Filmfestival in Thessaloniki: Der große Gewinner bekam kein Geld

Der griechischen Filmindustrie geht es schlecht, dennoch entstehen erfindungsreiche Filme. In Thessaloniki war viel Mut und Selbstironie zu spüren.

Um eine Kamera drängt sich dramatisch ein Team.

Und das auch noch in schwarzweiß: „Too Much Info Clouding Over My Head“ von Vassilis Christofilakis Foto: Filmfestival Thessaloniki

Die Stimmung im Warehouse C auf dem alten Hafengelände in Thessaloniki ist an diesem Nachmittag stark aufgeheizt. Immer wieder gibt es lautstarke Zwischenrufe, werden die Redner auf dem Podium niedergebrüllt. Es sind fast tumultartige Szenen die sich hier abspielen, dabei geht es nicht um die Ausbeutung von Hafenarbeitern, sondern um das scheinbar dröge Thema Filmförderung.

Da liegt in der griechischen Kinobranche einiges im Argen, wie bei der am 12. November zu Ende gegangenen 58. Ausgabe des wichtigsten Filmfestival des Landes deutlich wurde. Die Hauptfördermittel der hiesigen Filmindustrie kommen aus zwei Töpfen: dem Greek Film Center EFP und dem staatlichen Fernsehen ERT. Und beide sind derzeit selbst in akuter Not. Am 24. Oktober löst Vassilis Kostopoulos, Geschäftsführer von ERT, ohne Angabe von Gründen die Expertenkommission auf, just vor deren Bekanntgabe der nächsten Fördermittel.

Eine Woche später, am Tag der Festivaleröffnung, feuert Kulturministerin Lydia Koniordou die Leiterin des offiziell von der Regierung unabhängig agierenden Greek Film Center, Ilektra Venaki.

Lautstarker Protest

Das sind nur die jüngsten Erschütterungen einer seit Jahren katastrophalen Situation, die öffentliche Förderung von Filmprojekten, wie es sie im Rest Europas gibt, immer schwieriger macht. Wer in diesem Chaos die Verantwortung trägt, ist kaum noch auszumachen. Die Vereinigung griechischer Filmemacher und Produzenten ESPEK macht nun lautstark auf die Missstände aufmerksam und nutzt das Festival in Thessaloniki als Plattform. Helfen wird es wahrscheinlich wenig.

Den Ernst der Lage spiegeln auch viele der griechischen Produktionen im Programm wieder, die zum Großteil in einer Phase entstanden sind, als die Besteuerung von Kinotickets für die Förderung neuer Projekte gestoppt und das EFP damit über Monate handlungsunfähig gemacht wurde. Das ist den Filmen anzusehen, die mit geringen Mitteln und oft unter selbstausbeuterischen Bedingungen entstanden sind.

Und viele von ihnen zeigen, mehr oder weniger explizit, wie die politischen und ökonomischen Verhältnisse der seit Jahren andauernden Krise ins Private spielen und Alltag, Leben und Beziehungen belasten. In „Happy Birthday“ etwa schickt Christos Georgiou einen Polizeibeamten und seine anarchistische Tochter, die bei den nicht immer friedlichen Demonstrationen in Athen auf oppositionellen Seiten stehen, in ein Landhaus zur Familientherapie – und damit auch die ganze Nation.

Pavlos Iordanopoulos lässt in seinem minimalistischen „People“ Menschen als talking heads frontal in die Kamera von traumatischen Erlebnissen erzählen, von Gewalt gegen Protester, queeren Mittzwanzigern, die mit ihren Eltern brechen und an den Verhältnissen Verzweifelnden.

Die Zeit der Generäle

Nicht alle Filme freilich kreisen um die andauernde Krise, einige Beiträge reflektieren auch den historischen Rahmen, wie etwa das klassische Drama „Polixeni“ über die Situation der griechischen Bevölkerung von Istanbul, ehemals Konstantinopel, in dem sich eine griechisch-stämmige Adoptivtochter gegen die Willkür der türkischen Obrigkeit und deren Moralvorstellungen durchzusetzen versucht.

Einer der herausragenden Filme des Festivals, Elina Psykous „Son of Sofia“, erzählt vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele in Athen 2004 von den privaten und politischen Verwerfungen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Protagonist ist ein russischer Junge, der voller Hoffnung zu seiner bereits früher nach Griechenland ausgewanderten Mutter zieht und feststellen muss, dass sie dort einen viel älteren, autoritären General geheiratet hat. Psykou zeigt dieses doppelte Verlorensein konsequent aus der Sicht des elfjährigen Misha und verbindet die Coming-of-Age-Geschichte mit surrealen Märchenmotiven, ohne die politische Dimension aus den Augen zu verlieren.

Das Greek Film Center bekommt nicht nur auf dem Podium, sondern auch auf der Leinwand sein Fett weg. In der erfrischend selbstironischen Satire „Too Much Info Clouding Over My Head“ versucht ein überängstlicher Nachwuchsregisseur seit Jahren einen Film zu realisieren und scheitert nicht zuletzt an der Filmförderung, die vor drei Jahren zugesagt, aber noch immer nicht ausbezahlt wurde. Debütregisseur und Hauptdarsteller Vassilis Christofilakis hat aus der politisch-wirtschaftlichen und persönlichen Krise einen der originellsten griechischen Filme dieses Festivals gemacht und wurde damit gleich dreifach ausgezeichnet.

Ironische Schlusspointe

Die Reaktion des Greek Film Centers wirkte bei der Preisverleihung am Sonntagabend wie Realsatire: der Film wurde als bestes Debüt ausgezeichnet und erhält 5.000 Euro, nachdem Christofilakis jahrelang jede Förderung abgelehnt wurde. Im Anschluss wurde ihm hoch und heilig versprochen, von nun an jedes seiner Projekte zu unterstützen. Der junge Regisseur, der nach seiner Ausbildung an Filmhochschulen in Großbritannien wieder in Athen lebt, nimmt es, wie in seinem Film, mit Humor. Und hat schon neue Pläne.

Er könnte damit die neue Hoffnung für das griechische Kino werden. Während Filmemacher*innen wie Yorgos Lanthimos und Athina Rachel Tsangari international gefeiert werden, interessiert sich das hiesige Publikum kaum für die hier produzierten Filme. Und intern wird der internationale Erfolg zunehmend zum Problem: Lanthimos und Tsangari werden mit ihrem schräg-surrealen Kunstkino zum Referenzpunkt, dem viele nacheifern, statt eigene Handschriften zu entwickeln.

Die ironische Schlusspointe des Festivals: ein kompletter Outsider dreht einen Schwarzweiß-Film über einen scheiternden Filmemacher, finanziert ihn mit 16.000 Euro aus eigener Tasche und mithilfe von Freunden und Familie und ist am Ende der große Gewinner.

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