Film über geflüchtete Kinder in Deutschland: „Ich wollte etwas herausfinden“

Die Hamburger Filmemacherin Pia Lenz hat für „Alles gut“ Geflüchtete während ihres ersten Jahres in Deutschland begleitet

„Alles gut“ erinnert daran, dass es bei Integration um Menschen geht – nicht um eine Debatte Foto: Rise and Shine Cinema

taz: Frau Lenz, Ihr Film erzählt vom ersten Jahr von zwei Flüchtlingsfamilien in Deutschland weitgehend aus der Perspektive von Kindern. Warum?

Pia Lenz: Das war eine der entscheidenden Ideen, weil ich glaube, das sich bei Kindern die Erfahrungen viel schneller bündeln als bei Erwachsenen. Die Kinder werden ja sofort ins kalte Wasser geworfen, wenn sie zur Schule gehen, und sie müssen sich den neuen Eindrücken und Begegnungen stellen, da gibt es keinen Schonraum, in den sie sich zurückziehen könnten. Und die anderen Kinder begegnen ihnen dabei auch viel unmittelbarer. Bei Erwachsenen dauert es oft länger, bis sie einen so geregelten Alltag haben, die Sprache lernen und Kontakte zu Deutschen haben. Dass dann auch von den Schulkameraden zum Teil überraschend lebenskluge Aussagen gekommen sind, war natürlich so nicht planbar, aber ich glaube es liegt daran, dass Kinder instinktiver reagieren und noch nicht diese Grenzen im Kopf haben.

Ihr Film hat eine freie, fast assoziative Form: Es scheint Ihnen wichtig zu sein, statt Informationen zu liefern, ein Lebensgefühl einzufangen. Wie ist es dazu gekommen?

Ich wollte etwas herausfinden und mich an etwas annähern, was mir in den vielen Filmen und Berichten, die ich über die sogenannte „Flüchtlingskrise“ 2015 gesehen habe, fehlte. Diese Menschen verlieren ja ihr Gesicht und ihre Würde, weil sie anonym bleiben und nur in Gruppen, als „die Flüchtlinge“ gesehen werden, die in irgendwelchen Unterkünften wohnen. Mir fehlte der nähere, ruhige Blick, die echte Begegnung mit Menschen, die hier angekommen sind. Diesen Blick braucht man, glaube ich, um überhaupt Empathie füreinander entwickeln zu können.

30, Dokumentarfilmerin und freie Autorin. „Alles gut“ ist ihre erste abendfüllende Kino-Dokumentation.

Dabei entwickeln Sie ein ungewöhnlich gutes Gespür dafür, wie viel in einer oberflächlich belanglos scheinenden Situation ausgedrückt werden kann. Wie machen Sie das ?

Ich suche nach Szenen, die mir wirklich etwas über diese Menschen erzählen. Und ich versuche, Sequenzen und Bilder zu vermeiden, die man vielleicht schon vor dem Dreh im Kopf hatte, die sich aber häufig auch anders erzählen lassen, wenn man seinen Blick mit der Kamera öffnet. Bei einem Film über Geflüchtete war die Gefahr besonders groß, Bilder zu reproduzieren, die man bereits im Kopf hatte.

Aber wie gelang es Ihnen, Ihren Protagonisten mit der Kamera so nah zu kommen?

Als Dokumentarfilmer ist man ja immer auf der Suche nach authentischen Momenten. Entscheidend dafür, dass dies hier so oft geklappt hat, ist die Zeit, die ich etwa in der Schule oder der Unterkunft verbracht habe. Das war so nur möglich, weil ich meistens alleine mit einer kleinen Kamera gedreht habe. Bei einem Dokumentarfilm ist man ja in der Regel mit Regie, Kamera und Ton immer mindestens zu dritt. Meine Arbeitsweise gibt mir die Möglichkeit und die Zeit, viele Tage am Stück mit den Protagonisten zu verbringen. Die Kamera steht dann oft einfach dabei und ich nehme sie nur in einzelnen Momenten in die Hand. Ich bin einfach dabei, bis es irgendwann wie selbstverständlich wird. Auf diese Art ist ein Vertrauen entstanden, das viele sehr intime Szenen des Films erst möglich gemacht hat. Es gab während der Dreharbeiten auch viele schwere Tage, die ich mit den Familien erlebt habe. Da war ich dabei, hatte aber auch eine Rolle, die manchmal über die der Regisseurin hinausgeht. Ganz einfach ist das nicht immer.

Wie sind Sie zu einer Hamburger Filmemacherin geworden?

Ich komme aus dem Ruhrgebiet und bin zum Studium nach Hamburg gekommen. Ich wollte Journalistin werden, weil es mich schon immer interessierte, in fremde Lebenswelten hineinzugucken. Ganz klassisch habe ich bei der Lokalzeitung angefangen und erst im Laufe der Jahre herausgefunden, dass ich Filme machen möchte. Zu der Zeit habe ich an der Hamburg Media School studiert und als Freie für verschiedene Redaktionen gearbeitet.

Wie ging es nach dem Abschluss weiter?

2011 ergriff ich die Chance, gemeinsam mit einem Kollegen meine erste längere Doku für den NDR zu drehen. Die handelte von Menschen, die durch ihre Arbeit krank geworden waren. In dieser Zeit war klar, dass ich mich ganz aufs Filmemachen konzentrieren wollte und mich vor allem die Themen interessieren, bei denen ich in Lebenswelten hineinschauen kann. Von Beginn an habe ich es als hilfreich empfunden, selbst zu drehen und so näher an Menschen herankommen zu können. Ich habe dann beim NDR noch ein Volontariat gemacht und hatte so beim Sender einen Fuß drin. Mit meinem Kollegen Christian von Brockhausen entwickelte ich dann die Idee zu dem Film „Hudekamp – ein Heimatfilm“. Wir sind zu zweit mit unserer Kamera in ein Hochhaus in Lübeck eingezogen. Auch da war am Anfang alles ganz offen. Wir wollten mit der Kamera entdecken, wie es ist, in solch einem, übrigens ziemlich berüchtigten, Viertel zu leben. Wir waren dann dort etwa sechs Wochen und haben nicht nur etwas über das Haus erzählt, sondern vor allem darüber, was Menschen zu dem macht, wer sie sind. Dort war die besondere Arbeit mit Kindern für mich auch schon sehr prägend.

Der Film lief dann um Mitternacht im NDR. „Alles gut“ wird immerhin ein wenig früher im Ersten gezeigt, und Sie haben ihn auch schon in Kinos präsentiert. Was war das für eine Erfahrung?

Seit Ende März bin ich auf Kinotour und der Film wird auch noch über den Sendetermin hinaus in Kinos gezeigt werden, bis Ende des Jahres. Und das ist toll. Wir hatten viele sehr emotionale und engagierte Diskussionen in den Kinos. Es ist immer wieder ein besonderer Moment, wenn man am Ende der Vorstellung vor den Zuschauern steht und spürt, dass man sie mit dem Film wirklich erreicht und berührt hat.

Sendetermin: Mittwoch, 30. August 2017, 23:15, Das Erste.

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