Ex-Chef Zwanziger über DFB: „Ich wünsche mir weniger Hass“

Theo Zwanziger verabscheute den Macho-Fußball und reformierte den DFB. Ein Gespräch über Uli Hoeneß, Konservatismus und seinen Rücktritt.

„Wichtig ist, dass sich Frauen beim DFB wohlfühlen“: Theo Zwanziger und Nationaltrainerin Silvia Neid. Bild: dapd

taz: Herr Zwanziger, als DFB-Präsident haben Sie Themen wie Rassismus, Homophobie und Frauenfußball sehr hoch gehängt. Ihr Nachfolger Wolfgang Niersbach will jetzt „zurück zum Kerngeschäft“. Beunruhigt Sie das?

Theo Zwanziger: Der Ausspruch, den Wolfgang Niersbach gewählt hat, implementiert zumindest die Möglichkeit, dass das Geschehen auf dem Rasen wieder alles andere überragt. Warum sagt man so was?

Ist das Kerngeschäft wirklich nur Bundesliga, Nationalmannschaft und Nachwuchsförderung bei den Jungs und Männern? Sportfunktionäre halten sich tendenziell lieber aus Politischem heraus. Niersbach hat meine Arbeit immer unterstützt; es gibt für ihn keinen Grund, sie nicht fortzuführen.

Sie haben den DFB auf den Kampf gegen Diskriminierung verpflichtet. Viel Wirkung gezeigt hat dies bisher nicht. Was ist zu tun?

Für mich hat der Fußball sich enttabuisiert und geöffnet, das ist unumkehrbar. Sehr wichtig bleiben aber etwa Fanprojekte und Bildungsarbeit. Mit Blick auf die weitere Entwicklung wäre es auch gut, wenn sich etwa ein Spieler mal outet.

Fußball ist für Sie immer noch ein Machogeschäft. Wie wird der organisierte Fußball machofrei?

, 67, war von 2004 bis 2012 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Seit 2011 ist der Rechtsanwalt und CDU-Politiker Mitglied im Exekutivrat des Weltfußballverbandes Fifa.

Seine Biografie „Die Zwanziger Jahre“ erscheint am 12. November im Berliner Bloomsbury Verlag (337 Seiten, 19,99 Euro)

Zwanzigers Nachfolger Wolgang Niersbach wurde im März dieses Jahres gewählt – einstimmig und ohne Gegenkandidaten.

Die verbalen Scharmützel, die in der Bundesliga zum Teil ausgetragen werden, sind schlechte Beispiele. Ich würde mir da etwas weniger Hass wünschen. Gerade was Minderheiten wie Homosexuelle unter Spielern und Fans angeht, muss man denen Mut machen. Da kann es etwa wichtig sein, mal zu einem Christopher Street Day zu gehen

was Sie 2011 getan haben.

Ja, weil ich zeigen wollte: Leute, ihr gehört zum organisierten Fußball dazu.

Dabei haben Sie mal Zweifel daran geäußert, dass es schwule Profifußballer gibt. Wieso?

Ich bin davon überzeugt, dass es deutlich weniger sind als im Schnitt in anderen Lebensbereichen. Spitzenleistungen zu bringen und sich gleichzeitig zu verstecken macht einen Menschen kaputt.

Ist das, was nach einem Outing kommt, einem Spieler überhaupt zumutbar?

Es ist immer noch schwer, sich zu outen. Es gibt nach wie vor Fußballer – aus unseren und anderen Kulturkreisen –, bei denen Homosexualität auf Ablehnung stößt. Aber Politiker wie Klaus Wowereit haben es den Fußballern vorgemacht.

Sie haben dem Frauenfußball größere Aufmerksamkeit gewidmet als alle Funktionäre vor Ihnen. In Ihrem Buch zitieren sie Ihren Lieblingsfeind, den Bayern-Manager Uli Hoeneß. Nach der Frauen-WM 2011 auf Frauenfußball angesprochen, sagte der: „Ich dachte, wir reden jetzt über Fußball.“ Was empfinden Sie da?

Das ist despektierlich. Da verkennt man die gesellschaftliche Breite des Sports.

Trotzdem scheint Frauenfußball wieder zu einer Randerscheinung zu verkommen.

Die Erwartungen an die deutsche Mannschaft bei der Frauenfußball-WM waren viel zu hoch. Wer keine Ahnung von Frauenfußball hatte, glaubte, es sei ein Selbstläufer, Weltmeister zu werden. Mit dem gesellschaftlichen Erfolg der letzten Jahre aber bin ich sehr zufrieden. Die Fifa vermarktet Frauenfußball heute ganz anders. Gerade in Asien und Afrika ist eine Aufbruchstimmung spürbar. Bei uns aber misst man den Erfolg nur an Titeln und an Mitgliederzahlen.

Auch die Frauen-Bundesliga hatte sich von der WM mehr erhofft.

Ja, da muss tatsächlich noch mal ein Schub kommen.

Wäre es nach der Frauen-WM nicht ein Signal gewesen, eine Frau zur Präsidentin zu machen?

In einem Verband wie dem DFB ist das schwer, man sollte es nicht um jeden Preis einfordern. Wichtig ist erst mal, dass sich Frauen und Mädchen im DFB wohlfühlen, dass sie leistungsgerecht gefördert werden. Und dass ein Pokalsieg bei den Frauen die gleiche Anerkennung findet wie bei den Männern. Ich glaube, als manche Männer im DFB die Einschaltquoten bei der Frauen-WM gesehen haben, waren sie gar nicht so begeistert. Das sagt viel über das Geschäft.

Heute erscheint Ihre Biografie. Sie kritisieren darin auch, dass im Amateurbereich zu wenig für die Integration getan werde. Was fehlt dort?

Kulturelle Weiterbildung. Man sollte Mädchen aus den muslimischen Familien unterstützen, sodass die auch Fußball spielen können. Es ist kein Wunder, dass wir bei den Frauen noch kein Multikulti-Nationalteam haben wie bei den Männern.

Mit solchen Positionen gelten Sie als Frauenfußballversteher, als liberal. Wie schwer hat man es da als Funktionär in männerdominierten Organisationen wie dem DFB und der CDU?

Die Verantwortungsträger in der CDU standen dieser Haltung meistens positiv gegenüber. In der Union gibt es aber auch einen angeblich wertorientierten Konservatismus, den ich ablehne. Dort vertritt man in etwa die Haltung, für die auch die Junge Freiheit bekannt ist. Das ist eine Art von Patriotismus, der das Fenster zu den Nazis weit aufmacht. Dieses schleichende Gift wollen einige auch in der Union streuen.

Sind Sie da eine innerparteiliche Opposition?

Ich habe ja in der Partei keine Ämter. Ich fühle mich im Kampf gegen die rechte Szene wohl, gerade weil ich in der CDU bin. Mir ist wichtig, dass die CDU nicht anfällig für den rechten Rand wird.

Alle reden über Stadiongewalt, auch in Ihrer Amtszeit spielte das Thema eine Rolle. Ist die Gewaltbereitschaft unter den Fans überhaupt gestiegen?

Schwer zu sagen. Wir haben 80.000 Spiele an jedem Wochenende, von denen die allermeisten reibungslos ablaufen. Es gibt nur in einigen Bereichen dramatische Auswüchse.

Der DFB und die Deutsche Fußball-Liga DFL haben hierzu ein Konzept mit dem Titel „Sicheres Stadionerlebnis“ vorgelegt. Das besteht vor allem aus Vorschlägen zu einer umfassenden Überwachung der Stadien und Körpervollkontrollen. Was halten Sie davon?

Im Stadion müssen wir die Kontrollen verschärfen, das ist für mich keine Frage. Was ich aber in erster Linie unglücklich finde, ist, dass zuletzt die staatliche Unterstützung der Fanprojekte gekürzt wurde. Hier findet die präventive Arbeit statt.

Die gewaltbereiten Fans sind eine Minderheit. Darf man ihretwegen die Freiheit aller Stadionbesucher einschränken?

Freiheitseingriffe, etwa durch Stadionverbote, sind für mich dort unumgänglich, wo Gewalttäter unterwegs sind. Die Kameraüberwachung wird ein notwendiges technisches Mittel sein. Körperkontrollen halte ich für kaum durchführbar.

Um Stadiongewalt zu verhindern, befürworten Sie auch das sogenannte englische Modell – den Verzicht auf Stehplätze in den Stadien. Für viele Fans ist das gleichbedeutend mit dem Tod der Fußballkultur.

Wir müssen in den Stadien, wo es trotz aller Instrumente nicht funktioniert, darüber nachdenken, ob man nur Sitzplätze zulässt. In manchen Stadien passiert nichts, in anderen immer wieder etwas. Ich bin gegen Generalstrafen. Im Übrigen habe ich Zweifel, ob Stimmung tatsächlich nur durch Stehplätze zu erreichen ist.

Sprechen wir über den DFB. Der taz-Sportredakteur Andreas Rüttenauer hat versucht, sich als Ihr Nachfolger zu bewerben. Haben Sie von seiner Kampagne gehört?

Ja, wir sind uns begegnet und haben uns unterhalten.

Verstehen Sie seine Kritik daran, dass der DFB nicht einmal einen Gegenkandidaten aufstellt?

Die Kritik verstehe ich. Aber der DFB scheut nichts mehr als offene Personalfragen in der Öffentlichkeit. Man hat höllische Angst, wenn da nach drei Tagen kein Nachfolger feststeht. Weil wir unter dem Brennglas der Medien sitzen, kann ich das auch verstehen.

Damit bleibt der DFB völlig intransparent, seine Führung wirkt wie die eines Schützenvereins.

Auch Schützenvereine haben ihre Bedeutung. Generell gilt für Vereine, dass Freundschaft nicht zu Kumpanei führen darf, dann kann es gefährlich werden. Was Transparenz angeht, kann auch der DFB immer wieder einen Schub von außen gebrauchen. Ich würde mir mehr Auswahl in der Führungsfrage wünschen.

Wie wäre es mit einem Modell, wie es nun die Grünen-Partei ausprobiert hat: eine Urwahl?

Ein gutes Modell, aber derzeit kann ich mir das beim DFB nicht vorstellen.

Vor zwei Jahren erschütterte die Amerell-Affäre den DFB: ein Schiedsrichter-Funktionär, dem sexuelle Nötigung junger Kollegen vorgeworfen wurde. Sie haben sich sehr schnell gegen Amerell positioniert und wurden dafür heftig kritisiert. War das letztlich der Auslöser für Ihren überraschenden späteren Rücktritt?

Nein, deshalb wäre ich nie zurückgetreten. Ich fühle mich in dieser Sache öffentlich falsch behandelt, ich habe da keine Partei ergriffen. Ich habe meine Pflicht getan, als Amerell sein Abhängigkeitsverhältnis missbraucht hat. Die – von mir verschuldeten – Kommunikationspannen im Zusammenhang mit der Vertragsverlängerung Löws haben mich erstmals über Rücktritt nachdenken lassen.

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