Filmfestspiele in Venedig: Harte Kost

Lars von Trier arbeitet in der Langfassung des zweiten Teils von „Nymphomaniac“ mit sehr expliziten Einstellungen. Die Mostra ist nichts für zarte Gemüter.

Charlotte Gainsbourg, die Hauptdarstellerin von „Nymphomaniac“, in Venedig. Bild: reuters

Charlotte Gainsbourg trägt ein schwarzes Oberteil aus matt glänzendem Material, ein Ärmel liegt eng an und reicht bis zum Handgelenk, der andere Ärmel fehlt, die Schulter bleibt frei. In der Sala Darsena bildet sich ein dichter Kreis um sie und um Uma Thurman herum, alle fotografieren und filmen, bevor der zweite Teil von Lars von Triers „Nymphomaniac“ in der langen, 180 Minuten dauernden Fassung Premiere hat.

Von der kürzeren Fassung, die im April in den deutschen Kinos anlief, unterscheidet sie sich, da es einige explizite Einstellungen von Penetrationen gibt. Außerdem hat Seligman (Stellan Skarsgård) mehr Zeit für seine Abschweifungen, wobei sein Glauben an das Gute im Menschen auf eine harte Probe gestellt wird, während Joes Nihilismus sich besser entfaltet als in der kürzeren Fassung.

Lars von Trier schafft seiner Protagonistin mehr Raum, sich als Sprachrohr seines Skeptizismus zu behaupten. Und noch etwas ist anders: Es gibt eine en détail gefilmte Abtreibung, die die von Gainsbourg gespielte Joe ohne fremde Hilfe an sich ausführt. Man sieht, wie sie ihre Werkzeuge – einen Kleiderbügel aus Draht und Stricknadeln – im Wasserkocher sterilisiert, wie sie ein Leintuch auf dem Boden ausbreitet und sich Latexhandschuhe überstreift.

Nichts für zarte Gemüter

Zwischengeschnitten sind Ultraschallaufnahmen einer Gebärmutter, in die ein spitzer Gegenstand eindringt, dann sieht man Joes schmerzverzerrtes Gesicht und hört sie schreien. Wieder ein Ultraschallbild, diesmal ist zu erkennen, wie der Fötus aus der Gebärmutter gezogen wird. Nach dem Schnitt schaut die Kamera zwischen die Beine und verfolgt, wie ein vielleicht acht Zentimeter großes Wesen aus der Vagina herausgeholt wird. Meine Augen suchen derweil den oberen Bildrand nach ruhigeren Stellen ab.

Zarte Gemüter haben es schwer bei dieser Mostra, denn auch im nächsten Film mangelt es nicht an Blut und Blicken ins Körperinnere. Shinya Tsukamotos Wettbewerbsbeitrag „Nobi (Fires on the Plain)“ hat auf die Frage, wie sich Kriegsgräuel darstellen lassen, eine Antwort größtmöglicher Unverfrorenheit: Je blutiger es zugeht und je mehr Gore-Elemente man aufnimmt, umso besser. „Nobi“ ist das Remake eines Films von Kon Ichikawa aus dem Jahr 1959.

Im Mittelpunkt steht Tamura, ein an Tuberkulose erkrankter japanischer Soldat, der auf einer philippinischen Insel stationiert ist. Der Krieg geht zu Ende, die japanischen Truppen sind in der Defensive, philippinische und alliierte Kämpfer haben fast alle japanischen Soldaten getötet. Tamura verliert den Anschluss, irrt allein durch dichten Wald, strauchelt auf Lichtungen voller Toter, trifft auf andere Japaner, die wie er orientierungslos durch den Dschungel streifen.

Tsukamoto besorgt auch die Kameraarbeit, und er hat keine Scheu, die zerstörten Körper zu filmen: Gehirne, abgetrennte Glieder, Eingeweide, die aus Bäuchen quellen, die Leichen sind fast schon Teil des Laubs und des Wurzelwerks. Das Geräusch von schwirrenden Fliegen ist allgegenwärtig, das Sichtfeld ist oft eingeschränkt. In den Sequenzen, in denen gekämpft wird, gibt die Kamera jede sichere Position des Blicks auf; das Bild stürzt und kippt wie die Soldaten unter Beschuss, mehr als einmal spritzt etwas Rotes aufs Objektiv.

Bis den Überlebenden die Yams-Wurzeln ausgehen und sie ihren Hunger auf andere Weise stillen, dauert es nicht lange. Tsukamoto paart Versatzstücke aus Kannibalen-Filmen mit dem metaphysischen Drall, den man aus Nicolas Winding Refns „Valhalla Rising“ oder aus Terrence Malicks „The Thin Red Line“ kennt, sein Film ist wie ein Gruß aus dem Totenreich; die Grenze zum Wahnsinn hat er längst überschritten.

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