Expressionistische Lebenswege: Das kurze Glück des Künstlerpaares

Mit der Ausstellung „Ein Künstlerpaar der Moderne“ würdigt das Kunsthaus Stade Dorothea Maetzel-Johannsen und Emil Maetzel und deren schwierige Lebenswege

Verschlungen: Dorothea Maetzel-Johannsens „Zwei weibliche Akte unter Bäumen, 1914 © Sammlung Tobeler Foto: Michael Hensel

Es ist ihre erste gemeinsame Ausstellung: Am 1. August 1914 zeigen sich Emil Maetzel und Dorothea Maetzel-Johannsen im Hamburger Kunstsalon von Maria Kunde einem breiteren Publikum. So könnte es nun weitergehen, für sie einzeln und für sie als Paar, so wie in ihren Anfangsjahren nicht immer gleich ersichtlich ist, welche Holzdruck und welcher Linoldruck von ihm ist oder vielleicht von ihr. Und es ist wohl auch nicht sehr wichtig.

Doch der 1. August 1914 ist auch der Tag, an dem der Erste Weltkrieg beginn,t und gleich einen Tag später muss er einrücken. Und hat noch mal Glück, denn er kommt nicht an die Front, er kommt nach Berlin, ist dort für einen Schreibtischjob vorgesehen. Er wird die freie Zeit zwischendurch nutzen und sich in der Hauptstadt umschauen – bei den wesensverwandten Künstlern der Künstlervereinigungen die Secession, die Neue Secession und dann die Freie Secession. Er ist regelmäßig in der Galerie Walden und in der Sturm-Galerie zu Gast, besucht die Nationalgalerie, wo man schnell die Bilder der französischen Maler abhängt, und das Völkerkundemuseum, wo er für sich afrikanische Plastiken entdeckt. Die begeistern ihn so, dass daraus eine Sammlung erwächst.

Der Zeichner, Drucker, dann Maler, später auch in sehr kleinem Umfang Plastiker Emil Maetzel ist zuallererst Autodidakt. Früh hat er angefangen zu zeichnen, studiert dann aber nicht Kunst, sondern wird auf Wunsch seines Vaters Architekt. Er ist unter Fritz Schumacher tätig. Dass etwa der Hamburger Hauptbahnhof so aussieht, wie er heute noch aussieht, ist im Wesentlichen ihm zu verdanken. Zugleich hat er diesen Drang ins Künstlerische. Er will mitmischen in der Avantgarde, die sich einem schnörkellosen und kantigen Expressionismus verpflichtet fühlt, die alles Manieriert-Ausgeschmückte ablehnt. Er will sich ausdrücken, fühlt sich eingeengt durch den soliden Geldberuf, der ihm die Zeit stiehlt, frei zu arbeiten, ihm aber zugleich Kontakte in die Hamburger Kulturszene beschert.

Dorothea Maetzel-Johannsen muss einen anderen Weg gehen, um ihre künstlerischen Ambitionen langfristig in berufliche Bahnen zu lenken: Sie geht 1903 an eine Zeichenschule, wo Lehrerinnen für den Kunstunterricht an Schulen ausgebildet werden. „Man vergisst immer wieder, dass das damals für Frauen die einzige Möglichkeit war, überhaupt eine Ausbildung in Malerei und Zeichnen zu bekommen“, sagt Luisa Pauline Fink, Kuratorin der Ausstellung „Ein Künstlerpaar der Moderne“ im Stader Kunsthaus: „In Hamburg gab es die Kunstakademie überhaupt erst 1923; auch die Kunstschulen in Berlin, in München und im künstlerisch damals wichtigen Dresden waren für Frauen nicht oder nur eingeschränkt zugänglich.“

Diese beiden also finden zusammen, heiraten im März 1910, vier Kinder werden sie am Ende haben. Fink sagt: „Beide haben es mit der Kunst zugleich sehr ernst genommen und standen miteinander in einem intensiven Austausch.“ Das zeigen zwei nachdenkliche Porträts, zwei Holzschnitte: Sie hat ihn dargestellt und er sie. Reduziert, eindrücklich, der Hintergrund eine Fläche aus groben Strichen, alle Aufmerksamkeit soll sich ihrem jeweiligen Ausdruck widmen.

Und dann im ersten Stock eine wie geschlossen wirkende Wand aus Bildern: die Mutter mit Kind, der blinde Vater, der beweinte Jesus, nackte Paare, mal einander zugewandt, mal einander entfremdet – jeweils auf das Wesentliche konzentrierte Figurenkonstellationen. Mit diesen Arbeiten im Gepäck überstehen sie die Kriegsjahre. Besonders nahegehend ist Dorothea Maetzel-Johannsens Druck „Die Gefangenen“ von 1916: drei nackte Männer, die gefesselten Hände schützend vor die Brust gehalten.

Später – weil weiter oben unter dem Dach des Kunsthauses – findet sich dann ein kleines Kabinett, das anhand von Fotos und Dokumenten auf eigene Weise vom erlösenden Aufbruch aus der Bedrückung der Kriegs- und Kaiserzeit erzählt: Die Maet­zels gehören nicht nur zu den Begründern der Hamburger Sezession nach Berliner Vorbild, sie sind auch vorn beim Organisieren, Ausrichten und dann auch Feiern der schnell legendären, zuweilen exzessiven Künstlerfeste im Hamburger Curio-Haus, die Titel tragen wie „Die Dämmerung der Zeitlosen“, „Die gelbe Posaune“ oder auch „Curioser Circus“. Ein kurzes – im Rückblick muss man sagen: – Strohfeuer der Hamburger Avantgarde der 1920er-Jahre.

Sie fühlten sicheinem schnörkellosen und kantigenExpressionismus verpflichtet und lehnten allesManieriert-Ausgeschmückte ab

Pauline Luise Fink weist darauf hin, dass unter den knapp über 30 Gründungsmitgliedern der Hamburger Sezession acht Frauen waren, aber diese selten Kinder hatten – so gesehen war Dorothea Maetzel-Johannsen eine besondere Ausnahme. „Sie hat durchaus viel Unterstützung durch ihn erfahren. Es gibt Beispiele, da war das nicht der Fall, da hörten die Frauen einfach auf zu malen“, sagt Fink.

Und doch läuft damals die Zeit gegen Dorothea Maetzel-Johannsen, nicht viele Jahre bleiben ihr, ihr Werk zu schaffen, sich künstlerisch weiterzuentwickeln und sich auch von den strengen Formen und dann Formalien des zuweilen kargen Expressionismus wieder zu befreien. Sie findet immer mehr einen eigenen Stil, lockert die allzu symbiotischen Verbindungen zu ihrem Mann. Bald hat sie ein eigenes Atelier, so wie er eines hat.

Sichtbar von der Lebensreformbewegung beeinflusst, entstehen nun einträchtige Bildnisse von Frauen mit Kindern und sich umschlingende Paare sowie liegende Akte vor der aufgehende Sonne. Sie findet danach zur Farbe, sie lässt sich zunehmend von der weicheren, französischen Malerei beeinflussen, erkundet das Genre der Landschaftsmalerei, reist 1925 nach Paris. Da war er schon um 1900 gewesen. Es sind zugleich Jahre, in denen sie immer wieder erkrankt, sich erholen muss und – kaum erholt – wieder um ihre Gesundheit ringt. Im Februar 1930 stirbt sie mit gerade mal 44 Lebensjahren.

Es gibt ein einzelnes Bild, das sich ohne große Anstrengung als eine atmosphärische Schilderung und damit Vorahnung ihrer begrenzten Lebenszeit betrachten lässt: Zwei gelb-fahle Bäume stehen im Innenhof eines geschlossenen Ruinen­ensembles; kein Eingang ist zu sehen, kein Ausgang führt hinaus. Gemalt hat sie das Bild „Ansicht in Visby“ 1929 während eines Aufenthaltes auf der schwedischen Insel Gotland.

Für Emil Maetzel ereignet sich sein Lebensbruch Anfang 1933. Er wird aus dem Dienst entlassen – Aktstudien von Knaben werden ihm als Beweise einer pädophilen Neigung ausgelegt, gewichtiger aber noch ist da seine langjährige und nun verdächtige Leitungstätigkeit in der Hamburger Sezession. Er schafft es anfangs noch, bei kleineren Ausstellungen dabei zu sein, doch die Möglichkeiten werden weniger: Im Mai 1937, er ist 60 Jahre alt, kann er noch einige Bilder in der Kunsthandlung von Hildebrandt Gurlitt präsentieren, Wochen später werden in der Hamburger Kunsthalle im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ Druckgraphiken von ihm beschlagnahmt.

Er lebt da längst zurückgezogen in seinem Haus am Hamburger Stadtrand, von hier aus unternimmt er kleine Reisen in die Norddeutsche Sphäre, er wird vermutlich vorsichtige Kontakte zu vorsichtigen Gleichgesinnten gehalten haben. Aus dieser Zeit gibt es kleinformatige Landschaftsbetrachtungen, an denen man zunächst achtlos vorbei gehen könnte und die harmlose Titel tragen wie „Landschaft mit Weg und einsamem Baum“ und „Bäume am Strand“. Doch ist in diesen Bildern eine beeindruckende, weil tiefe Gefrorenheit enthalten: Landschaftsmotive als innere Bilder.

Und: Nirgendwo auf diesen Bildern sind Menschen zu entdecken. Eklatant seine Zeichnung „Segelschiffe“, die man als Stilübung abtun könnte, wenn man nicht auf die Frage kommt, warum die auf das unbewegte Wasser wie hingewürfelten Schiffe nicht einmal Segel haben, um eines Tages von dannen fahren zu können. Gemalt ist es 1939.

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