Eurokolumne: Frankreich sucht den Sündenbock

Wer sich wirtschaftspolitisch nicht gegen das deutsche Eurokrisenmanagement wehren kann, setzt auf Germanophobie. Und macht Deutschland zum Sündenbock.

„Deutschland funktioniert wenigstens“, oder? Bild: dpa

Droht Europa – mal wieder – unter dem schwankenden Weltbild der Deutschen zu bersten? Wer sich wirtschaftspolitisch nicht gegen das deutsche Eurokrisenmanagement wehren kann, setzt leicht auf kulturelle Germanophobie. Besonders in Frankreich sind Reformen à la Allemagne derzeit schlecht gelitten. Unter der Meinungsführerschaft des Soziologen Emmanuel Todd schießt sich gerade halb Paris auf die Deutschen ein.

Ein Beispiel für derlei diskursive Ausweichmanöver ist der aktuelle Kulturkampf rund um die Ausstellung deutscher Maler im Louvre: Für einige Kommentatoren ist klar, dass die düsteren Bilder eines Caspar David Friedrich das Land fast notwendigerweise zu Hitler und Faschismus führen mussten. Ihnen geht es um eine Art biologistische kulturelle Determinierung, eine nationale Haut, aus der die Deutschen nicht herauskommen.

Diese sublimierte französische Germanophobie ist Ausdruck zunehmender résistance gegen die ökonomische Dominanz des Nachbarn. Der Widerstand in Südeuropa und Brüssel dagegen wächst – und doch ist es im politischen Europa heute schwer, gegen teutonische Sparpolitik zu punkten. Monatelang wurden die Franzosen beschallt, sie müssten Deutschland kopieren: das duale Ausbildungswesen, die Exportzahlen, den Mittelstand, Fraunhofer-Institute und Forschungs-Cluster.

geboren 1964 in Grevenbroich, ist Politikwissenschaftlerin. Sie leitet seit seiner Gründung 2007 das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations. Guérot lebte fast zehn Jahre in Frankreich und trägt das französische Verdienstkreuz.

Es geht hier um Traditionen, gewachsene Strukturen und ökonomische Kulturen, die Nationen nicht einfach übergestülpt werden können. Lange waren viele Franzosen für das deutsche Modell aufgeschlossen. Die Werbung spielte sogar mit der These, dass die Deutschen besser seien – nicht nur im Autobau, eigentlich in (fast) allem.

Der Schaden durch Hartz IV

Ein Opel wird in einem Clip auf Deutsch beschrieben, dann erscheinen französische Untertitel: „Sie müssen kein Deutsch sprechen, um einen Opel Corsa zu kaufen.“ Es war mal leicht, einen Taxifahrer in Paris oder Marseille zu finden, der nicht nur vom deutschem Fußball begeistert war: „Deutschland funktioniert wenigstens“, hörte man.

Aber was ist das deutsche Modell eigentlich? Mitbestimmung oder Hartz-IV-Reform? Die aufgeschlossene Stimmung kippt gerade. Inzwischen dämmert vielen, dass Hartz IV einen kolossalen sozialen Flurschaden hinterlassen hat. Zudem gilt linksrheinisch immer noch mit Henri IV: „La poule au pot“ – am Sonntag muss das Huhn im Topf schmoren.

Hungerlöhne für Frisörinnen wie in Ostdeutschland sind mit dem französischen Sozialstaatsmodell unvereinbar. Französische Gazetten schreiben unter Berufung auf das DIW, das deutsche Jobwunder, besonders die Jugendarbeitslosigkeit, sei mehr auf die (fatale) Demografie als auf hiesigen Reformeifer zurückzuführen.

Man ist zunehmend auf Krawall gebürstet. „Demokratische Konfrontation“ nannte das kürzlich die Parti Socialiste. Die Stimmung ist dabei laut Umfragen symptomatisch für einen großen Teil der EU-Bürger – und diametral der deutschen öffentlichen Meinung entgegengesetzt. Griechen, Italiener, Deutsche und Franzosen sind sich – fast erstaunlich – zu 60 Prozent nur noch in einem einig: dass der Euro bleiben soll.

Deutsche und Franzosen uneinig

Insgesamt hat die EU überall in Europa drastisch an Ansehen verloren. Vertrauen in Brüssel haben derzeit nur noch 45 Prozent der EU-Bürger (2012: 60 Prozent). Und: Deutsche und Franzosen sind sich überhaupt nicht mehr einig über die Union – das tut dem einstigen Tandem Europas nicht gut. Nur noch einer von zehn Franzosen, aber 75 Prozent der Deutschen sind derzeit mit der ökonomischen Situation ihres Landes zufrieden.

Da liegt es nahe, nach einem Sündenbock wie Deutschland zu suchen. Das hilft aber nicht. Besser wäre die Einsicht, dass beide recht haben. Nicht alles in Deutschland ist gut. Nicht alles, was Frankreich will, ist falsch. Wie würde Deutschland sich anstellen, wenn es binnen einer Woche das wunderbare französische Kinderkrippenmodell einführen müsste? Honi soit qui mal y pense.

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