Exotismus: Revolution in der Vitrine

Die Ausstellung „China unter Mao“ zeigt die chinesische Kulturrevolution im Spiegel ihrer Propaganda-Kunst. Dabei kommen auch Maos westdeutsche Verehrer zu Wort.

Alltag mit Mao: Kalenderblatt aus dem Jahr 1969. Bild: Sammlung Helmut Opletal des Weltmuseums Wien

BREMEN taz | Die „Mao-Bibel“ ist in ihrem Einband aus rotem Kunststoff sicher verpackt. Damit sie keinen Schaden nimmt, wenn der Revolutionär sie ins Gefecht oder auf die Feldarbeit mitnimmt. Auch in Bremen hatten sie vor vierzig Jahren einige Leute in der Tasche. Und wer weiß, vielleicht hat der Umschlag das Papier ja auch hier vor dem ein oder anderen Wasserwerfer-Beschuss geschützt. Jetzt liegt das kleine rote Buch sicher im Übersee-Museum, zwischen allerlei grellem Revolutionskitsch.

Von großformatigen Ölgemälden und glitzernden Anstecknadeln blickt der “große Vorsitzende“ Mao Zedong streng und nachdenklich in die Ferne. Auch Brettspiele und Teekannen mit seinem Abbild sind in den Vitrinen aufgereiht. Der Gang durch die Ausstellung beeindruckt eher durch Masse und teils skurrile Vielfalt als durch die Kunstfertigkeit der Exponate. Die Kulturrevolutionäre verteilten diese Alltagsgegenstände planmäßig über die chinesischen Haushalte.

In Deutschland ging man dafür auf Szene-Flohmärkte oder brachte sie vom sozialistischen Freundschaftsbesuch aus der Volksrepublik mit. Das Design dieser Souvenirs ist weit entfernt von den ästhetischen Codes westdeutscher Revoluzzer mit langen Haaren und Army-Parker. Umso spannender ist, dass diese Menschen in der Ausstellung selbst zu Wort kommen.

Hartmut Roder vom Übersee-Museum hat die Zeitzeugen besucht, Exponate von ihnen geliehen und Interviews geführt. Sein auf einem kleinen Bildschirm am Pfeiler versteckter Film ist der heimliche Höhepunkt dieser Ausstellung. Robert Bücking von den Grünen ist da zu sehen, der langjährige Leiter des Ortsamts Bremen-Mitte – der Quasi-Bürgermeister von Bremens einzigem Szeneviertel. Er erzählt von Aufbruchsstimmung und davon, wie er sich angesprochen gefühlt habe von den Parolen der Kulturrevolution: „Bombardiert das bürgerliche Hauptquartier“, und so weiter.

Er war damit nicht allein. Der „Kommunistische Bund Westdeutschland“ wurde in Bremen gegründet und war hier zeitlebens gut aufgestellt. Stark zerstritten mit anderen K-Gruppen, die es nicht mit Mao, sondern entweder mit den Sowjets oder mit Marx-pur hielten. Vielschreiber waren sie. Und in den Auseinandersetzungen um den richtigen Weg zur freien Gesellschaft am bissigsten stets gegen die innerlinke Konkurrenz.

Mao als Pop-Ikone

Politische Theorie lässt sich nicht ohne weiteres ausstellen. Doch durch die Darstellung Maos als Pop-Ikone gelingt es dem Übersee-Museum trotzdem, seine politische Bedeutung zu klären. Denn Mao ist nicht in erster Linie für seine Modifikationen der marxschen Klassentheorie verehrt worden. Ludwig Arnold, damals Maoist und Mathematik-Professor an der Uni Bremen sagt, Mao habe es ihm ermöglicht, Marxist zu sein, ohne die DDR und Stalin mitzunehmen. China war weit weg und irgendwie exotisch. Und die Opfer der Kulturrevolution ließen sich damals noch leicht verdrängen. Eben das führte für den Professor später zum Zweifel an der eigenen Urteilskraft. Damals habe er jede Frage über den Marxismus-Leninismus beantworten können, sagt er. „Diese Sicherheit habe ich heute verloren.“

Die Ausstellung geht diesen Weg nach: Vorbei an propagandistischen Gemälden von freudestrahlenden Feldarbeitern und heroisch dreinblickenden Rotgardisten landet der Besucher schließlich in einem schwarzen Käfig. Hier wird der Terror dargestellt. Nicht in Zahlen, sondern ästhetisch vermittelt durch Kunstwerke. Ein Portrait der Dissidentin Lin Zhao ist dort zu sehen, links und rechts von ihr hat der Maler Szenen politischer Gewalt festgehalten: Auf der einen Seite sind Rotgardisten, auf der anderen Seite ist ein Mordkommando im Dienst von Maos Gegenspieler Tschiang Kai Schek. Auch hier laufen Zeitzeugen-Videos in Dauerschleife. Und tatsächlich ist ihre Gegenrede greifbarer als es erläuternde Texttafeln wären.

Wie die Aufarbeitung der Mao-Zeit in China vonstatten ging, zeigt der letzte Teil der Ausstellung. Als postmodernes Recycling, zum Beispiel auf den Öl-Gemälden von Shi Xinning. Sie sind Schwarzweiß-Fotos der 1950er und 1960er-Jahre nachempfunden und tragen Mao in die westliche Ikonografie ein. Da sitzt der große Kommunist in einem amerikanischen Café und gibt einer Frau Feuer für ihre Zigarette. In China ist das mehr als nur ein Spiel mit vertrauten Bildern. Denn, was die Kunst hier tut, darf die Geschichtswissenschaft nicht: Die Volksrepublik hat noch immer den Daumen auf der Aufarbeitung.

Hier in Deutschland sind die Mao-Accessoires eher skurrile Anekdoten harmlosen Revoluzzertums. Wobei, so ganz entschärft scheint es dann doch nicht zu sein: Roder erzählt, er habe zwar zunächst viele Rückmeldungen auf seinen Aufruf an die „Bremer Maoisten“ bekommen. Stück für Stück seien dann aber Absagen, Ausflüchte und Rückzieher gefolgt. Offenbar ist es dem ein oder anderen doch noch Unwohl geworden, öffentlich über sein politisches Engagement zu sprechen – für diese exotische Welt voller glücklicher Arbeiter.

bis 5. April, Übersee-Museum Bremen;
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