, mit ins Haus zu kommen, schließlich hatte sie ihn in ihr Schlafzimmer befohlen, und ihm barbusig ein Verhältnis angeboten. Was er verzweifelt, überfordert, schwitzend erst einmal ablehnt.

„Ein dunkler Pinocchio erweckt eine Rolle zum Leben“

Wie Mrs. Robinson, deren Darstellerin Anne Bancroft in Wahrheit nur sechs Jahre älter ist als Hoffman, diese Art von Macht über einen jungen Studenten ausüben kann, ist der geniale Einfall des Autors der Romanvorlage, Charles Webb: Eigentlich verhält sich Mrs. Robinson genauso, wie es vielen Männern dieser Zeit zugeschrieben wird: skrupellos, gelangweilt, interessiert an Sex mit einem Jüngeren. Nur dass sie ihr Bedürfnis weder mit körperlicher Gewalt noch mit materiellen Versprechen durchsetzt.

„The Graduate“. ­Regie: Mike Nichols. Mit Dustin ­Hoffman, Anne Bancroft u.a. USA 1967, 105 Min. Ab 3.8. im Kino

Sie nutzt stattdessen Bens Manieren: Benjamin, sei nicht albern, du bringst mir jetzt sofort mein Portemonnaie ins Schlafzimmer, herrscht sie ihn an. Und der wohlerzogene Benjamin, der es nicht gewohnt ist, sich gegen Regeln aufzulehnen, gehorcht. Verführung kann man das nicht nennen, eher Kalkül.

Später im Film wird auch Ben dem „Spirit“ seiner Zeit erlegen, wird aufbegehren und formulieren, was er wirklich will: Mrs. Robinsons Tochter Elaine. Zur moralischen Empörung so mancher damaliger Zuschauer kann ihn nicht mal Elaines überstürzte Hochzeit mit einem anderen davon abhalten. Und so ein Holzkreuz aus der „Wedding Chapel“ lässt sich hervorragend als Waffe benutzen.

Eigentlich hatten Nichols und sein Drehbuchautor Buck Henry Braddock als „Surfboard“ gesehen, einen „kalifornischen Prototyp: blond, groß, braun gebrannt, Robert Redford etwa“, erzählte Henry in einem Interview. Nichols verstand allerdings, dass einem blendenden „WASP“ wie Redford niemand die Rolle des hadernden, zweifelnden Verlierers abnehmen würde. Und entschied sich für den im Kino unbekannten Thea­terschauspieler Hoffman, den er von einem Casting für einen ­anderen Film kannte. „Ein dunkler Pinocchio erweckt eine hölzerne Rolle zum Leben“, titelte das Life-Magazin im November 1967 und begann den Artikel mit der tendenziösen Feststellung: „Wenn sein Gesicht sein Vermögen wäre, würde er in Armut leben.“

Leises, verängstigtes Quietschen

Hoffman hatte es nicht nur schwer bei der Presse – schon sein Casting für die Rolle war eine Katastrophe. Ungeübt in Filmcastings, sei er nervös und unsicher gewesen, das erzählten später Regisseur und Darsteller. Genau diese Unsicherheit war es jedoch, die Nichols für Braddock wollte, dessen leises, verängstigtes Quietschen in besonders spannungsvollen Situationen eine Idee von Ex-Comedian Nichols selber war.

Dass die Presse darauf bestand, Hoffman sei trotz des enormen Erfolgs von „The Graduate“ ein „Typecast“-Schauspieler, der nur eine einzige Rolle beherrsche, wurde spätestens 1969 mit „Asphalt-Cowboy“ revidiert, für den er für den Oscar nominiert war.

Dabei zeigt Hoffman unter Nichols’ genauer Regie und den unglaublich nahen, perfekt aufgeteilten Bildern von Robert Surtees, der mindestens genauso wie Henry, Nichols und Hoffman selbst am Gelingen der komischen Szenen beteiligt war, in „The Graduate“ schon sehr deutlich, was er kann. Wenn er im Hotel ein Zimmer für seine designierte ältere Liebhaberin und sich reservieren soll und an der Rezeption den Meldezettel ausfüllt, aber aus Versehen seinen echten Namen draufschreibt und daher versucht, den Zettel verschwinden zu lassen – das balanciert in schreiender Situa­tionskomik an der Grenze zum Slapstick, nur dass Hoffman einen viel mehr rührt.

Hoffmans offenes Gesicht, seine viel zitierte schauspielerische „Durchlässigkeit“ tragen „The Graduate“ ebenso wie die vielen guten Ideen von Nichols – vom Kameramann bis zur Musik, die komplett von Simon & Garfunkel stammt. Paul Simon hatte für den Film übrigens nur eine sehr kurze, rudimentäre „Mrs. Robinson“-Version geschrieben. Als die Leute begannen, vor den Kinos Schlange zu stehen, schrieb er schnell ein paar weitere Strophen. Und landete einen Nummer-1-Hit.

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