Fanzine-Jubiläum im Berlin: Raves hinterm Eisernen Vorhang

Das Fanzine „Zonic“ ist auf Underground-Musik aus den ehemaligen Ostblock-Ländern spezialisiert. Zum 25. Geburtstag wird im Arkaoda gefeiert.

Die New Composers und Mitglieder der Künstlergruppe New Artists, Leningrad 1988 Foto: Evgenij Kozlov

Wie der Punk in das damalige Leningrad kam, davon erzählt der Film „Leto“, der gerade in einigen Berliner Kinos zu sehen ist. Dessen Regisseur Kirill Sere­brennikow kann man derzeit nicht persönlich über seinen Film und die Zeit damals befragen, darüber, wie es war, als auch in Russland die Musik von Blondie oder den Talking Heads alles veränderte. Und als auch in seiner Heimat sich so etwas wie eine Postpunk-Szene entwickelte.

Denn aufgrund fadenscheiniger Vorwürfe wurde ihm Hausarrest verordnet. Die Stadt, über die er in seinem Film erzählt, mag mit Sankt Petersburg heute einen anderen Namen als damals haben, die politischen Zustände in Russland freilich sind immer noch problematisch.

Dafür wird am 11. November im Neuköllner Club Arkaoda Valery Alakhov über diese Leningrader Szene in den Achtzigern berichten, einer, der diese mit seinem Projekt New Composers mitgeprägt hat. Die New Composers haben schon früh in den Achtzigern begonnen mit Tape-Experimenten und collagenhaftem Postpunk. Veröffentlicht wurden die Stücke auf Kassetten, die selbst vertrieben wurden, die staatlichen Plattenfirmen waren in der Sowjetunion nicht zugänglich für derartigen Underground.

Später haben die New Composers die ersten Raves in Leningrad mitveranstaltet und sind immer elektronischer geworden. Sie traten mit Brian Eno in Kontakt und veröffentlichten endlich doch noch zig reguläre Alben mit elektronischem Ambient. Heute sind sie immer noch aktiv.

„Notes From The Underground“

Der eigentliche Anlass, warum Valery Alakhov in Berlin spricht und später auch noch performt, ist freilich gar nicht mal der Film „Leto“. Sondern einmal ist es der fünfundzwanzigste Geburtstag des Fanzines Zonic aus Leipzig und Berlin, das sich von Beginn an für vor allem experimentelle Musik aus den ehemaligen Ostblock-Ländern interessiert. Und das aus diesem Anlass eine kleine Party im Arkaoda schmeißt.

Und außerdem wird noch die neue Compilation „Notes From The Underground“ präsentiert, auf der die New Composers mit zwei Stücken vertreten sind. Wobei die Veröffentlichung dieses Doppel-Albums wiederum vom Magazin Zonic unterstützt wird.

Klingt alles ziemlich kompliziert, sind aber eigentlich ganz schlüssige Verbindungen, die hier eingegangen werden. Und es kommt sogar noch besser: „Notes From The Underground“ ist letztlich der programmatische Sampler zur gleichnamigen Ausstellung, die vor Kurzem in der Akademie der Künste zu sehen war. Und somit deren nachgereichter „Audio Katalog“, wie Zonic-Herausgeber Alexander Pehlemann sagt, der die Ausstellung auch mitkuratiert hatte.

„Experimental Sounds Behind The Iron Curtain“ verspricht die Compilation. Und tatsächlich hört man auf ihr neben den New Composers allerlei mehr an Abseitigem, das in den Ostblock-Staaten in den Achtzigern entstanden ist. Industrial und Geräuschmusik aus Polen, Tschechien und dem ehemaligen Jugo­slawien etwa. Und selten gehörte Stücke aus der DDR, von Zwitschermaschine, AG. Geige und Ornament & Verbrechen.

Alles Wesentliche über Punk in Polen oder Industrial in Prag

Neubewertung des musikalischen Treibens

Während in der letzten Zeit die Popmusikhistorie selbst aus Ländern wie dem Iran oder Syrien in allerlei archäologischen Musiksamplern zugänglich gemacht und neu eingeordnet wird, Siebziger-Jahre-Funk aus Benin oder Zimbabwe von Hipstern goutiert wird, kommt es hier endlich auch einmal zu einer Neubewertung des musikalischen Treibens in den ehemaligen ­Ostblock-Staaten.

Zu etwas, das das Magazin Zonic publizistisch von Beginn an versucht. In den 25 Jahren, in denen es existiert, konnte man aus diesem wirklich alles Wesentliche über Punk in Polen oder Industrial in Prag erfahren.

Zonic wurde schon ein paar Jahre nach dem Mauerfall von Alexander Pehlemann in Greifswald gegründet. Inzwischen sitzt die Redaktion in Leipzig, wo Pehlemann inzwischen lebt, und in Berlin. Über die Jahre hinweg hat sich das einstige Fanzine zu einem Periodikum ähnlich der „Testcard“ entwickelt, in deren Verlag es inzwischen auch erscheint. Es ist ähnlich dick wie die „Testcard“, und wie bei dieser erscheint die jeweils neueste Ausgabe halt dann, wenn sie fertig ist. So ist die gerade aktuelle Nummer inzwischen auch schon wieder fünf Jahre alt.

Auch dank einer Compilation wie „Notes From The Underground“, der bald noch weitere ähnliche folgen sollen, wird das, was Zonic inhaltlich so umtreibt, immer sichtbarer. Und aus dem Interessengebiet eines Fanzines wird langsam ein regelrechtes Forschungsfeld.

Noch viel aufzuarbeiten

Zum 25. Geburtstag feiert Zonic – unter anderem mit Talks & Auftritten von Valery Alakhov (New Composers) und Frank Bretschneider (AG. Geige) – am 11. 11. ab 20 Uhr im Arkaoda, Karl-Marx-Platz 16.

Dazu passt auch eine weitere Allianz, die im Zusammenhang mit dem Sampler „Notes From The Underground“ genannt werden muss. Unterstützt wird dessen Veröffentlichung auch von der Online-Plattform „Unearthing The ­Music“, die sogar Gelder von der EU erhält und ihren Sitz ausgerechnet in Portugal hat.

Auch bei diesem Projekt geht es seit ein paar Jahren darum, alles Wissenswerte zusammenzutragen, was während des Kalten Kriegs hinter dem Eisernen Vorhang so musikalisch passierte. Und was nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion beinahe in Vergessenheit geraten ist.

Es gibt noch viel aufzuarbeiten. Und es geht auch ein Stück weit um pop­historische Gerechtigkeit. Wo bitte, fragt der Journalist Robert Mießner, der zusammen mit dem Lyriker Bert Papenfuß die Berlin-Redaktion der Zonic bildet, ist hier die Musik aus der DDR?

Er spricht von einer Compilation, die demnächst auf dem hippen britischen Label Strut erscheinen wird. „Deutsche Post-Punk Subkultur 1980–1985“ verspricht diese für ein internationales ­Publikum aufzubereiten. Dabei sind hier ausschließlich westdeutsche Acts aus dieser Zeit vertreten. Hätten die Macher des Sampler mal ein wenig in der Zonic gelesen, wäre ihnen das nicht passiert.

Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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