Film über die Mühe des Ankommens: Ruheloses neues Leben

Der syrische Filmemacher Nehad Hussein erzählt in seinem Film „Accordion“ von den Mühen, nach der Flucht wieder Fuß zu fassen.

Menschen stehen vor einer Straßenbahn

Mit der Straßenbahn durch Bremen: wenig tröstliche Rundgänge auf der Suche nach einer Identität Foto: Nehad Hussein

Ein Exilant ist immer in Bewegung. Nie kommt er wirklich an. Dieses Lebensgefühl vermittelt Nehad Hussein in seinem Film „Accordion“. Er ist aus Syrien nach Deutschland geflohen und dies ist ein autobiografischer Film – auch wenn er weder vor der Kamera noch als Erzähler auftritt. Aber seine Protagonisten sind alle in der gleichen Situation wie er: Sie sind Akademiker und Künstler und mussten ihre Heimat verlassen.

Hussein erzählt die Geschichten eines Arztes, eines Apothekers, eines Schiffsingenieurs, eines Zahntechnikers, eines Malers, eines Violinisten und eines Spezialisten für Filmanimation.Und es geht in diesem Film mal nicht um gefährliche Grenzübertritte oder das Leben im Flüchtlingsheim mit wenig Geld und keinen Aussichten. Nehad Hussein gehört zum Bildungsbürgertum seines Landes, und weil er von seinem eigenen Milieu und seinen Lebensumständen erzählt, ist sein Film so stimmig und authentisch.

Um die Ruhelosigkeit dieses neuen Lebens nach der Flucht zum Ausdruck zu bringen, hat Hussein als Metapher das Fahren in der Straßenbahn gefunden. Immer wieder kommt er zu diesen Blicken aus der Straßenbahn auf die Stadt zurück, mit einer Handykamera aufgenommen, manchmal etwas verwaschen. Dieses Stilmittel hat auch ganz praktische Gründe, denn Hussein bekam keine Dreh­erlaubnis der Bremer Straßenbahn AG und einfacher als mit dem Handy konnte er kaum Stadtbilder von Bremen machen.

Aus der Not hat Hussein eine Tugend gemacht und es gelingt ihm, Stimmungen einzufangen: Mal macht Regen auf den Scheiben der Straßenbahn das Bild unscharf, es werden die immer gleichen Wege gezeigt, mal hin, mal her, und das erweckt den Eindruck, ein Fremder irre in Bremen umher, ziellos. Einer seiner Protagonisten bringt es in einer der intimsten Sequenzen des Films auf den Punkt: Der Maler spricht davon, wie er immer wieder Rundgänge durch die Stadt macht, weil er auf der Suche nach einer Identität ist – dabei weiß er, dass das vergebens und kaum tröstlich für ihn ist. Während er erzählt, beginnt er zu weinen. Um solche Momente geht es Hussein.

Eher poetisch

Er hat keine Reportage gedreht, in der alles ordentlich erklärt wird, sondern er nähert sich seinem Thema eher poetisch. Da ist zum Beispiel dieser Straßenmusiker, der auf dem Bremer Marktplatz Akkordeon spielt. Er sagt kein einziges Wort, ist kein Syrer, sondern Bulgare, hat also genaugenommen im Film nichts verloren. Aber auch er bemüht sich in der Fremde darum, von seiner Kunst leben zu können – und seine Balladen haben die traurige Tiefe, eine Heimweh-Tiefe.

Dem Maler, der auf den Bremer Straßen seine Identität sucht, geht es übrigens vergleichsweise gut: Seine Bilder malen kann er auch in Deutschland, die deutsche Sprache muss er dafür nicht beherrschen und die Kontakte unter den bildenden Künstlern sind so international, dass in einer Galerien schließlich eine Ausstellung seiner Werke organisiert wird. Bremen Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) hält zur Eröffnung eine Rede.

Husseins andere Protagonisten haben es viel schwerer, weil sie möglichst gut Deutsch sprechen müssen, um in ihren Berufen wieder Fuß zu fassen. Es ist symptomatisch, dass die Gespräche mit ihnen auf Arabisch und Kurdisch geführt werden. Einmal wird direkt ausgesprochen, dass die Sprache die wichtigste Währung für diese Menschen sei. In Syrien hatten sie ein gutes, vermeintlich gesichertes Leben. Jetzt schämen sie sich dafür, keine Arbeit zu finden und auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein.

Einer der Männer erzählt, dass ihn ein im Grunde wohlmeinender Deutscher gefragt habe, wie er sich denn sein Smartphone leisten könne. Ein anderer wundert sich darüber, dass die Deutschen sich so bemühen, ihnen ihre Sprache beizubringen, sie aber dann kaum Interesse an einem Gespräch mit ihnen hätten.

Eher statisch

Diese Gespräche hat Hussein mit einer professionellen Digitalkamera gedreht. Diese eher statischen Bilder wechselt er mit den Handy-Aufnahmen ab, deren Bilder weniger Informationen und mehr Stimmungen vermitteln. Mit dieser Mischung aus Fakten und Poesie sieht Hussein sich in der Tradition des russischen Dokumentarfilms.

Hussein hat in St. Petersburg Film studiert, 1989 dort seinen Abschluss gemacht und danach in Syrien und in anderen Ländern Beiträge für das Fernsehen gemacht. Eine Zeitlang lebte er in Katar, wo er unter anderem für russische und chinesische Sender arbeitete. Nach Deutschland kam er, weil er seine drei Kinder in sicheren Verhältnissen aufziehen wollte. Doch hier gibt es kaum Arbeit für ihn, und zurück nach Katar kann er inzwischen nicht mehr, weil dort keine Arbeitsvisa für Syrer mehr ausgestellt werden und sein syrischer Pass nicht verlängert werden kann. Er ist heute über 40 Jahre alt und macht nun ein Praktikum bei einer Bremer Firma, für die er etwa bei Konzertaufnahmen bei der Musikmesse „Jazzahead!“ als Kameramann arbeitete.

„Accordion“ produzierte er ohne jede Förderung, weil schon die Anträge in deutscher Sprache für ihn nicht zu bewältigen gewesen wären. Der Film wurde in Bremer Kinos und Gemeindesälen gezeigt, aber die üblichen Verbreitungswege wie Einladungen auf Festivals, Verkauf von DVDs oder gar ein Sendeplatz bei Radio Bremen oder dem NDR stehen für Hussein nicht offen, weil er nicht die dafür nötigen Kontakte zur hiesigen Filmszene hat. Selten sind die Produktionsbedingungen eines Films so deckungsgleich mit seinem Thema, denn so konnte nur ein in Bremen im Exil lebender Syrer ihn machen.

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