Ermittlungen gegen netzpolitik.org: Journalismus wird sanktioniert

Das Blog netzpolitik.org ist zwar nicht „Der Spiegel“, aber das Leitmedium der „Netzgemeinde“. Die Drohung gilt allen: Journalisten und ihren Quellen.

Rudolf Augstein in Begleitung zweier Polizeibeamter

Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein wird im Januar 1963 zu einem Gefangenentransporter geleitet. Foto: dpa

BERLIN taz | Der Bundesanwalt leitet auf Betreiben des Verfassungsschutzes Ermittlungen gegen Journalisten wegen „Landesverrats“ ein. Die Bundesregierung duckt sich weg. Die Debatte tobt auf Twitter, und die zuständigen Minister sind ohnehin nicht präsent – oder ungewöhnlich schweigsam. Selbst Regierungssprecher Steffen Seibert, der sonst praktisch jede Pinkelpause für einen Tweet nutzt, hält sich zurück.

Erinnerungen an die Spiegel-Affäre aus dem Jahr 1962 drängen sich auf. Die politisch motivierten Ermittlungen gegen Rudolf Augstein und Kollegen kosteten Franz Josef Strauss damals das Amt des Verteidigungsministers.

Nun ist Markus Beckedahl nicht vor den Augen seines Sohnes verhaftet worden. Die Ermittler haben das Büro von netzpolitik.org in Berlin-Mitte auch noch nicht versiegelt. Und: Noch treibt es die Republik nicht auf die Straßen. Zumindest das könnte sich allerdings ändern. Netzaktivisten haben für Samstagmittag zu einer Solidaritätsbekundung in der Hauptstadt geladen.

Die große Solidarität ist kein Zufall, denn heute ist netzpolitik.org das Leitmedium der Szene. Seit ein paar Jahren schieben dann auch immer mehr Informanten den Blogbetreibern Vertrauliches zu, mithin eben auch streng Geheimes. Netzpolitik.org liefert so zunehmend Exklusives, etwa über das Ausmaß, mit dem Polizisten in Mobilfunkdaten stöbern. Auch wenn Beckedahl und Co. stets eine klare Agenda verfolgen: Sie leisten mit ihrer Arbeit Aufklärungsarbeit im besten Sinne.

Die Informationen sind frei

Als Beckedahl netzpolitik.org vor gut zehn Jahren startete, war die Seite noch ein klassisches Blog: eine Spielweise für die Kommentare des Netzaktivisten. Inzwischen begleitet eine ganze Redaktion die Digitalisierung und deren Folgen für die Gesellschaft. Sie alle sind so etwas wie aktivistische Journalisten, die eine klare Position haben: Das Internet soll frei sein – der Datenverkehr ebenso wie der Zugang zu Informationen.

In dem nun strittigen Fall hatten die Blogger treu ihrer Prinzipien anhand geleakter Dokumente publik gemacht, wie der Staat die Kommunikation seiner Bürger durchleuchtet und dabei die Grundrechte mindestens erstaunlich großzügig auslegen will.

Dass die Generalbundesanwaltschaft in dieser Sache überhaupt ermittelt, erfuhren die Blogger aus den Medien. Zuerst dachten sie noch, es seien allein ihre Quellen im Visier. Das wiederum kommt immer mal wieder vor, ist aber freilich ebenso ein behördlicher Versuch, Rechercheure und deren Informanten abzuschrecken und Enthüllungen zu verhindern. Beckedahl wollte für diesen Vorgang auch andere Journalisten interessieren. Der Fall ging allerdings weitgehend unter, bis jetzt klar wurde: Ermittelt wird auch gegen die Autoren selbst.

Seit der Spiegel-Affäre mögen sich Journalisten sicher gefühlt haben, nach dem Motto: Das traut sich niemand mehr, und wenn, dann nur gegen das Magazin konkret. Jedoch: Die Bundesregierung hat ihren Verfassungsschutz-Präsidenten nicht abgehalten. Egal wie die Sache nun ausgeht, eines steht schon jetzt fest: Journalisten leben auch hierzulande wieder in einer Zeit, in der die Mächtigen ihre Apparate einsetzen, um investigativen Journalismus zu sanktionieren.

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