Film zum Ende von Castorfs Volksbühne: Ein Denkmal für die Renitenz

Ein Jahr lang hat Andreas Wilcke Castorf und sein Ensemble begleitet. Um jetzt eine Liebeserklärung – was sonst – ins Kino zu bringen.

Arbeiter stemmen von unten die Zähne einer Fratze, die ein Tor bildet

Dieser Höllenschlund gehört zum Bühnenbild des „Faust“ Foto: Andreas Wilcke

Wo ist das jetzt? Bei welchem Gastspiel? Frank Büttner tobt vor dem Publikum, sein Gewand ist schwarz und priesterlich, seine Stimme laut und rau. Das Stück sieht nach Vergangenheit und Orthodoxie aus, eher „Die Brüder Karamasow“ als „Faust“.

Es kommt in diesem Moment nicht darauf an, das zu wissen. Es kommt darauf an, den Regisseur Frank Castorf bei den anderen Schauspielern hinter der Bühne zu sehen, matt niedergesunken auf einem Plastikstuhl, ein Glas in der Hand, stöhnend. Was brüllt der das Publikum so an. Und dann in dieser furchtbaren Sprache, die keiner versteht. Daniel Zillmann ahmt nach, wie Deutsch als Fremdsprache röhrt. Und wieder Castorf, warum dauert das so lang? Heute zwei Stunden länger als sonst! Macht Pausen, habe ich euch gesagt, habt ihr ja gemacht. Muss man denn das Publikum so quälen?

Meint der Regisseur das jetzt ernst, oder imitiert er nur häufig gehörte Vorwürfe? So eindeutig ist das nicht, aber gerade das macht den Witz dieser beiläufigen Szene im Dokumentarfilm „Macht das alles Sinn? Und wenn ja – warum dauert es so lang?“ von Andreas Wilcke aus. Der Filmtitel ist ein Zitat aus einer Castorf-Inszenierung, aber wie man sieht, passend für viele Situationen.

Hinter der Bühne weiter spielen

Im letzten Jahr von Frank Castorfs Intendanz hat Wilcke ihn begleitet in Berlin und bei Gastspielen in Athen und Paris. Wilckes Film ist einer der Beobachtung, ohne jeden Kommentar, ohne Angaben, wer, wann, wo. Volksbühnenliebhaber werden schon erkennen, dass dies Alexander Scheer ist, der nonchalent „Baby Blue“ singt, während die Kollegen zur Probe kommen.

„Macht das alles einen Sinn“.(Deutschland 2019, 102 Minuten), im Babylon Berlin Mitte, 15. Mai, 20 Uhr, danach in weiteren Berliner Kinos (Tilsiter, Krokodil, Sputnik, Ladenkino) und Kinos außerhalb Berlins

Sie werden Martin Wuttke als Faust auf dem quietschenden Dreirad erkennen, Georg Friedrich, wie er als König Ludwig in der Garderobe seinen Schmuck anlegt. Oder den Bühnenbildner Aleksandar Denic, der das Paris der Kolonialzeit für den Faust bauen will und dem Ensemble in Bildern vorstellt.

Der Film ist einer vor für Liebhaber und eine Liebeserklärung an das Ensemble und den Intendanten, der diese Bande von Spielern, die hinter der Bühne oft noch eine weitere kleinere Szene für die Kollegen improvisieren, so locker von der Leine lässt. So vertrauensvoll, so kumpelhaft – obwohl so ganz unangekratzt bleibt das Bild vom genialen Kollektiv dann doch nicht: Immerhin hetzt Castorf in einer Sequenz eine Schauspielerin sehr lange durch ein Set, voller Ungeduld, weil sie noch nicht vor Erschöpfung zusammenbricht.

Viele fleißige Hände

Wilckes Blick gilt auch den Werkstätten von Bühnenbild und Kostüm, der gigantische Aufwand, der in den vielen Details steckt, wird sichtbar als Ergebnis vieler fleißiger Hände, denen die Titelfrage, „Macht das alles einen Sinn?“ nicht im Weg zu stehen scheint. Es gelingt dem Filmregisseur, den Apparat Volksbühne zwar nicht unbedingt transparent werden zu lassen, aber doch in vielen Verästelungen und immer schön fotografierten Bildern aufscheinen zu lassen.

Zweimal gibt es einen Auftritt von Chris Dercon. Er versucht vor den Volksbühnenmitarbeitern seinen Ansatz zu erklären. Er wirkt wie ein einsamer Rufer vor einem Berg. Hier ist nichts zu holen. Im Nachhinein ist es nicht schwer, ihn da schon auflaufen zu sehen. Aber das liegt auch an Wilckes geschickter Montage.

Am 15. Mai wird der Film seine Premiere haben im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin Mitte, der Volksbühne gegenüber. Für Wilcke war sie, wie er im Statement zum Film schreibt, eine „identitätsstiftende Trutzburg“, von Frank Castorf und seinem Bühnenbildner Bert Neumann „als renitente Insel im immer schicker und monotoner werdenden Zentrum der Hauptstadt“ inszeniert. Der Film setzt der Renitenz ein Denkmal, das auf Heroismus verzichtet.

„Macht das alles einen Sinn“.(Deutschland 2019, 102 Minuten), im Babylon Mitte, heute 20 Uhr, danach in weiteren Berliner Kinos

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